Ich lebe, und ihr sollt auch leben - Predigt über die
Jahreslosung 2008 aus Johannes 14,19
Christus spricht: Ich lebe, und ihr
sollt auch leben.
Lesung (Johannes 14,15-20): Christus
spricht: 15 Liebt ihr mich, so
werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten, und
er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei
in
Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann,
denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er
bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich will euch nicht als
Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Es ist noch eine kleine
Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich
sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. 20 An jenem Tage werdet
ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich
in
euch.
Liebe Geschwister,
als gläubige Menschen sind wir mit Christus auf das engste
verbunden,
untrennbar mit ihm "zusammengewachsen". Deshalb gehört alles, was
ihm
gehört, auch uns: Seine Gerechtigkeit, seine Vollkommenheit, sein
Leben, das bis in die Ewigkeit hineinreicht. Ich lebe - und ihr sollt
auch leben.
1. "Ein Kuchen"
Jetzt in der Weihnachtszeit war ja hier wieder überall
Stollenbäckerei
angesagt. Die meisten kaufen ihn beim Bäcker. Andererseits gibt es
immer noch solche, die diesen Produktionsvorgang nicht ganz aus der
Hand geben wollen. Sie geben die Zutaten zusammen, oft nach alten,
überlieferten Familienrezepten. Und wenn sie es nicht selbst
backen,
bringen sie es dann zum Bäcker, der in seinem Backofen den Stollen
daraus macht. Wenn es fertig ist, dann sind alle Zutaten fest
miteinander verbacken, und selbst die Rosinen sind zwar noch gut
sichtbar, aber sie können nicht mehr herausfallen.
Warum ich davon erzähle? Martin Luther hat öfter ein
schönes Bild
gebraucht, wie Christus mit seinen Christen verbunden ist. Er hat
gesagt: Wenn ein Mensch das Wort Gottes hört, wenn er
darüber zum
Glauben kommt, wenn ihm die Sünden vergeben werden. Dann geschieht
etwas mit ihm und mit Christus. Denn dann sind er und Christus
gleichsam wie "ein Kuchen", fest miteinander "verbacken", so dass man
sie nicht mehr trennen kann. Ich will jetzt nicht darüber
sinnieren,
wer denn nun von beiden - Christus oder die Seele. Wer denn nun
die
Rosinen, und wer der umgebende Teig ist... Jedenfalls kann Jesus
dann
sagen: Dann seid "ihr in mir und ich in euch".
Vielleicht machen wir uns das viel zu wenig klar als Christen: Jesus
Christus ist nicht nur im Himmel, beim Vater. Nicht nur dort, zur
Rechten Gottes, auf dem Thron des Weltherrschers. Nicht nur dort, wo er
unsere Gebete entgegen nimmt, und diese dann vor den Vater trägt.
Sondern er ist auch hier, bei mir, ganz nahe. Er ist eben auch mit
jedem Christen miteinander verbunden. Verbacken "wie ein Kuchen". Das
klingt für dich unglaublich? Ja - das ist es eigentlich auch. Wir
werden später noch versuchen, ein wenig zu verstehen. Ein wenig zu
verstehen, wie denn das zugehen kann.
Zunächst genügt es zu wissen: Jesus ist mit dir,
Christenmensch,
unglaublich eng verbunden. Also: Egal, wohin du gehst. Ob du liegst
oder stehst. Ob du Luftsprünge machst oder mit gesenktem Haupt da
sitzt. Überall, wo du bist, ist er auch. Wenn du zu einem
freudigen
Ereignis gehst: Er ist direkt mit dabei, und freut sich mit dir. Wenn
du zu etwas hingehen musst, wovor du große Angst hast: Er ist in
dir
und du in ihm - und so kann er dich unmittelbar in deiner Angst
aufrichten und trösten. Und selbst dann, wenn du etwas tust, was
vor
Gott nicht recht ist. Er - Christus. Er muss es mit deinen Augen
ansehen, was du siehst, und zusammen mit deiner Hand angreifen, was du
tust. Denn du und er - ihr seid miteinander "ein Kuchen".
