Weihnachten: Erinnerung an den Heiland der Sünder - Predigt über 1. Johannes 3,5

Und ihr wißt, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und, in ihm ist keine Sünde. 

Liebe Gemeinde,
es ist gut, dass es jedes Jahr wieder Weihnachten gibt. Denn so werden wir Jahr für Jahr erinnert, worauf es in unserem Glauben wirklich ankommt. So werden wir Jahr für Jahr erinnert an unseren Herrn Jesus Christus. Lasst uns diese Erinnerung etwas näher in Augenschein nehmen.

1.  Weihnachten - das Fest der geistlichen Erinnerung

"Sie wissen doch, dass wir um 19.00 Uhr schließen", sagte der Verkäufer, als er vor dem enttäuschten Kunden den Rolladen herunterließ und der Kunde kein Weihnachtsgeschenk mehr bekam. "Sie wissen doch, dass es die Prämie nur gibt, wenn Sie den Vertrag bis zum 31.12. abschließen", sagte die Angestellte in der Sparkasse. "Sie wissen doch, dass Sie schon lange mit dem Rauchen hätten aufhören müssen", sagte der Chirurg, bevor er dem Patienten  das Raucherbein amputierte. Ja - eigentlich hätte man es wissen müssen, schließlich war es alles kein Geheimnis. Offensichtlich ist der Mensch ein Wesen mit einem kurzen Gedächtnis. Einem Gedächtnis, das sehr gezielt lästige und unangenehme Dinge unter den Tisch fallen lässt. Aber auch manchmal ein Gedächtnis, das gute und nützliche Dinge vergisst, so dass man sich hinterher vor Ärger selbst ohrfeigen könnte.
Ihr wisst doch, dass Jesus in diese Welt gekommen ist, damit er uns unsere Sünden wegnimmt. Ihr wisst es - so erinnert der Apostel Johannes seine Leser an Weihnachten. Offensichtlich brauchen wir auch in geistlichen Fragen immer wieder eine Gedächtnisauffrischung.  "Weiter, liebe Brüder: Freut euch in dem Herrn! dass ich euch immer dasselbe schreibe, verdrießt mich nicht und macht euch um so gewisser." (Philipper 3:1) So schreibt Paulus seiner Gemeinde in Philippi - und er will damit nicht ausdrücken, dass er zu faul ist, immer wieder neue Predigten zu erarbeiten. Ein großer Teil kirchlicher Arbeit besteht tatsächlich im Erinnern, Auffrischen, dasselbe auf hundert verschiedene Weisen immer wieder neu zu sagen - bis heute.
So gesehen ist Weihnachten wirklich ein klassisches "Erinnerungsfest". Es sind nicht nur die Schokoladenweihnachtsmänner, die es Jahr für Jahr ab September zu kaufen gibt, und die uns an eine Spende für die notleidende Schokoladenindustrie erinnern. Nicht nur die festlich geschmückten Schaufenster, die Weihnachtslieder in den Geschäften, und die Weihnachtsmärkte, die uns uns jahraus, jahrein daran erinnern: Dem deutschen Einzelhandel ginge es ohne das Weihnachtsgeschäft schlecht.
Nein - auch in kirchlicher Hinsicht ist Weihnachten jedes Jahr ein Fest, bei dem immer wieder das Gleiche wiederkehrt: Weihnachtsfeiern, Weihnachtslieder, Krippenspiele und Kirchenkonzerte, Andachten und Gottesdienste. Nur, dass diese wiederkehrenden Erinnerungen nicht dem Mammon, sondern unserem Herrn Jesus Christus und unserem Glauben dienen. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit merken wir etwas vom Sinn des Kirchenjahres, das jedes Jahr den gleichen Kreis durchläuft: von Advent über Weihnachten, Passion und Ostern, Pfingsten, Trinitatis und die lange Zeit danach, bis es wieder am Ewigkeitssonntag schließt.
Ja, auch der Christenmensch ist ein Mensch, der regelmäßige Erinnerung braucht. Eine Erinnerung daran, wovon er lebt, was ihn trägt, und woraufhin er auch einmal getrost sterben kann. Erinnerung - lassen wir uns davon eben sowenig verdrießen wie der Apostel Paulus. Denken wir an das "ihr wisst" von Johannes. Und lassen wir deshalb all das Weihnachtliche in unseren Kirchen und Gemeinden nicht einfach so "über uns ergehen", weil man das eben Jahr für Jahr so tut. Sondern sehen wir es als eine gute, eine heilsame, ja, eine lebens- und glaubensnotwendige Erinnerung an.
Ich möchte deshalb heute an zwei Dinge erinnern, die uns vielleicht nicht neu sind - aber die wir andererseits auch nicht oft genug hören können, wenn wir in unserem Glauben gestärkt werden wollen. Deshalb:

2.  Weihnachten - das Fest der Sündenvergebung

Warum ist Weihnachten eigentlich ein so freudiges Fest? Warum sind viele Weihnachtslieder so fröhlich? Ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme. Eigentlich gibt es kaum etwas Fröhlicheres als ein Mensch, dem die Last seiner Schuld abgenommen wurde - sollte man denken.
Ich habe darauf hin einmal unsere Advents- und Weihnachtslieder angeschaut. In der Tat - immer wieder wird diese Freude über die Vergebung, über den Frieden und die Versöhnung mit Gott besungen. "Christ ist erschienen, uns zu versühnen", so heißt die zweite Strophe von "O du fröhliche" (Evangelisches Gesangbuch 44,2). Ja, es ist richtig, wenn uns das an die Versöhnung mit Gott erinnert, und an das Sühnopfer, das Jesus für uns am Kreuz gebracht hat. "Fröhlich soll mein Herze springen", so dichtet Paul Gerhardt. Und im vierten Vers singt er über das Kind in der Krippe: "Er nimmt auf sich, was auf Erden wir getan, gibt sich dran, unser Lamm zu werden, unser Lamm, das für uns stirbet und bei Gott für den Tod Gnad und Fried erwirbet." (EG 36,4) Und das ist noch längst nicht alles. Denken wir an den Vers "Groß ist des Vaters Huld, der Sohn tilgt unsre Schuld" aus dem Weihnachtslied "Nun singet und seid froh" (EG 35,3). Oder an das Adventslied "Die Nacht ist vorgedrungen". In der zweiten Strophe heißt es: "Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt." (EG 16,2) Ich lade jeden ein, in unserem Gesangbuch eigene, weitere Entdeckungen zu machen. Und sich erinnern zu lassen: ihr wisst doch - Jesus ist gekommen, um unsere Sünden wegzunehmen.
Schade, dass eine besondere Erinnerung bei uns nicht mehr so gut ankommen kann wie damals, zur Zeit Jesu. Jeder weiß, wie gut gewählte Markennamen an den Sinn und an die Verwendung eines Produkts erinnern können. Jedes mal, wenn man den Namen hört, dann denkt man daran. Wenn das neu auf den Markt gekommene Waschmittel "Blitzweiss" genannt wird, dann kann jeder Kunde sich schon vorstellen, welche unschlagbare Wirkung es bei seiner Buntwäsche entfalten wird. "Schlafgut" ist sicher ein guter Name für eine Bettdecke - kaum einer würde dagegen ein Erfrischungsgetränk so nennen.
"Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden." (Matthäus 1:21) So ließ Gott an Josef ausrichten, als diesem der Engel des Herrn erschien. In der Tat heißt der Name Jesus - ins Deutsche übersetzt - "Der Herr ist Rettung". Jeder Jude, der damals, vor 2000 Jahren, den Namen "Jesus" hörte, jeder wurde mit diesem "Markenzeichen" unseres Herrn daran erinnert. Daran erinnert, dass Jesus gekommen ist, um unsere Sünden wegzunehmen.
"Und in keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden." (Apostelgeschichte 4:12) So predigt Petrus zu den religiösen Führern seines Volkes. Und er weiß genau, dass sie den Anspruch des Namens "Jesus" verstehen, und woran sie damit erinnert werden. Ja - sie, die religiösen Führer, erinnert dieser Name in unangenehmer Weise an einen, den sie gekreuzigt haben - und der von den Aposteln jetzt als auferstandener Retter, als Jesus Christus, verkündigt wird.
Es ist schon wahr: geistliche Erinnerung kann nicht nur Freude auslösen. Geistliche Erinnerung kann an alte, verdrängte Dinge aus meinem Leben rühren. Dinge, die ich seit langem unter den Teppich gekehrt habe, und für die ich mich schäme. Und der Gottesdienstbesucher, der fast nur zu Weihnachten in die Kirche findet - der erinnert sich an Sätze, die er vor langer Zeit einmal im Kindergottesdienst und im Religionsunterricht gehört hat. Geistliche Tatsachen, die schon lange ihre Bedeutung für sein Leben verloren haben. Aber auch so etwas kann eine heilsame, manchmal aufrüttelnde  Erinnerung sein.
Ob wir uns daran erinnern lassen, was das Wichtigste beim Weihnachtsfest ist? Erinnern lassen durch die Lieder, durch den Namen "Jesus", und durch manches Andere? "Ihr wißt, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme."

