57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir
folgen, wohin du gehst. 58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse
haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber
der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. 59 Und er sprach
zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir,
daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. 60 Aber Jesus
sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin
und verkündige das Reich Gottes! 61 Und ein andrer sprach: Herr,
ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied
nehme von denen, die in meinem Haus sind. 62 Jesus aber sprach zu ihm:
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht
geschickt für das Reich Gottes.
Liebe Gemeinde,
Jesus senkt die Preise nicht. Er selbst hat den höchsten Preis
bezahlt, um uns loszukaufen - aus der Gewaltherrschaft der Sünde,
des Todes und des Teufels. Er hat dafür mit seinem eigenen Leben
bezahlt - am Kreuz von Golgatha. Und nun informiert er uns ehrlich,
womit wir unsererseits zu rechnen haben. Wenn wir als Losgekaufte
ihm nachfolgen, und er unser Herr und Meister ist. Da gibt es kein
Feilschen und Verhandeln. Da verkündet Jesus keine billigen
Lockvogelangebote. Sondern ein Leben in seiner Nachfolge - das gibt es
nur zum Festpreis. Zu dem Preis, den Jesus in Worten wie hier in
unserem Predigttext klar und deutlich benennt. Schauen wir uns diese
drei Begegnungen näher an.
Wir erfahren nur wenig von den drei Männern, die hier eine
entscheidende Begegnung mit Jesus haben. Wenn wir davon ausgehen, dass
es sich in der Parallelstelle in Matthäus 8 (Matthäus
8,19-22) um die gleiche Begebenheit handelt wie hier, dann ist der
erste dieser Männer ein Schriftgelehrter. Im Israel der damaligen
Zeit hieß das: Er hatte keine schwere körperliche Arbeit zu
verrichten wie etwa die Arbeiter im Weinberg, die Jesus in einem seiner
Gleichnisse erwähnt (Matthäus 20:1ff), und er stand nicht in
einem solchen Existenzkampf. Er war angesehen in seiner Gesellschaft,
ein Mann von Stellung, der einen guten Ruf zu verlieren hatte. Und nun,
in der Nachfolge Jesu- erwartet er, dass einfach alles so weiter geht.
Es ist bis heute ein Irrtum, dass ein Leben in der Nachfolge Jesu
meinen Alltag grundsätzlich erleichtert, dass meine Probleme
abnehmen, und es mir insgesamt so richtig gut geht. Abgesehen
natürlich von den üblichen Schlägen des Lebens, die
jedermann von Zeit zu Zeit abbekommt, ob er Christ ist oder nicht.
Und so gibt es Prediger, die damit werben: Entscheide dich heute
für ein Leben als Christ, und du wirst deine Lebensprobleme in den
Griff bekommen - sei es in Beruf, Familie oder Partnerschaft. Besonders
Enthusiastische versprechen darüber hinaus körperliche
Gesundheit oder materiellen Wohlstand - also mehr Geld im Portemonnaie.
All das bringt mir Jesus, wenn ich nur meinen Teil des "Deals"
erfülle - und mich von ganzem Herzen für seine Nachfolge
entscheide. Du hast noch nie diese Art von Predigten gehört oder
diese Art von christlichen Büchern gelesen? Dann hast du auch
nichts verpasst. Aber vielleicht weiß der eine oder andere von
euch auch, wovon ich rede.
Mir geht es dagegen - kurz gefasst - um folgendes Prinzip der
Nachfolge: Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, und in die Nachfolge
seines Herrn tritt. Dann nehmen seine Lebensprobleme nicht automatisch
ab. Im Gegenteil: Mancher bekommt noch Probleme dazu, von denen er
vorher überhaupt nichts ahnte. "Die Füchse haben Gruben, und
die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat
nichts, wo er sein Haupt hinlege." Während seiner Zeit auf Erden
war Jesus kein angesehener, wohlhabender Herr mit großem Gutshof.
Sondern er war ein heimatloser Wanderprediger, genau so wie die
zwölf Jünger, die mit ihm waren.
In unserem wohlhabenden Land mit gesetzlich garantierter
Religionsfreiheit können wir so etwas nur schwer nachvollziehen.
