Jesus durchbricht das Vergeltungsprinzip - Predigt über 1. Petrus 3,8-13

8 Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. 9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, Dass ihr den Segen ererbt. 10 Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, Dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, Dass sie nicht betrügen. 11 Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. 12 Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun«. 13 Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?

Liebe Gemeinde,
Jesus hilft uns, das Vergeltungsprinzip zu durchbrechen. Er befreit uns davon, dass wir dem alten Sprichwort folgen: "Wie du mir, so ich dir." Mit all den Folgen, die das hat. Und wir dürfen wissen: Wenn wir das tun, dann haben wir ganz gewiss Gott auf unserer Seite.

1.  Die Zunge beherrschen...

Nun - Vergeltung. Wenn ich mich so in unserer Runde umschaue, dann vermute ich: Selten wird es geschehen, dass wir jemanden aus Wut verprügeln, oder Ähnliches. Aber - muss es gleich eine körperliche Attacke sein? Nicht umsonst gibt es die Rede vom "Wortkrieg". Wo ein Wort das andere gibt - und dann "geht es rund". Der Dichter Eugen Roth hat so einen Beinahe-Wortkrieg einmal in einem humorigen Gedicht ausgedrückt: (E. Roth, Mitmenschen, S.46):
"Ein Mensch denkt oft mit stiller Liebe / an Briefe, die er gerne schriebe. / Zum Beispiel: ´Herr! Sofern Sie glauben, / Sie dürfen alles sich erlauben, / So teil ich Ihnen hierdurch mit, / Dass der bewußte Eselstritt / Vollständig an mir abgeprallt - / Das weitere sagt mein Rechtsanwalt! / Und wissen Sie, was Sie mich können...´ / Wie herzlich wir dem Menschen gönnen, / An dem, was nie wir schreiben dürfen, / Herumzubasteln an Entwürfen, / Es macht den Zornigen sanft und kühl / Und schärft das deutsche Sprachgefühl." Das ist schon fast so ähnlich wie im Bibeltext, nicht wahr? "Denn wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede..."
Warum vergelten wir so gern "Scheltwort mit Scheltwort", Böses mit Bösem? Nun - oft genug ist es einfach rein menschlich. Wenn mir - je nach Temperament - Worte herausfahren, die ich besser nicht gesagt hätte. Da ist es gut, dass man manchmal gar nicht die Gelegenheit dazu hat - wie der Mensch aus dem Gedicht. Der seinen "netten Brief" dann - wohlweislich! - doch nicht abgeschickt hat. "Das macht den Zornigen sanft und kühl...".
Es ist gut, wenn man es eben doch geschafft hat, seine "Zunge zu hüten". So mancher Wortkrieg ist gar nicht erst richtig ausgebrochen, weil einer der Streithähne nicht "zurückgeschossen" hat. Da hilft es, wenn wir uns daran erinnern: Welcher Segen darauf liegt, wenn wir unsere Zunge beherrschen.
Denn eines stimmt ganz gewiss nicht. Nämlich, wie manche Psychologen uns heute weismachen wollen: Dass wir "ganz offen" unseren Mitmenschen sagen, ach wie sehr wie von ihnen gekränkt worden sind. Und dann einfach alles "herauslassen" - und sie dabei noch mehr kränken. Auf dass der "Wortkrieg" noch mehr angefacht werde. Wissenschaftler haben dieses "Herauslassen" der Gefühle einmal an siebenjährigen Jungen untersucht. Man trainierte dies mit ihnen, indem man sie auf eine Puppe einschlagen ließ. Später stellte sich heraus: Diese Jungen war sehr viel mehr aggressiver als eine Vergleichsgruppe, bei der man diese "Behandlung" unterlassen hatte. (nachzulesen bei: Dr. Tana Dineen, Manufacturing Victims: What the Psychology Industry is Doing to People, 3. Auflage Montreal/New York/Paris 2001, S. 122f)
Nein! Gott sagt: wir werden "das Leben sehen und gute Tage sehen", nicht, wenn wir einfach "alles ungefiltert herauslassen". Sondern wenn wir unsere Zunge unter Kontrolle halten. Ich rede jetzt nicht zu den sanftmütigen Schäflein unter uns, die sich ohnehin kaum trauen, einmal ihre Meinung zu sagen... Nein, die brauchen das nicht. Aber für uns andere: Es liegt ein Segen darauf - und es lohnt sich, wenn wir uns hier der Herausforderung stellen. Und daran arbeiten, wie wir mit unserer Zunge umgehen. Unseren Herrn bitten, dass er uns die rechte Weisheit und Zurückhaltung schenkt. Vielleicht kann ich es ja ab und zu sogar mit Humor nehmen - und meine scharfen Worte nicht dem Betreffenden sagen, sondern dem Badezimmerspiegel - das schärft das deutsche Sprachgefühl...

