"Gott gedachte es gut zu machen" - Predigt über 1. Mose 50,14-21 zum Allianzgottesdienst auf dem Hirschkopf in Carlsfeld, 19. Juni 2005

14 Als sie ihn nun begraben hatten, zog Josef wieder nach Ägypten mit seinen Brüdern und mit allen, die mit ihm hinaufgezogen waren, seinen Vater zu begraben. 15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. 16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.
18 Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? 20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Liebe Geschwister aus den Gemeinden, liebe Gäste,
Gottes Pläne setzen sich immer und überall durch - selbst gegen den Widerstand des Bösen. Er ist der Herr über alles. Deshalb müssen wir keine Angst und Sorge haben - weder vor übelwollenden Menschen, noch vor unseren eigenen Dummheiten. Deshalb können wir es uns auch leisten, zu vergeben und auf Rache zu verzichten - ja, es ist uns sogar ausdrücklich geboten.

1. Ihr gedachtet es böse zu machen...

Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. Ich selbst kann mit diesem Satz eine Menge verbinden, in meiner Lebensgeschichte mit Gott. Worum genau es sich handelt, wäre im Rahmen einer Predigt sicher zu privat und zu persönlich, um es zu erzählen - aber glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede. Nun: wie geht es euch damit, wenn ihr diesen Satz hört? Gibt es Menschen, von denen ihr sagen könnt: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen? Das weiß ich jetzt, das kann ich jetzt  bezeugen, nachdem Gott alles zu einem guten Ende geführt hat?
Sicher wären das nicht unbedingt solche Erlebnisse, wie Josef sie hatte: Der von seinen eigenen Brüdern in die Sklaverei verkauft wurde - um dann, im Verlauf der Jahre, in einem fremden Land, fern der Heimat, in eines der höchsten Staatsämter aufzusteigen. Aber auch manche andere Not und Anfeindung - und mitten darin Gottes Bewahrung - kann sich hinter einem solchen Zeugnis verbergen.
Eigentlich ist dieser Satz - so dachte ich. Eigentlich ist er so etwas wie eine ganz persönliche Art, den ersten Satz unseres Glaubensbekenntnisses auszudrücken: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. Was bedeutet es anderes, als: Gott hat alles in der Hand, tatsächlich alles? Und damit auch jede Stunde unseres Lebens?
In guten Zeiten geht einem ein solcher Satz wahrscheinlich leichter über die Lippen: Gott gedachte es, gut zu machen. Aber: was hätte dieser Satz z.B. für unseren Herrn Jesus Christus bedeutet? Wenn wir uns vorstellen, er hätte ihn auf seinem letzten Gang seinen Folterknechten gesagt? Und vorher seinen ungerechten Richtern, die ihn zum Tode verurteilten? Nun - auch ihm ging in seinen schwersten Stunden nicht alles leicht von den Lippen. Und er konnte am Kreuz auch ganz anders rufen als mit dieser Zuversicht. Denken wir an seinen Schrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Markus 15:34)
Dennoch - spätestens nach drei Tagen war ganz klar: sie dachten alle, es böse mit Jesus zu machen, und sie dachten, sie wären ihn nun endgültig los. Doch Jesus erlöste mit seinem Tod die Welt, besiegte den Teufel, verließ sein Grab, und setzte sich auf den Platz des Weltherrschers - zur Rechten Gottes, des Vaters. Es scheint, als hätte Josef hier - Jahrtausende vor Christi Geburt - ein geistliches Grundgesetz formuliert: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.
Was könnte das für mich bedeuten, wenn ich gerade in einer schwierigen Lage bin? Wenn ich auf der Arbeit mit Kollegen oder einem Chef zusammen bin, die mich nicht zum Zuge kommen lassen? Ja, die vielleicht sogar mit üblen Tricks arbeiten - "Mobbing", wie man das heute nennt? Was könnte das für einen Schüler bedeuten, der von seinen Mitschülern ins Abseits gestellt wird? Ja, vielleicht sogar bedroht wird? Was könnte das für einen bedeuten, der - völlig zu Unrecht - in einen Gerichtsprozeß verwickelt wird? Nur, damit ein geldgieriger sogeannter "Mitmensch" ihm etwas abnehmen kann? Man könnte noch viele andere Beispiele anfügen.
Es ist gut, wenn wir uns immer wieder den großen Satz: Ich glaube an Gott, den Allmächtigen. Wenn wir ihn uns umwechseln in "kleine Münze", für den persönlichen Gebrauch: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen. Dann geben wir nämlich Gott den Ehrenplatz, der ihm in unserm Leben gebührt: Den Platz über alle anderen Plätze. Den Rang des Herrschers der ganzen Welt - und damit auch den Rang des Herrschers über jeden einzelnen Tag in meinem Leben.