Man müsste wohl die christlichen Flüchtlinge fragen, die in
ihrer Heimat wegen ihres Glaubens verfolgt, beraubt und mit dem Verlust
ihres Lebens bedroht werden. Sie wissen, warum man manchmal nicht
weiß, wo man in der nächsten Nacht schlafen wird - so wie
Jesus selbst, der nichts hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Dem
Schriftgelehrten, der hier Jesus nachfolgen möchte. Dem wäre
es vielleicht ähnlich ergangen, wenn er plötzlich im Kreis
seiner Kollegen das Bekenntnis abgelegt hätte: Dieser Jesus ist
tatsächlich der Retter, der Messias, den unsere Propheten
verheißen haben. Denken wir daran, was später der Apostel
Paulus - ebenfalls ein Schriftgelehrter - durchmachen musste, nachdem
er Christ geworden war.
Aber auch mitten im Wohlstand kann man erfahren, warum Jesus sagt
(Matthäus 16:24-25): "Will mir jemand nachfolgen, der verleugne
sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. 25 Denn wer
sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; wer aber sein Leben
verliert um meinetwillen, der wird's finden." Auch bei uns kann jemand
einsam werden - weil seine Familie seinen Schritt in die Nachfolge Jesu
nicht nachvollziehen kann. Sein konsequentes Leben nach der Bibel gilt
den Seinen als "extrem", und so rückt man von ihm ab. Leider
bleiben in einem so toleranten Land wie unserem bei weitem nicht alle
tolerant - wenn es um nicht um irgendwelche Mitbürger geht,
sondern um die Einstellungen von Tochter, Sohn, Bruder oder Partner.
Und einem anderen frisch gebackenen Christen, bisher immer angesehen
und erfolgreich in seinem Beruf. Dem mag auf einmal der Wind ins
Gesicht blasen. Weil er bestimmte Anforderungen und Praktiken nicht
mehr mitmachen kann. Denn sein christliches Gewissen steht ihm "im
Weg". Und der Vorgesetzte bedeutet ihm unverhohlen, dass diese neue
Einstellung nicht der Weg zum Erfolg sein wird.
Jesus sagt das nicht, um uns Angst einzujagen oder uns das Leben als
Christ madig zu machen. Sondern er ist ehrlich zu uns. Er bereitet uns
auf das vor, was auf einen Christen zukommen kann. Denken wir in diesem
Zusammenhang an die vielen Worte, mit denen er uns klar macht: Ich
lasse meine Jünger nicht hängen. Und sie brauchen sich nicht
zu sorgen (Matthäus 6): "31 Darum sollt ihr nicht sorgen und
sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir
uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer
himmlischer Vater weiß, daß ihr all dessen
bedürft. 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach
seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen." Diese Worte
gelten für alle, die für sich anerkennen: Jesus senkt die
Preise nicht. Die können sich auf ihn in allem verlassen.
"Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß
ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind." Aus
verschiedenen Gründen würde ich gern die dritte Begegnung
gleich im Anschluss bedenken, und erst dann auf die zweite eingehen.
Jesus antwortet hier mit dem bekannten Wort: "Wer seine Hand an den
Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das
Reich Gottes." Der Sinn dieses praktischen Vergleichs liegt auf der
Hand: Damals gab es noch keine Pflügemaschinen, die per
Satellitensteuerung gerade Furchen auf dem Acker zogen. Sondern der
Bauer musste beim Pflügen immer exakt nach vorne peilen, um
für sich und sein Zugtier die Spur zu behalten. Wehe, er schaute
während der Arbeit zurück. Dann wurden die Furchen krumm, und
sein Werk war verdorben.
Kann ein Christ die Hand an den Pflug legen, und zurück schauen?
In diesem Zusammenhang möchte ich von einer besonderen Anfechtung
sprechen: Vom christlichen Selbstmitleid. Ja, ich denke, es gibt eine
besondere Art von Selbstmitleid. Ein Selbstmitleid, das so nur ein
gläubiger Mensch empfinden kann. Einer, der Jesus nachfolgt. Und
meistens einer, der Jesus schon seit vielen Jahren nachfolgt. Der
schaut irgendwann in seinem Leben zurück, und er schaut auf die
Menschen um sich, und vergleicht. Er überlegt und zieht Bilanz:
Was habe ich eigentlich davon gehabt, dass ich mich um ein Leben als
ernsthafter Christ bemüht habe? Was habe ich deswegen alles schon
für Gelegenheiten verpasst? Im Beruf? Bei Freunden? Bei der Suche
nach einem Lebenspartner? Immer mehr fällt ihm ein. Und dann zieht
die dunkle Wolke des christlichen Selbstmitleids auf, und bedeckt sein
Herz. Und er legt die Hand an den Pflug, und schaut zurück.
