Liebe Gemeinde,
"fürchte dich nicht" - durch die ganze Bibel zieht sich diese
Aufforderung. Wir finden sie im ersten Buch der Bibel (1. Mose 15:1 ),
und im letzten Buch der Bibel (Offenbarung 2:10). 66 Mal kommt dieser
Satz in der Lutherbibel (Luther 84) vor - genau in diesem Wortlaut. Die
Verse, die dasselbe mit anderen Worten sagen - die sind dabei noch gar
nicht mitgezählt.
Ja, es gibt wahrlich viele Gelegenheiten, bei denen ein Christ sich
fürchtet, verzagt wird. Und es gibt viele Gründe, warum Gott
zu Recht sagt: Fürchte dich nicht.
Jeder, der etwas länger Christ ist, der weiß:
Schwierigkeiten und Anfechtungen gehören dazu. Ein Christenleben
in ständigem Sonnenschein. Ein Christ, der von einem geistlichen
Sieg zum nächsten eilt. Das gibt es höchstens in christlichen
Romanen, aber nicht im wirklichen Leben. Wir können dankbar sein,
dass wir nicht die schrecklichen Erlebnisse in der ägyptischen
Sklaverei oder in der babylonischen Gefangenschaft durchmachen mussten.
Denn das hat Jesaja ursprünglich hier gemeint, als er zu seinem
Volk Israel redet.
Nein - auch dann, wenn wir nicht gerade in Kriegs- und
Unterdrückungszeiten leben, kann ein Christ so manches durchmachen
- ich denke, Beispiele dafür kennen wir genug. In der Tat - da
kann man ins Fürchten kommen. Vor allem dann, wenn ein Ende der
Not nicht absehbar ist. "...dass die Ströme dich nicht
ersäufen können." Ereignisse und Probleme können sich
auf einmal zusammenballen. Dass ich darin schier untergehen zu scheine.
Verschiedene Fragen drängen sich einem Christenmenschen dabei auf.
Etwa: Wie lange wird das noch so gehen? Warum lässt Gott das zu?
Und schließlich: Werde ich das aushalten? In der Tat gibt es
darauf keine schnelle, einfache Antwort. Allerdings - als Gott hier
sein "Fürchte dich nicht" ausspricht. Da gibt er eine gute
Begründung dafür. Gott setzt nämlich allen Nöten
eines Gotteskindes eine genau bestimmte Grenze: Dir kann zwar das
Wasser bis zum Hals stehen - aber es wird dir nicht über dem Kopf
zusammenschlagen, und du wirst nicht ertrinken. "...dass dich die
Ströme nicht ersäufen sollen." Du kannst zwar die Flammen aus
nächster Nähe sehen, die Hitze spüren, und den
Brandgeruch riechen. Aber "...wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht
brennen und die Flamme soll dich nicht versengen."
Der Apostel Paulus, der in seinem Leben mancherlei Schwierigkeiten
durchgemacht hat, und der nicht selten in Lebensgefahr war. Der hat das
einmal so ausgedrückt: "Aber Gott ist treu, der euch nicht
versuchen läßt über eure Kraft, sondern macht, dass die
Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr's ertragen könnt." (1.
Korinther 10:13) Man könnte also mit einem alten Bild sagen: Gott
gibt keinem Christen ein größeres Päckchen, als dieser
Christ tragen kann. Zugegeben: Gottes Maßstäbe, nach denen
er diese "Päckchen" schnürt und mit Gewicht versieht. Die
sind mir oft genug ein Rätsel. Allerdings, auf eines kann ich mich
hundertprozentig verlassen: Nicht über euer Vermögen. Und
dazu kommt noch: Nicht nur das Gewicht des Päckchens wird
begrenzt. Sondern auch die Dauer, die ich es tragen muss. "...dass die
Versuchung so ein Ende nimmt..." Sie ist nicht endlos - auch wenn sie
mir oft genug endlos erscheint, die Anfechtung. Aber auch hier gibt es
von Gott her eine genau bemessene Grenze, und er verliert darüber
niemals die Kontrolle. Die Anfechtung wird ein Ende nehmen, das ist
sicher.
Also: Egal in welche Not du gerätst. Gott verliert nie die
Kontrolle. Und Gott setzt eine genau bemessene Grenze - "...dass dich
die Ströme nicht ersäufen sollen .... und die Flamme soll
dich nicht versengen." Ob das ein guter erster Grund ist? Dass Gott dir
sagt: Fürchte dich nicht, mein Kind?
Um diesen Teil zu verstehen, brauchen wir etwa "Anlauf". "Ich habe
Ägypten für dich als Lösegeld gegeben ... Ich gebe
Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben." Was
meint Jesaja damit? Ein kurzer Ausflug in die "israelische
Außenpolitik" von damals bringt Klarheit. Es war noch vor der
babylonischen Gefangenschaft. Das Heer des assyrischen Königs
Sanherib steht vor den Toren Jerusalems, und es sieht so aus, als
wäre alles verloren. (Jesaja 37) Wie sollte da noch Hilfe kommen?