2. So fürchtet euch nun nicht

Wenn das so ist - warum haben dann die Brüder Josefs solche Angst? Sie glaubten doch auch an den Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat? Wenn man genau hinschaut, dann haben sie nicht nur Angst - sondern sie verhalten sich völlig kopflos und unsinnig. Hatte Josef sie nicht straflos ausgehen lassen, ja ihnen schon längst vorher sichtbar und deutlich vergeben? Jetzt aber argwöhnen sie, er habe sie bisher nur aus Rücksicht auf ihren alten Vater Jakob geschont - und danach würde es ihnen an den Kragen gehen. Völlig undiplomatisch sprechen sie nicht selbst bei Josef vor, sondern lassen ihre zweifelhafte Botschaft auch noch von einem anderen ausrichten. Wenn Josef wirklich so wankelmütig ist - wird er dann bei einem solchen Verhalten nicht erst recht zornig werden? Ihre Schuld beschönigen sie dabei nicht, das ist ihnen anzurechnen. Aber warum schieben sie jetzt ihren verstorbenen Vater vor? "Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so übel an dir getan haben." Ich habe gesucht, wo Jakob  so etwas gesagt haben könnte. Ich mag mich täuschen - aber es sieht so aus, als ob die Brüder sich diese Anweisung Jakobs ausgedacht hätten, vor lauter Angst.
Es scheint tatsächlich so, dass einem die Zuversicht auf diesen Satz durchaus abhanden kommen kann: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen. Und man vertraut dann überhaupt nicht mehr auf Gottes gute, gnädige Führung. Nun mag es dafür verschiedene Ursachen geben, warum ein Mensch nicht mehr auf Gott vertrauen kann. Große persönliche Nöte und Anfechtungen können sich dahinter verbergen.
Hier aber hat ihr Glaubensproblem offensichtlich eine ganz bestimmte Ursache: sie haben ein schlechtes Gewissen. Sie können sich noch allzu gut daran erinnern, wie sie ihren Bruder Josef zuerst in eine Grube geworfen haben. Und wie sie ihn dann einer Sklavenkarawane mit auf den Weg gaben. "Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen", wie das Sprichwort sagt.
Die Bibel weiß, dass auch das Gegenteil davon der Fall sein kann. "Der Gottlose flieht, auch wenn niemand ihn jagt; der Gerechte aber ist furchtlos wie ein junger Löwe." (Sprüche 28:1) So heißt es treffend im Buch der Sprüche über die Lebensangst. Über die Lebensangst eines Menschen, der nicht im Reinen mit Gott lebt.
Über sein eigenes Volk sagt Mose voraus, wie es ihnen ergehen soll, wenn sie sich von Gott abwenden: "Und denen, die von euch übrigbleiben, will ich ein feiges Herz machen in ihrer Feinde Land, daß sie ein raschelndes Blatt soll jagen, und sie sollen davor fliehen, als jagte sie ein Schwert, und fallen, wo sie doch niemand jagt." (3. Mose 26:36) Ein raschelndes Blatt, ein Schatten am Abend, ein Anruf, ein merkwürdiger - aber bedeutungsvoller? - Blick eines Kollegen, morgens auf der Arbeit. Es gibt viele scheinbare "Kleinigkeiten", die einem Menschen mit einem belasteten Gewissen Angst einjagen können. Weil ihm das Gewissen sagt: Jetzt - jetzt wird es alles herauskommen. Jetzt bin ich dran.
Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? So sind die ersten Sätze Josefs, die Antwort auf diese Lebensangst seiner Brüder. Wir werden noch darüber zu reden haben, wie das mit seiner eigenen Bereitschaft zusammenhängt. Der Bereitschaft, seinen Brüdern zu vergeben. Hier aber frage ich, ob er damit nicht auch meint: Was wendet ihr euch zuerst an mich? Solltet ihr euch nicht zuerst an Gott wenden? Seine Vergebung zuerst suchen? Stehe ich an Gottes Statt? Solltet ihr euch nicht zuerst mit ihm - dem lebendigen Gott - zu  versöhnen? In der Tat hätten sie dann keinen Grund mehr, sich zu fürchten. Selbst dann nicht, wenn Josef es - wider Erwarten - doch böse mit ihnen meinen sollte. "So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen." Josef dagegen bemüht sich, alle ihre Bedenken zu zerstreuen - dass sie auch von ihm nichts zu befürchten hätten. Ob sie auch das andere angenommen haben? Dass sie von Gott nichts zu befürchten haben - wenn sie mit ihm wieder ganz im Reinen sind? Dass er es - ganz im Gegenteil - auch mit ihnen gut machen würde, egal was kommt?
Wir können diese Anregungen durchaus auch für uns selbst mitnehmen. Zuerst die Frage: Bin ich mit Gott im Reinen? Oder quält mich ein schlechtes Gewissen und Ängste - weil ich eine bestimmte Sache nicht in Ordnung gebracht habe? Und ebenso, das andere, die Zusage: Wenn ich mit Gott im Reinen bin. Dann habe ich tatsächlich überhaupt keinen Grund, mich vor irgendetwas zu fürchten. Schließlich gilt diese Zusage auch für mich, selbst in schwierigster Lage: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen. So fürchtet euch nun nicht.

