Der reine Wein des Evangeliums - Predigt über 2. Korinther 4,1-6

1 Darum, weil wir dieses Amt haben nach der Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, werden wir nicht müde, 2 sondern wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um, fälschen auch nicht Gottes Wort, sondern durch Offenbarung der Wahrheit empfehlen wir uns dem Gewissen aller Menschen vor Gott. 3 Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, 4 den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes. 5 Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, daß er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen. 6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.

Liebe Gemeinde,
ich möchte Ihnen bei der Verkündigung des Evangeliums reinen Wein einschenken. Reinen Wein einschenken, wir kennen diese Redensart. Bei reinem, guten Wein werden keine Zutaten hineingepanscht, die dort nicht hineingehören. Nur, damit der Wein auf den ersten Blick ansprechender wirkt. Bei reinem, guten Wein werden bei der Herstellung auch keine wichtigen Schritte weggelassen oder verkürzt, weil es so vielleicht billiger oder schneller geht. Der Gelegenheitstrinker lässt sich vielleicht täuschen, aber der Kenner merkt sofort, ob ihm reiner Wein eingeschenkt wird. Deshalb, um im Bild zu bleiben: Worauf kommt es an, wenn bei der Verkündigung des Evangeliums reiner Wein eingeschenkt wird?

1. Mehr Sein als Schein

Es ist bemerkenswert, dass sich manche Fragen in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der christlichen Kirche wiederholen. Zu Zeiten des Paulus war die Kunst der Rede, die Rhetorik, außerordentlich hoch entwickelt. Die Menschen kannten diese Kunst, und ihre Erwartungen waren entsprechend hoch. Hätten man ihnen Redebeiträge aus dem 21. Jahrhundert vorgesetzt, hätten sie manches davon für primitiv und unkultiviert gehalten, schwach in der Sprache, schwach in der Argumentation, und wenig brillant im Auftreten.
Paulus hatte es in einer solchen Umgebung nicht leicht. Er schrieb seinen Brief an die Gemeinde in der Korinth. Dort gab es "Starprediger", die die Kunst der Rhetorik beherrschten. Von Paulus dagegen heißt es: "Seine Briefe, sagen sie, wiegen schwer und sind stark; aber wenn er selbst anwesend ist, ist er schwach und seine Rede kläglich." (2. Korinther 10:10) Paulus, der große Apostel, war nach den damaligen Maßstäben kein guter Redner. Ob manche in der Gemeinde bei seinen scheinbar langweiligen Beiträgen die Augen verdreht haben? Oder währendessen lieber ein kleines Nickerchen gehalten haben?
Es ist bemerkenswert, wie Paulus darauf reagiert. Als Erstes sagt er: Wir werden nicht müde. Wie viel steckt in diesem kleinen Satz! Und wie aktuell er ist. Ein Pfarrer, eine Pfarrerin, die können in der Tat müde werden. Wenn sie von der Gemeinde immer wieder, offen oder versteckt, bedeutet bekommen: Du bist so blaß, so farblos, nicht mehr zeitgemäß, kein "Zugpferd", wie wir es uns wünschen. Auch Paulus musste sich so etwas anhören. Aber er sagt: Wir werden nicht müde. Er lässt sich davon nicht beirren, was die Menschen über ihn denken.
Und dann hinterfragt er seinerseits die Gemeinde und ihre Starprediger: "Wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um, fälschen auch nicht Gottes Wort." Paulus hat für seine Verkündigung entschieden: Mehr Sein als Schein. Es geht ihm um den Inhalt, nicht um die Verpackung. Man muss nicht tricksen, um Gottes Wort an den Mann und an die Frau zu bringen. Es ist wie bei einem guten, reinen Wein. Da kommt es nicht auf die Verzierungen an der Flasche an, sondern auf den Inhalt.
Das klingt so gar nicht zeitgemäß, auch nicht bei manchen ernsthaften Christen. Denen es ein Anliegen ist, Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus zu führen. Da bemüht man für Gottesdienst und Predigt mancherlei Showelemente, wie wir sie aus dem Fernsehen kennen, nur dass sie im Fernsehen professioneller dargeboten werden. In einer anderen Gemeinde versucht sich die Pfarrerin bei den Konfirmanden in Jugendsprache, während die innerlich aufstöhnen. Sie kennen das schon von einigen Lehrern, und finden es überhaupt nicht cool.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe nichts gegen moderne Elemente in der Kirche, und ich probiere auch gerne mal etwas Neues aus. Aber deswegen kommt kein einziger Mensch mehr zum Glauben. Nein, wir brauchen uns von so etwas nicht abhängig zu machen. Denn beim Evangelium geht es um das Sein, nicht um den Schein. Und in der Ewigkeit werden wir vielleicht überrascht feststellen, wie viel geistliche Frucht so mancher scheinbare Langweiler hinterlassen hat, der einfach treu die Botschaft von Jesus weitergegeben hat, und sich wenig um die Wünsche des Publikums geschert hat.