Es gibt eine Begebenheit aus China, wie sich sich ähnlich in
diesem Land wohl tausendfach zugetragen hat. Denn in China wurde die
christliche Minderheit schon immer misstrauisch beäugt, und war
auch immer wieder staatlichen Repressalien ausgesetzt. Ein wohlhabender
Chinese hatte nach seinem Übertritt zur christlichen Gemeinde
allerlei Verfolgungen von Seiten seiner Großfamilie zu erleiden.
Sein einstmals blühendes Geschäft wurde boykottiert, und so
war er mehr und mehr verarmt. Als ihn einige seiner nichtchristlichen
Freunde besuchten, bedauerten sie ihn: "Früher hattest du einen
herrlichen großen Garten, jetzt hast du nur noch ein
ärmliches Stückchen Erde und wohnst in einer Hütte." Der
Mann ging auf das Bedauern seiner Freunde nicht ein, sondern antwortete
lächelnd: "Ja, mein Garten ist klein, auch nicht sehr lang, und
nicht sehr breit. Aber " - und dabei wies er mit seiner Hand zum Himmel
- "aber er ist sehr hoch." Und vielleicht dachte er dabei an das Wort
des Apostels Paulus (Kolosser 3) "1 Seid ihr nun mit Christus
auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur
Rechten Gottes. 2 Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem,
was auf Erden ist."
Und so habe ich auch das beste Heilmittel gegen christliches
Selbstmitleid an der Hand. Dann, wenn die Anfechtung kommt, und ich
meine Hand an den Pflug lege, und zurückschaue. Dann denke ich
daran, welchen Preis Jesus für meine Erlösung bezahlt hat, am
Kreuz von Golgatha. Damals, als er mich von Sünde, Tod und Teufel
befreit hat. Und wie er mir damit einen Platz im Himmel erkauft hat.
Wenn ich als Christ beim Pflügen strikt nach vorne schaue, und
geradeaus gehe in der Nachfolge meines Herrn. Dann mache ich mir klar:
Egal, wie es mir jetzt ergeht, gut oder schlecht. Das Beste kommt noch.
Es liegt vor mir. Und nicht einmal der Tod kann mich davon scheiden.
Oder wie der Chinese sagte: Ich habe zwar einen kleinen Garten. Aber er
ist sehr, sehr hoch.
Ich setze die zweite Begegnung bewusst an den Schluss dieser
Auslegung. Und vielleicht ist diese Begegnung die entscheidende, die
provozierendste von allen dreien. In ihr beschreibt Jesus den Weg von
einem guten Menschen zu einem gläubigen Menschen. Ja, ihr habt
richtig gehört: von einem guten Menschen zu einem gläubigen
Menschen. Und der Preis, der hier zu entrichten ist - der mag auf den
ersten Blick überraschend erscheinen.
"Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater
begrabe." Wir müssen diese Aussage nicht notwendig so verstehen,
dass hier für den nächsten Tag ein Beerdigungstermin
angesetzt war. Und dass Jesus nun dem Sohn untersagt, seinen Vater in
aller Würde zu bestatten. Man kann den Wunsch dieses Mannes
dagegen auf das vierte Gebot beziehen: Du sollst Vater und Mutter
ehren. D.h. der Mann hatte einen alten Vater, für den er zu sorgen
hatte. Nach menschlichem Ermessen hatte dieser nicht mehr lange zu
leben. Und der Mann sagt Jesus: Lass mich wenigstens so lange bei
meinem Vater, wie er noch lebt. Lass mich dieses gute Werk noch an ihm
tun. Später, wenn ich ihn begraben habe, dann ist die Pflicht des
Sohnes erledigt. Dann will ich dir nachfolgen.
Verlangt Jesus hier zu viel? Setzt sich Jesus hier gar in Gegensatz zum
vierten Gebot? Und stellt er den Mann vor die Alternative: Was
schätzt du höher ein? Mich, Jesus, oder das geschriebene Wort
Gottes? Mit Sicherheit will Jesus nicht darauf hinaus. Sagt er doch
seinen Jüngern in der Bergpredigt (Matthäus 5): "17 Ihr sollt
nicht meinen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten
aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu
erfüllen. 18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und
Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein
Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht."