Auf einmal, durch politische Verwicklungen, gerät Sanherib in
Kämpfe mit anderen Völkern. Er zieht ab - er hat jetzt
Wichtigeres zu tun, als die Hauptstadt eines so kleinen Volkes zu
erobern. Jerusalem kommt noch einmal davon. Ein Zufall der
Weltgeschichte? Politisches Glück? Die Botschaft Gottes ist eine
ganz andere: Du bist mein auserwähltes Volk. Du warst mir
wichtiger, wertvoller als alle anderen Völker. Deshalb habe ich es
so geführt. Und die anderen Völker kamen ins Visier von
Sanherib - anstelle von dir. "Ich gebe Menschen an deiner Statt und
Völker für dein Leben."
Was sich im politischen Bereich schlecht auf heute übertragen
lässt. Denn wir leben nicht im Volk Israel zu alttestamentlichen
Zeiten. Das kann uns allerdings ein direkter Hinweis auf unseren Herrn
Jesus Christus werden. Hier ist es an der Zeit, über das Gleichnis
vom Kaufmann und der wertvollen Perle nachzudenken - ein Gleichnis, das
außerordentlich oft missverstanden wird. (Matthäus 13,45-46)
Da ist ein "völlig verrückter" Geschäftsmann, der sein
ganzes Kapital einsetzt, nur um eine einzige besondere Perle zu
erwerben - nach der er vielleicht schon jahrelang geforscht hatte. Man
könnte dieses Gleichnis leicht so verstehen: Christsein. Das
bedeutet, dass ich für Jesus auch mein "letztes Hemd" hingeben
will, dass ich mich ihm ganz und gar weihe und mich ihm verschenke.
Ich frage mich nur, ob man dabei nicht "Kaufmann" und "Ware"
verwechselt. Wenn man einmal von unserem Predigttext und anderen
ähnlichen Stellen aus denkt. Dann ist es genau umgekehrt: Die
Christen, das Volk Gottes. Die sind für Christus so wertvoll, dass
der für sie das Beste überhaupt, den höchsten Kaufpreis
hergibt: sein eigenes Leben. Das Blut, das er auf Golgatha vergossen
hat. "Erlöst" hat er damals Israel aus der ägyptischen
Sklaverei. Und die Hebräer hörten in ihrer Sprache bei dem
Wort "erlöst" mit: "losgekauft" hat er uns vom Pharao, und
loskaufen wird er uns aus der babylonischen Gefangenschaft. "...weil du
in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich
dich lieb habe."
Im Neuen Testament hören wir über Gottes Liebe: "Denn also
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit
alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige
Leben haben." (Johannes 3:16) Er gab seinen Sohn. Ein unermesslich
hoher Kaufpreis! So bedeutsam sind wir in den Augen Gottes, dass wir
ihm seinen eigenen Sohn wert waren. Und so kann Gott sagen:
Fürchte dich nicht. Denn ich habe für dich nicht nur das
Beste - sondern ich habe den Besten gegeben. Ich gebe Menschen an
deiner Statt. Ich gebe den Menschen an deiner Statt - meinen eigenen
Sohn. Ob das ein weiterer guter Grund ist., dass ich ihm das glaube:
Fürchte dich nicht?
Wenn man genau hingeschaut hat, dann sieht man: Diese wunderbaren
Verheißungen gelten nicht für alle Menschen
gleichermaßen. Jesaja redet hier von Israel. Genauer gesagt, von
einem Teil Israels, nämlich von den Gotteskindern unter
ihnen, den Gläubigen: "Bring her meine Söhne von ferne und
meine Töchter vom Ende der Erde." An anderer Stelle sagt er es
noch deutlicher: "Und der Herr wird zu der Zeit zum zweiten Mal seine
Hand ausstrecken, dass er den Rest seines Volks loskaufe, der
übriggeblieben ist in Assur, Ägypten, Patros, Kusch, Elam,
Schinar, Hamat und auf den Inseln des Meeres." (Jesaja 11:11)
Nicht nur hier, auch sonst immer wieder, ist im Alten Testament immer
von einem "heiligen Rest" die Rede. Einer besonderen Schar, die Gott
aus dem Volk Israel ausgewählt hat. Es sind diejenigen, die nicht
nur äußerlich zum Volk Gottes gehören. Heute würde
man sagen: Es sind nicht diejenigen, die lediglich Taufschein und
Kirchenmitgliedschaft besitzen. Sondern es sind diejenigen, die nach
Gottes Wort leben. Die ihm vertrauen. Die von neuem geboren sind aus
dem Heiligen Geist. Die Jesus gehören. "Denn in ihm hat er uns
erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir, heilig und
untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe hat er uns dazu
vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem
Wohlgefallen seines Willens." (Epheser 1,4-5) So drückt das der
Apostel Paulus aus. Eine besondere Schar Menschen ist es: Seine Kinder,
Gottes Söhne und Töchter - für die gilt dieses
"Fürchte dich nicht". Genau für die.