Eigentlich - eigentlich finde ich das eine äußerst
mutmachende
Botschaft für das Neue Jahr. Wenn ich mir vorstelle: Egal, wo ich
hingehe. Egal, wie es mir ergeht. Ich bin nie allein. Mein Herr ist
nicht nur im Himmel. Mein Herr ist nicht nur um mich herum. Sondern er
ist in mir und ich in ihm. Er ist "immer dabei". Genau das bedeutet: An
ihn zu glauben. Und wenn unsere Kinder beten: "Mein Herz ist
klein,
soll niemand drin wohnen als Jesus allein." Dann drücken sie auf
ihre
Weise einen Teil dieses Geheimnisses aus. Dieses Geheimnis des
geistlichen Lebens. Ich lebe - und ihr sollt auch leben.
2. Der "fröhliche Wechsel"
Wir wollen nun noch etwas weiter sehen, was für uns der Ertrag
dieser
wundersamen "Stollenbäckerei" ist. Und das Ganze noch einmal von
der
anderen Seite angehen. "Ich lebe, und ihr sollt auch leben." So sagt
Jesus zu seinen Jüngern. Und dahinter steht der Gedanke: Wenn wir
im
Glauben so fest miteinander verbacken sind mit Christus. Dann gilt es
auch umgekehrt: Nicht nur ist er überall dabei, wo wir sind.
Sondern
auch wir sind überall dabei, wo er ist. Und alles, was ihm
gehört, das
gehört auch uns. Wie z.B. das Leben: Ich lebe, und ihr sollt auch
leben.
Wir rühren hier an eines der größten Geheimnisse des
Neuen Testaments,
und müssen uns langsam herantasten. Vielleicht scheint es
zunächst so
mühsam, wie bei einer Schatzkammer. Eine Schatzkammer, die man nur
durch verwinkelte Gänge und verschlossene Türen erreichen
kann. Aber
wenn man sich dann durchgefunden hat, dann staunt man über die
Schätze,
die dort bereitliegen. Und man staunt noch mehr, wenn man die Stimme
hört: Das alles gehört dir!
Die Alten hatten dafür ein weiteres, schönes Bild. Sie
sagten: Christus
und die Christen, die sind so eng miteinander verbunden. Das zwischen
beiden ein wundersamer Austausch stattfindet. Ein "fröhlicher
Wechsel",
wie sie es nannten.
In der Tat kann man fröhlich gestimmt werden, wenn man sich diesen
Wechsel genauer anschaut. Im Grunde läuft es dabei für
Christus
scheinbar auf ein "schlechtes Geschäft" hinaus. Denn er bekommt
von mir
alles Schlechte - und ich dafür von ihm alles Gute. Zuerst
fängt es
damit an, dass er meine Sünde bekommt. Er, der der Unschuldige,
nimmt
all meine Schuld - und auch noch die Strafe dazu. "Ich bin mit Christus
gekreuzigt." (Galater 2:19), so drückt Paulus dieses Geheimnis
aus. Es
ist tatsächlich eine so wundersame Verbindung des Gläubigen
mit
Christus, dass sie selbst durch die Zeiten, durch die Jahrtausende
hindurch reicht. Ja - als gläubiger Mensch war ich auf
geheimnisvolle
Weise mit dabei, damals, auf Golgatha.
Fragt mich nicht, wie das denn alles "funktioniert" - es geht weit
über
meinen Verstand. Aber das Neue Testament sagt es ganz klar - nicht nur
dort im Galaterbrief. Es sagt: Als gläubiger Mensch - da habe ich
gleichsam mit Christus zusammen am Kreuz gehangen. Ich habe dort
zusammen mit Christus den Zorn Gottes gespürt. Ich habe dort mit
Christus zusammen die Strafe für meine Sünden empfangen - die
Todesstrafe. "Ich bin mit Christus gekreuzigt".
Und dabei hat er, mein Heiland, er hat all das "abbekommen", was
eigentlich für mich angemessen wäre, für mich, den
Sünder. Es ist
wirklich ein wundersamer Wechsel: Christus, der Unschuldige, wird
verurteilt. Und ich gehe frei aus - weil ich längst mit ihm
zusammen am
Kreuz gehangen habe. Ich habe keine Strafe mehr zu erwarten. Der
Gerechtigkeit ist Genüge getan. Der Zorn ist vorbei. Und ich sehe
die
ganze Liebe des Vaters, der seinen eigenen Sohn für mich
hergegeben hat
(Johannes 3:16).
Aber es geht noch weiter. Denn das Kreuz und der Tod waren nicht das
Letzte. Christus ist auferstanden, und er sagt seinen Jüngern: Ich
bin
so eng mit euch verbunden. So eng, dass ihr auch an meinem neuen Leben
teilhabt. So eng, dass ihr gleichsam schon mit mir auferstanden seid.
"... mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft
Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten." (Kolosser 2:12) So
schreibt es Paulus der christlichen Gemeinde in Kolossä. Oder, wie
Jesus es hier sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben. Es ist wahr -
wir sehen dieses Wunder noch nicht vor Augen. Noch ist dieses Leben
"verborgen mit Christus in Gott" (Kolosser 3:3). Doch es gilt: Ich
lebe, und ihr sollt auch leben.
Wenn wir es genau betrachten: Manches davon sieht man ja schon hier und
jetzt. Wenn dieses geistliche Leben sich zu regen beginnt. Wenn ein
Mensch geistlich lebendig wird, weil er mit Christus "zusammengebacken"
wurde. Da lernt ein Mensch, der sich vorher nicht sicher wahr: Gibt es
Gott überhaupt? Da lernt er, auf seinen lieben Vater im Himmel zu
vertrauen. Da merkt einer, der sich früher nie für kirchliche
Fragen
interessiert hat. Der merkt auf einmal: Wenn ich sonntags morgens nicht
im Gottesdienst war, dann fehlt mir irgend etwas. Es zieht mich hin zum
Wort Gottes, und hin zu den anderen Christen - und ich kann gar nicht
erklären, warum. Da fängt einer an, der früher immer
gesagt hat: In
mein Leben - da lasse ich mir von niemandem hereinreden. Ich bestimme
selbst, was ich tue und lasse. Da fängt der auf einmal an zu
fragen:
Herr, was willst du, das ich tue? Und wenn er darin versagt hat, dann
spürt er den Schmerz, den er seinem Herrn damit zufügt. Ich
lebe, und
ihr sollt auch leben. Und da weiß einer, der sich vorher nie
sicher
war, ob Gott so einen wie ihn überhaupt lieben kann. Der
weiß auf
einmal: Alle meine Sünden sind vergeben, und zwischen mir und dem
Herrn
herrscht jener Frieden, der höher ist, als alle Vernunft
(Philipper
4:7). Ja, im Verborgenen, da beginnt dieses Leben schon jetzt.
Und wie viel herrlicher, wie viel vollkommener wird es sein an dem Tag,
wenn die Toten auferstehen! Und so muss man sagen: Ein Christ - der
kann eigentlich gar nicht anders, als ewiges Leben zu haben. Jesus
Christus lebt in Ewigkeit. Und er, der Christ. Er ist so eng mit
Christus zusammen - "ein Kuchen". Dass ihm auch die Auferstehung
Christi, sein ewiges Leben. Dass es ihm gehört. Ja - es wirklich
eine
wahre Schatzkammer, die sich uns da auftut. Es ist wahrlich ein
"fröhlicher Wechsel", ein wunderbarer Austausch. Und er gibt mir
alle
Schätze, die ihm gehören. Wenn das kein Grund zur Freude ist!
Wenn das
kein Grund ist, voller Zuversicht ins Neue Jahr zu gehen.
3. Die verbindenden "Lichtstrahlen des Evangeliums"
Ich möchte in einem letzten Gedanken noch einmal zur Frage vom
Anfang
zurückkommen: Wie kann das eigentlich zugehen, dass ein Christ so
eng
mit Christus verbunden ist? Wie kann es sein, dass Christus zugleich im
Himmel ist - und auch auf Engste verbunden mit seinen Jüngern?
Jesus
sagt seinen Jüngern hier: "Es ist noch eine kleine Zeit,
dann wird
mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen." Und er
spricht dabei über seine Himmelfahrt: Wie er zurückgeht zum
Vater. Und
er spricht darüber, wie er uns von dort, vom Thron Gottes, seinen
Heiligen Geist sendet.
Wir kommen damit zu dem Bild, das ich euch zur Jahreslosung ausgegeben
habe. Und ich will euch sagen: Manchmal staune ich darüber, wie
Gott
mit seinen Christen spricht, und wie er ihnen durch die Jahrhunderte
immer wieder die gleichen Bilder schenkt, um sein Evangelium zu
erklären. Als das Foto längst fertig war, der Spruch dazu
gesetzt,
Gedanken zur Auslegung gemacht. Da entdeckte ich in einer 450 Jahre
alten Glaubenslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin das Bild von
der Sonne und von den Lichtstrahlen - nicht gezeichnet, sondern in
Worten beschrieben (vgl. Institutio IV,17,12 - im Zusammenhang mit dem
Abendmahl). Also: meine Idee ist durchaus nicht neu.