3.  Weihnachten - das Fest der wunderbaren  Sünden-"Verschiebung"

"Unschuldig wie ein Neugeborenes", so sagt man bis heute, wenn man einen Zustand besonderer Reinheit beschreiben will. Auch Jesus kam als neu geborenes Kindlein in diese Welt, und vom selig und unschuldig schlummernden Jesuskind singen manche unserer Weihnachtslieder. Allerdings ist damit noch nicht das Einzigartige an diesem Kind erfasst: Denn er war - wenn man es sich recht überlegt - der einzige  neu geborene Mensch der Weltgeschichte, der wirklich "unschuldig wie ein Neugeborenes" war.
Wie komme ich auf diese Behauptung? Gehen wir der Sache etwas in der Bibel nach. Bei dieser Frage muss man tatsächlich - wie man so schön sagt - "bei Adam und Eva anfangen".  Wenn ich die Schöpfungsberichte richtig verstehe, dann wurden sowohl Adam als auch Eva von Gott unmittelbar als erwachsene Menschen erschaffen. Sie hatten nie Gelegenheit, wirklich unschuldige Neugeborene zu sein. Auch nicht vor dem Sündenfall. Und nach der Katastrophe, nach ihrer Versündigung und nach der Vertreibung aus dem Paradies? "Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben." (Römer 5:12) So drückt es der Apostel Paulus aus. Als ob alle neu geborene Säuglinge von vornherein "infiziert" worden sind, durch die Sünde ihres Urahnen Adam.
In der Tat: Schon beim ersten Sohn Adams und Evas, bei Kain, wurde das in erschreckender Weise sichtbar: Als er seinen Bruder Abel erschlug. "Erbsünde" nannte die Kirche schon immer diesen Zustand, sehr treffend. Erbsünde - der Grund, warum es seit Adam und Eva nie mehr ein Neugeborenes gab, das wirklich durch und durch frei von der Sünde war. Im Augsburger Bekenntnis, das zu den Lehrgrundlagen unserer Kirche gehört, heißt es im 2. Artikel: "Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle natürlich geborenen Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, das heißt, daß sie alle von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können..." (nachzulesen hinten in unserem Evangelischen Gesangbuch, Nr. 857).
Gab es wirklich keinen einzigen unschuldigen Menschen? Doch: "... und in ihm ist keine Sünde." So schreibt Johannes von unserem Herrn Jesus Christus. "Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde." (Hebräer 4:15) So lesen wir im Hebräerbrief. Ja - das Kind in der Krippe war bisher tatsächlich der einzige, der wirklich "unschuldig wie ein Neugeborener" war.
Was haben wir nun davon, dass wir das wissen? Auch hier helfen uns unsere Weihnachtslieder weiter, und erinnern uns. "Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an ..." "Er wird ein Knecht und ich ein Herr; das mag ein Wechsel sein..." So singen wir im Lied "Lobt Gott ihr Christen alle gleich" (EG 27,4+5) Hier, an Weihnachten, da wird tatsächlich ein wunderbarer "Sünden-Austausch" in die Wege geleitet. Christus, das ewige Wort des Vaters. Er kann als unschuldiges Menschenkind alle unsere Schuld auf sich nehmen.
Es ist, als hätte Gott in diesem Kind einen Raum geschaffen. Einen Freiraum, in dem gleichsam die "Müllhalde der Menschheit" eingerichtet wird. All der "Müll" unserer Not und Schuld, des Elends, das wir uns selbst und uns gegenseitig zufügen. All den "Müll", der entstanden ist, weil wir uns von unserem Schöpfer abgewendet haben und unsere eigenen Wege gegangen sind. All das hat Raum gefunden - Raum gefunden bei dem einzigen Unschuldigen der Menschheitsgeschichte. Raum gefunden bei dem Kind in der Krippe. Hier kann all das abgeladen werden. So konnte er kommen, um uns unsere Sünden wegzunehmen. Es ist wirklich ein wunderbarer Wechsel: Er wird ein Knecht und ich ein Herr. Er ist erschienen, damit er die Sünden wegnehme - und in ihm ist keine Sünde. 
Ja, es ist wahr - so besehen verliert das Kind in der Krippe manches von einer falschen Romantik. Da haben die süßen Krippenlieder immer einen ernsten Unterton. So, wie es  daliegt - wahrhaft unschuldig "wie ein Neugeborenes". So wird schon beim Kind etwas von seiner Bestimmung sichtbar. Die Bestimmung, dass dieses Kind später als Mann am Kreuz sterben wird, für unsere Sünden. Aber gerade dieser ernste Unterton - er kann uns zu einer tieferen Weihnachtsfreude hinführen. Tiefer, als heilige und selige Gefühle in der schönen Weihnachtszeit. Er kann uns führen zu dieser tiefen, stillen Freude. Die nur ein Mensch empfinden kann, der seinen Frieden mit Gott gefunden hat. Der all seine Sünde und Schuld abgeladen hat bei dieser "Müllhalde der Menschheit", bei diesem Kind in der Krippe. Ob wir uns auch daran erinnern lassen?
Liebe Gemeinde, so wünsche ich uns allen in diesem Sinne frohe und gesegnete Tage. Lasst es uns so feiern: Weihnachten, das Fest der geistlichen Erinnerung. Weihnachten, das Fest der Sündenvergebung. Weihnachten, das Fest der wunderbaren Sünden-"Verschiebung". "Und ihr wißt, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und, in ihm ist keine Sünde." Amen.


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