Nun könnte man fragen: Womit bin ich denn "qualifiziert", damit
ich mir diesen Schuh anziehen kann. Damit ich das als ganz
persönlichen Zuspruch nehme: "Fürchte dich nicht" - ? Wie
komme ich dazu, zu Gottes Söhnen und Töchtern zu
gehören? Zu dieser besonderen Schar Menschen? Von Zeit zu Zeit
ereignet sich eine wunderbare Geschichte: manchmal im Film, manchmal im
Roman - manchmal sogar im richtigen Leben. Da ist ein gutaussehender
reicher Mann auf Brautschau. Er lernt eine Frau kennen, es ist die
berühmte "Liebe auf den ersten Blick". Die beiden verloben sich.
Doch alle aus der Familie des reichen Mannes wollen ihn von der
Hochzeit abbringen: Die junge Frau sei nicht "standesgemäß",
sie stammt aus einer armen Familie mit schlechtem Ruf. Doch der Mann
lässt sich nicht abbringen. Selbst gutgemeinte Hinweise wie "Auch
andere Mütter haben schöne Töchter" helfen nichts. Er
will die eine, die er liebt - und die heiratet er dann auch. Es ist
eben "wie im Märchen".
"...weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und
weil ich dich lieb habe." Das gibt Gott hier als Begründung
für die, die seine Kinder sind. Es ist tatsächlich "wie im
Märchen" - nur noch besser. Der heilige Gott sucht sich
Sünder aus - ausgerechnet Sünder, wirklich ganz und gar nicht
"standesgemäß" für ihn. Und macht die Sünder zu
seinen Kindern, "...weil ich dich lieb habe." Gott begründet es
nicht, wen er wann, wie und warum zu seinem Kind macht. Außer mit
dieser einer Begründung: Sünder, du bist in meinen Augen
wertgeachtet. Ich habe meinen Sohn für dich gegeben, an deiner
Statt. Weil ich dich geliebt habe. Das muss dir als Grund genügen.
Ich finde, das ist ein sehr wichtiger Grund für einen Christen,
sich nicht zu fürchten. Manche fürchten zwar
weder "Tod noch Teufel", wie die Redensart sagt. Sie stehen fest im
Glauben. Aber sie fürchten sich vor sich selbst: Was ist, wenn
mein Christsein eines Tages schwach und lauwarm wird? Was ist, wenn
mein Eifer? Der Eifer der ersten Liebe zu Jesus erlahmt? Wenn dann auf
einmal die Zweifel kommen? Wird Jesus mich dann fallenlassen, wie die
"heiße Kartoffel"? Und sich anderen zuwenden, die es wert sind?
Die sich ihm wahrhaft und von ganzem Herzen hingeben? Dann ist es gut,
wenn du dich als Christ daran erinnerst: Nach deinen eigenen,
menschlichen Maßstäben. Da warst du noch nie wirklich
"qualifiziert", fromm genug und wertvoll. Noch nie so heilig, dass
Jesus dich unwiderstehlich finden musste. Es war von Anfang an sein
freier Entschluss: "...weil du in meinen Augen so wert geachtet ...
bist."
Merkst du es, Christenmensch? Es ist völlig sinnlos, wenn du dich
vor dir selbst fürchtest. Und fürchtest, du könntest die
"Qualifikation" für deine Gotteskindschaft verlieren. Nein,
beruhige dich: Diese Qualifikation hattest du sowieso noch nie, bis
heute nicht. Wenn du an Jesus glaubst, dann hast du dir das nicht
verdient. Aber Gott wollte dich haben. Genau dich. Warum? "...weil ich
dich lieb habe." Gott hat für sich selbst einen Grund gefunden:
Weil du in meinen Augen herrlich bist. Und das genügt. Es
genügt ihm dafür, dass er zu dir steht. Und dich hält.
Von nun an bis in Ewigkeit. Das ist seine freie Gnade. Es ist
tatsächlich "fast wie im Märchen". Nur noch viel besser.
Ob das einige gute Gründe sind, damit sich Christen sich nicht
fürchten müssen? Er hat aller Not eine Grenze gesetzt? Er hat
nicht nur das Beste, sondern den Besten für dich gegeben? Seinen
eigenen Sohn? Und er hat es allein aus seiner freien Gnade getan? Wenn
es dir nicht genug Gründe sind. Dann schlage eine Bibelkonkordanz
auf, oder suche im Internet. Und schaue die anderen 65 Stellen nach -
überall, wo sonst noch "Fürchte dich nicht" steht.
Für heute wollen wir uns mit diesem Vers begnügen:
"Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich
bei deinem Namen gerufen; du bist mein!" Amen.