Nehmt also das Bild zur Hand, und schaut, wie die Blätter
leuchten. Es
ist noch Schatten da, aber dort, wo die Sonnenstrahlen auftreffen, da
strahlt es auf. Wenn man eine Lupe nehmen würde, dann könnte
man die
einzelnen Pflanzenzellen sehen. Aus dem Biologieunterricht wissen wir,
dass diese Zellen gleichsam von dem Sonnenlicht leben. "Photosynthese"
nennt der Wissenschaftler dieses Wunderwerk der Schöpfung,
"Zusammenbau
durch Licht". Diese Blätter bauen die Nahrung der Pflanze
zusammen, und
sie nehmen für diesen Vorgang das Licht zu Hilfe. Es ist gleichsam
ihre
"Lebensenergie". Ohne das Licht wäre kein Leben in ihnen. Es ist
auf
dem Bild nicht zu sehen, wo das Licht herkommt. Aber wir können es
erahnen: Es ist die Sonne, die hoch am Himmel steht, ihre Lichtstrahlen
sendet, bis sie nach einer langen Reise, nach Millionen von Kilometern
schließlich bei diesen Blättern ankommen. Und ihnen Leben
schenken. Es
ist wirklich ein großes Wunderwerk der Schöpfung, wie hier
alles
zusammenspielt.
Im Bild gesprochen: Christus ist gleichsam die Sonne des Lebens. Von
ihm geht alle "geistliche Lebensenergie" aus, alles Licht, das für
wahres Leben notwendig ist. Und so schickt er vom Thron des Vaters
seine Lichtstrahlen zu uns. Diese Lichtstrahlen sind es, die das
Auferstehungsleben unseres Herrn zu uns bringen. Was ist das für
ein
erstaunliches Licht? Es ist das Licht des Evangeliums, die frohe
Botschaft des Wortes Gottes. Und dieses Wort, es ist nicht ein Wort
unter vielen Worten und Wörtern. Sondern es ist ein lebendiges
Wort. Es
bringt uns etwas mit von Christus, der Sonne. Es bringt uns seinen
Heiligen Geist. "Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind
Geist und sind Leben." (Johannes 6:63) So drückt es Jesus einmal
an
einer anderen Stelle im Johannesevangelium aus. Durch diese
Lichtstrahlen kommt das Leben unseres Herrn zu uns. Durch dieses Wort
geschieht es letztlich, dass ich mit meinem Herrn "ein Kuchen" sein
kann. Dieses Wort ist es, das den "fröhlichen Wechsel" in Gang
setzt.
Was haben wir davon, das wir das wissen? Ich denke: Hier wird das Ganze
auf einmal ganz praktisch. Denn hier können wir eine ganz
bestimmte
Anregung mit ins Neue Jahr nehmen: Wenn du das erfahren willst, wie du
mit Christus ganz eng verbunden wirst. Und wenn du erfahren willst, wie
du dann mit Christus ganz eng verbunden bleibst. Wie er überall
ist, wo
du auch bist. Wie du in ihm bist, und er in dir. Wie alle Schätze,
die
sein sind, nun dir gehören. Wie du mit ihm gekreuzigt bist, und
alle
deine Schuld ist vergeben. Wie du lebst, weil er auferstanden ist, und
auch lebt. Wenn du das erfahren willst, dann solltest du viel Umgang
mit dem Wort Gottes haben. Höre das Wort Gottes. Schlage
deine Bibel
auf und lies das Wort Gottes. Ja - studiere das Wort Gottes
sorgfältig,
nimm dir Zeit dafür, "kaue es durch", bis du es ganz in dich
aufgenommen hast. Denk an das Bild: Je mehr Umgang du damit hast, desto
mehr Licht kommt in dein Leben. Desto mehr wird sein Heiliger Geist
dich erleuchten. Desto mehr wirst du etwas von der Wärme der Sonne
merken. Von Christus, der unser Leben ist.
Nehmt das mit ins Neue Jahr. Und erfahrt den Segen dieser großen
Wahrheit. Erfahrt den Segen der tiefen Gemeinschaft mit Christus. Der
uns sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben. Amen.
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