2.  Vergeltung regiert die Welt

Ich denke aber, es gibt noch einen tieferen Zusammenhang. Warum unser Drang nach Vergeltung so ausgeprägt ist. Nicht immer ist es der Zorn, der bald wieder verraucht, der Zorn, der uns hingerissen hat, um Vergeltung zu üben. Nein, manchmal steckt es tiefer. Steckt eine ganze Denkweise dahinter.
Ich meine dies: Schließlich, so sagt man sich - kann man sich ja nicht alles gefallen lassen, ob man nun Christ ist oder nicht. Wenn ich nicht zurückschlage - dann können die Anderen doch mit mir machen, was sie wollen, oder? Dann werde ich schließlich "untergebuttert". Ist es nicht so - wie in dem alten Sprichwort: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner? Also "kräftig drauf"? Und Vergeltung geübt?
Wenn man es richtig betrachtet, beruhen auf diesem Prinzip ja alle militärischen Strategien und die Kriegsführung. Wenn ein Land einen begehrlichen Blick wirft auf ein anderes Land, das vielleicht wertvolles Öl und andere Rohstoffe besitzt. Dann wird es sich trotzdem genau überlegen, ob es dort einmarschiert. Vielleicht hat das rohstoffreiche Land ja eine gut ausgerüstete Armee, und man wird sich hüten, es anzugreifen. In den Zeiten des "Kalten Krieges" wurde auf diese Weise sogar ein Atomkrieg verhindert. Beide Seiten, Ost und West, wussten: Schieße ich meine Raketen zuerst ab, dann werde ich eine halbe Stunde später von den Raketen des Gegners getroffen. Also ließ man es tunlichst bleiben.
In der Welt, die von der Sünde geprägt ist. In der Welt, die sich von Gott losgesagt hat. Da ist das Vergeltungsprinzip manchmal unvermeidlich, um Schlimmeres zu verhindern. Traurig, aber wahr. Doch: Ist das etwas, in das wir Christen uns auch einfügen müssen?