Es muss also etwas anderes dahinter stecken. "Laß die Toten ihre
Toten begraben!" Dieser Satz passt zu einer Art der Seelsorge, die
Jesus auch an anderen Stellen anwendet: Auf den ersten Blick
befremdlich, provozierend, aber immer mit einem bestimmten Ziel im
Blick. So auch hier: Hätte der Mann in unserem Text
tatsächlich auf den Ruf Jesu gehört, dann hätte Jesus
schon dafür gesorgt, dass sich jemand um den alten Vater
kümmert. Denken wir an die Verheißung "Sorget nicht!" aus
der Bergpredigt, die ich vorhin erwähnt habe.
Doch Jesus geht es darum, eine innere Haltung bei diesem Mann
aufzudecken. Denn der benutzt die moralischen Guttaten an seinem Vater
als Ausrede - als Ausrede, um dem Ruf Jesu auszuweichen: Ich muss so
viel Gutes tun, dass der persönliche Anruf Jesu mir ganz und gar
ungelegen kommt. Warum ruft er mich auch? Ich will doch nur meine
Pflichten erledigen. Ich bin ein guter Mensch. Ich brauche ich keinen
Herrn und Retter.
"Lass die Toten ihre Toten begraben". Ich habe in meinem Dienst so
manche Beerdigung abgehalten. Aber glaubt mir: Bei allen waren
die Sargträger und die Totengräber immer quicklebendig...
"Lass die Toten ihre Toten begraben". Dieser Satz macht nur dann Sinn,
wenn Jesus hier nicht von absurden Beerdigungen spricht. Sondern von
geistlich toten Menschen. Denen das wahre, geistliche Leben fehlt. Das
Leben aus dem Geist Gottes, das nur Jesus schenken kann.
Deshalb hat so ein guter Mensch, der denkt: Mir fehlt doch nichts. Der
hat in der Begegnung mit Jesus in der Tat einen hohen, ja vielleicht
den höchsten Preis zu zahlen: Er muss sich von seiner
Selbstgerechtigkeit trennen. Ob er nun einen kranken Angehörigen
pflegt, bis zur Selbstaufgabe. Ob er ein Muster an Berufspflicht
darstellt. Oder was auch immer. Wenn Jesus ihn ruft, dann zählt
das alles nicht. "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse
überall hin", so lautet ein cooler Spruch. Leider liegt dieser
Spruch völlig falsch. Deshalb werden die guten Mädchen -
ebenso wie die bösen - an der Himmelspforte feststellen: Für
mich leider verschlossen. Es sei denn - es sei denn, sie haben sich von
Jesus rufen lassen und sind ihm gefolgt.
Und so wäre die richtige Antwort des zweiten Mannes an Jesus nicht
gewesen: Lass mich zuerst meinen Vater begraben. Lass mich zuerst ein
Leben als guter Mensch führen. Sondern die richtige Antwort
wäre gewesen: Herr, sei mir Sünder gnädig. Ich bin es
nicht wert, dass du mich in deine Nachfolge rufst. Aber ich will darauf
vertrauen, dass du mein Erlöser bist. Dieser Ruf Jesu gilt bis
heute: Lass die geistlich Toten ihre Toten begraben und sich selbst um
ihr moralisch vorbildliches Leben kümmern. Du aber komm zu Jesus.
Und werde von einem guten Menschen zu einem gläubigen Menschen.
Wenn du heute diesen Ruf Jesu hörst, und du merkst: Ich bin
gemeint. Wie wirst du reagieren? Bist du bereit, auch diesen Preis zu
zahlen? Und dich von aller Selbstgerechtigkeit zu trennen?
Ja, es ist wahr: Jesus senkt die Preise nicht. Er macht keine
Lockvogelangebote. Er verspricht kein bequemes Leben. Aber er ist es
wert. Denn er selbst hat den höchsten Preis für mich gezahlt:
Er gab sein Leben, am Kreuz von Golgatha. Deshalb wollen wir seinem Ruf
folgen. Und die Toten ihre Toten begraben lassen. Amen.