3. Stehe ich denn an Gottes Statt?

Ich habe schon gesagt, dass wir diesen Satz Josefs noch einmal genauer betrachten müssen: Stehe ich denn an Gottes Statt? Erstaunlich genug finde ich es schon, das Verhalten Josefs. Wenn ich überlege, was sich heutzutage Verwandte, Eltern, Kinder, Ehepartner einander antun können. Da schüttelt man manchmal den Kopf. Da tut man sich heimliche oder offene Bosheiten an, manchmal zieht man sich sogar gegenseitig vor Gericht, redet miteinander nur "über meinen Anwalt". Und einen Weg, wieder zusammenzukommen, den gibt es schon gar nicht. Vielmehr sagt jeder in Bezug auf den anderen: "Dem zeig' ich es jetzt 'mal."
Umso erstaunlicher finde ich das Verhalten Josefs. Immerhin geht es dabei nicht nur um das Erbteil von Tante Emma, das jetzt "ganz gerecht" verteilt werden soll. Sondern man hatte ihm wirklich übel mitgespielt. Es war ja schon erstaunlich, dass er den Transport in die Sklaverei überlebt hat, und die Jahre danach. Selbst dann, wenn er es in seiner neuen Heimat schließlich geschafft hat, "Karriere" gemacht hat. Könnte man es Josef verdenken, wenn er jetzt die Gelegenheit nutzen würde? Als seine Brüder kamen, und um Essen bettelten. Dass er ihnen alle ihre Bosheiten heimzahlte? Nach dem Motto: Jetzt sollt ihr einmal spüren, wie das ist - in der Hand fremder, mächtiger Menschen zu sein? Gerechtigkeit muß schließlich sein - und ihr habt es wahrlich verdient! Josef reagiert nicht so. Und ich finde darin nicht nur eine menschliche Größe, in seinem Charakter. Sondern auch eine geistliche Begründung, die von einer bemerkenswerten Tiefe zeugt. Stehe ich denn an Gottes Statt? Nur: Was meint er damit?
Zum einen fällt mir dazu wieder ein Satz aus dem Glaubensbekenntnis ein. Da heißt es von unserem Herrn Jesus Christus: "Er wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten." Paulus schreibt der Gemeinde in Rom: "Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« " (Römer 12:19) Schon Josef wußte offensichtlich: Wenn ich mich räche - selbst dann, wenn mir ein schlimmes Unrecht angetan wurde. Wenn ich mich räche, dann versuche ich, mich auf den Thron Gottes zu setzen. Auf seinen Richterstuhl. Nur: Dieser Platz gebührt dir ganz und gar nicht, als Mensch. Wenn du dich rächst: dann ist das im Grunde  "Amtsanmaßung" in ihrer schlimmsten Form. Denn du maßt dir das Amt Gottes an. Und da kannst du sicher sein: diese "Amtsanmaßung" wird sich unser Herr mit Sicherheit nicht gefallen lassen. Ich will vergelten, der Herr - und nicht du, Mensch. Um diese Weisheit wußte offensichtlich schon Josef: Stehe ich denn an Gottes Statt?