2. Es kommen nicht alle in den Himmel

"Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat." Wenn man bei der Verkündigung  des Evangeliums reinen Wein einschenkt, dann gehört auch das dazu: Dass man über die Verlorenheit der Ungläubigen spricht. Die Verlorenheit derer, die ohne eine lebendige Beziehung zu Jesus durchs Leben gehen. Was bedeutet "verloren" und welche Konsequenzen hat es?
In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt Paulus: "Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft." (1. Korinther 1:18) Paulus unterscheidet hier - wie auch an anderen Stellen - zwei Gruppen von Menschen: Die, die selig werden. Man könnte auch übersetzen: Die, die von Jesus gerettet werden. Das sind die, die nach diesem Leben nicht in die Hölle, sondern in den Himmel kommen. Die Verlorenen dagegen werden von Jesus nicht gerettet, d.h. sie kommen auch nicht in den Himmel. Von dieser Unterscheidung wird heute nicht mehr gern geredet. Manche sagen: Gott macht keinen solchen Unterschied, so etwas kann man sich bei einem Gott der Liebe einfach nicht vorstellen. Andere haben die Befürchtung, dass solche Reden die Menschen von der Kirche und vom christlichen Glauben abschrecken. Deshalb sollte man klug sein und darüber schweigen.
Paulus kennt solche Überlegungen nicht. Er orientiert sich dabei an seinem Herrn und Meister Jesus Christus. Der hatte zu seinen Jüngern immer wieder von der Verlorenheit der Ungläubigen gesprochen. Kurz vor seinem Tod redet er über den letzten großen Tag, an dem er wiederkommen und sich auf den Thron des Weltenrichters setzen wird (Matthäus 25). Jesus unterscheidet beim Weltgericht zwei Gruppen von Menschen, die Gläubigen und die Ungläubigen. Und er schließt mit den Worten: "Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben." (Matthäus 25:46) Wir bekennen das im Glaubensbekenntnis: Er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.
Wenn wir über das Evangelium von Jesus Christus reden, dann haben wir auch über die Verlorenheit der Ungläubigen zu reden. Wir tun das nicht, weil uns das Freude macht. Glauben Sie mir, ich rede viel lieber über die Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Aber ich möchte Ihnen reinen Wein einschenken. Deshalb verschweige ich solche unangenehmen Fragen nicht.

3. Jesus, das Licht der Welt

Wer schon einmal nach einem Stromausfall plötzlich und unerwartet in der absoluten Dunkelheit stand. Der kennt das Gefühl, wie sehr man sich in einer solchen Lage nach dem kleinsten Licht sehnt. Wie komme ich hier heraus? Wo war noch mal die Tür zum nächsten Raum? Ein vorsichtiges Tasten, um sich den Kopf nicht anzustoßen. Auf einmal zischt es, eine kleine Flamme geht an. Jemand hat ein paar Streichhölzer in seiner Tasche gefunden. Jetzt sieht man wenigstens die Tür und die Wände, man kann sich orientieren.
"Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi." Jesus bringt Licht in eine dunkle, verlorene Welt. Jesus bringt geistliches Licht in die Herzen der Ungläubigen.
Was geschieht dabei? Wie haben wir uns das vorzustellen? Viele denken: Wenn sich einer für den christlichen Glauben entscheidet, warum nicht? Wenn das für ihn das Richtige ist. Es ist wie in einem Supermarkt der Weltanschauungen. Der Kunde ist König, und er entscheidet sich für die Ware, die ihm am besten gefällt und die einen akzeptablen Preis hat. Der eine wird Christ, der andere Buddhist, und der dritte Atheist. Wo ist das Problem?
Paulus zeichnet ein völlig anderes Bild vom Menschen und von seiner Stellung zu Gott. Es ist ein radikales, anstößiges Bild. Darin ist der Mensch nicht Kunde, und er ist schon gar kein König. Er lebt geistlich gesehen wie in einem finsteren Raum. Er gehört zu "den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes." Mit "Gott dieser Welt" ist der Widersacher Gottes gemeint, der Teufel persönlich. Das ist keine Märchengestalt mit Hörnern und Schwefeldampf, aber dafür eine sehr reale Macht. Er hat den Menschen "verblendet". Es gibt nicht nur gutes Licht, das uns Orientierung ermöglicht. Es gibt auch Licht, das blendet. Wenn man in  so eine Lichtquelle blickt, sieht man für einige Zeit nichts mehr, oder man kann sogar sein Augenlicht verlieren. Satan, der "Gott dieser Welt", hat den Menschen geblendet, ihn geistlich erblinden lassen. Jetzt tappt er im Dunkeln, und er ist nicht mehr in der Lage, Gott zu erkennen.
Jesus allein kann unsere geistliche Blindheit heilen. Wenn ein Mensch zum Glauben an Jesus Christus kommt. Wenn Gott uns unsere Sünden vergibt. Dann hat er uns "einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, ... die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi." Auf einmal hat man sein geistliches Augenlicht wiedergefunden. Satan, der Gott dieser Welt, hat keine Macht mehr über mich. Ich bin nicht mehr verloren, sondern gerettet. Ich erkenne Jesus, das Licht der Welt. Und indem ich ihn erkenne, weiß ich endlich, wer Gott wirklich ist. Es ist, als ob in einem dunklen Raum plötzlich ein Licht angezündet wird.
Damit schließt sich der Kreis. Die Frage am Anfang war: Worauf kommt es an, wenn bei der Verkündigung des Evangeliums reiner Wein eingeschenkt wird? Die erste Antwort war: Wir achten mehr auf das Sein als auf den Schein, mehr auf den Inhalt der Botschaft als auf die Verpackung. Die zweite Antwort war: Wenn wir über das Evangelium von Jesus Christus reden, dann haben wir auch über die Verlorenheit der Ungläubigen zu reden. Wir kommen nicht alle, alle in den Himmel. Wie es im Karnevalslied heißt. Aber das Letzte, das Wichtigste für den reinen Wein des Evangeliums ist: Dass Jesus, das Licht der Welt, in die Mitte gestellt wird. Jesus, der uns allein von unserer geistlichen Blindheit heilen kann. Jesus, der uns allein von der Verlorenheit zur Rettung führen kann. Jesus, der uns allein zeigen kann, wer Gott wirklich ist. Und dann geht mir ein Licht auf, und ich erfahre "... die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi." Amen.

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