3.  Gott erhört das Gebet des Friedfertigen

Nun wird es uns kaum gelingen, die ganze Welt zu Jesus Christus und zu seiner Botschaft des Friedens zu bekehren. Immer wieder haben Idealisten so etwas versucht, und sind dabei kläglich gescheitert. Trotzdem - wenn wir als gläubige Menschen in unserem eigenen Leben damit anfangen, dann haben wir schon eine ganze Menge zu tun.
Entscheidend ist dabei: Petrus lässt es hier nicht einfach bei einer Ermahnung zu einem friedfertigen Umgang miteinander. Petrus zitiert hier einen Psalm, und der sagt in diesem Zusammenhang etwas ganz Erstaunliches über unsere Gebete: "Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun." Wenn wir uns nicht selbst helfen. Wenn wir keine Vergeltung üben. Dann hört Gott unsere Gebete; dann hilft er uns. Dann brauchen wir keine Angst zu haben, dass wir "untergebuttert" werden. Und anders herum: Wenn wir uns selbst helfen wollen, und zurückschlagen - dann hilft er uns nicht, und wir können uns das Beten sparen. Denn Gott "steht wider die, die Böses tun". Ich habe tatsächlich Einfluss darauf, ob bei Schwierigkeiten Gott auf meiner Seite steht, oder nicht! Ja - das stellt manches alltägliche Denken auf den Kopf.
Manchmal ist dieser erstaunliche Zusammenhang geradezu mit Händen zu greifen. "Vergeltet nicht Böses mit Bösem ...., sondern segnet vielmehr..." - also, betet für eure Feinde. Und du betest für den Chef, der nur schwer zu ertragen ist. Für den Kollegen, der dir gern eins auswischen würde. Für den Mitschüler, der die anderen in deiner Klasse gegen dich aufstachelt. Du betest, und irgendwann merkst du: Es hat sich tatsächlich etwas verändert. Nicht nur an dir und deiner Einstellung. Sondern Gott hat ganz konkret eingegriffen und deine Situation zum Guten gewendet. Hast du so etwas schon einmal erlebt? Es ist gut, wenn wir uns in der Gemeinde solche Erfahrungen erzählen, damit machen wir uns gegenseitig Mut. Man muss aber auch hinzufügen: Nicht immer zeigt Gott so sofort, dass er unsere Gebete hört und auf der Seite der Gerechten steht. Nein, manchmal lässt Gott sich sehr viel mehr Zeit - bis ich sehe, wie ich von ihm gesegnet werde. Und manchmal - gibt er mir auch "nur" - nur? - die Kraft, dass ich mein Kreuz tragen kann. Dass ich die Situation aus seiner Hand nehmen kann, in die er mich hineingestellt hat.
Aber eines darf ich wissen. In der Zeit, in der ich auf Gottes Eingreifen warte. Eines darf ich da wissen: Gott ist auf meiner Seite. Was nützt mir der kurzfristige Erfolg. Nach dem Prinzip "Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner." Was hilft mir dieser Erfolg, wenn ich weiß: "Das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun"? Will ich mich auf einen Kampf mit Gott einlassen? Und nichts anderes tue ich - wenn ich Vergeltung übe! Nein, das nützt keinem etwas.
Wenn wir es also ganz nüchtern betrachten: Ich könnte mir manche schlaflose Nacht ersparen, wenn ich mir nicht ausmale, wie ich es dem anderen heimzahle. Wenn ich keine Vergeltung übe. Ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen, wie es heißt. Und dieses gute Gewissen darf ich dann haben, wenn ich nicht vergelte. Und darüber hinaus kann ich gewiss sein: Ich brauche auch gar nicht zu kämpfen und zu vergelten. Denn für mich kämpft ein Stärkerer als ich. Der wird zu seiner Zeit eingreifen. Seine Ohren hören auf unser Gebet. Ohne Zweifel!
Unser Herr Jesus Christus hat uns ein Beispiel hinterlassen, als er am Kreuz hing. Er sah auf die Menschenmenge, die seinen Tod gefordert hatte. Da betete er: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun." (Lukas 23:34) Jesus hat der Welt ihre Sünden nicht mit gleicher Münze heimgezahlt. Sondern er trug ihre Sünden, und litt und starb dafür.
Ich denke, es braucht einen langen Weg, um sich hier einzuüben. In den Weg Jesu. Den Weg ohne Vergeltung. Weder der Vergeltung mit Worten. Noch der Vergeltung mit Taten. Wahrscheinlich wird ein Christ sein Leben lang damit nicht wirklich fertig. Und: Vielleicht haben es diejenigen dabei besonders schwer. Diejenigen, bei denen alles gut läuft im Leben. Die gewohnt sind, sich selbst zu helfen. Die gewohnt sind, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Aber es ist nicht nur ein langer Weg - es ist auch ein lohnender Weg. Denn was wäre lohnender? Als die Erfahrung, dass ich immer mehr merke: Gott steht wirklich auf meiner Seite? Er hört mein Gebet? Lasst uns unseren Herrn bitten, dass er uns die Kraft gibt. Auf diesem langen, lohnenden Weg zu bleiben. "Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet."       Amen.

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