Zum anderen sehe ich darin ein tiefes Vertrauen in Gottes wunderbare Weltregierung. Das Vertrauen darauf, das unser Herr immer und überall "die Fäden in der Hand hat". "Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk." Schließlich war Josef durch seinen Verkauf in die Sklaverei erst nach Ägypten gekommen, und dort in eine hohe Position. In eine so hohe Position, dass er seinen Brüdern und ihren Familien jetzt helfen konnte, mitten in der Hungersnot.
"Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade." So heißt eine alte Weisheit über Gott, über das Leben und seine Führungen. Oder, um es etwas deftiger auszudrücken: Gott kann aus dem ganzen "Mist", den wir immer wieder bauen. Er kann daraus pures "Gold" machen - wertvolle, unerwartete Lebenswendungen. Wo selbst die Schuld und die Fehler der Menschen zu einem guten Ende gelangen können. Sicher: das ist keine Ausrede, verantwortungslos an Gott und an Gottes Wort vorbeizuleben. Wir sollen die "krummen" Lebenswege nicht suchen. Aber wir dürfen wissen: selbst da, wo wir völlig versagen - kann Gott etwas Gutes, Wertvolles, ja gänzlich Unerwartetes machen. Ich finde das außerordentlich entlastend und befreiend - angesichts der vielen Dummheiten und auch Bosheiten, die man immer wieder begeht, auch als Christ. Selbst da, wo ich etwas Böses machen wollte - kann Gott mit seiner guten, allmächtigen Hand immer noch etwas Gutes daraus machen. Ist das nicht wunderbar?
Wir verstehen jetzt vielleicht noch besser, warum Josef auf jede Rache verzichtet hat. Wenn er sich jetzt noch an seinen Brüdern gerächt hätte - dann hätte er Gottes wunderbaren Plänen und Führungen mißtraut, sie in Frage gestellt. Der aus den Bosheiten der Brüder einen Segen für ein ganzes Volk gemacht hatte. Dann hätte sich Josef an Gottes Statt gestellt. Und gesagt: Ich weiß es besser als der Allmächtige, was jetzt nötig ist. Ich weiß, das man jetzt Gericht und Rache üben muß - sie dürfen nicht einfach so davonkommen.
Nein, Geschwister - wir stehen nicht an Gottes Statt. Wir sitzen nicht auf seinem Richterstuhl. Und wir sitzen auch nicht am Steuer seiner Weltregierung, und wissen es besser. Wie man mit all den Bosheiten der Menschheit umgehen kann - mit denen der anderen Menschen, und mit unseren eigenen. Nein, das wollen wir Gott überlassen. Lasst uns vielmehr ein gutes Gewissen behalten. Versöhnt mit unserem Herrn leben. Und immer darauf vertrauen: Gott gedachte es gut zu machen. Da brauchen wir uns nicht zu fürchten. Komme, was wolle. Amen.

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