Gottes Spuren entdecken - ein dankbarer Blick auf die Gemeinde

Predigt über 1. Korinther 1,4-9  zum Gemeindefest 2003

Liebe Geschwister,
kürzlich bin ich einem absoluten Gemeinde-"Alptraum" begegnet. Man möchte es zuerst gar nicht glauben - aber ich habe es von einem, der diese Gemeinde mitbegründet hat, es wird wohl stimmen. Hört, was ich erfahren habe:
Es geht schon sonntags los. Nein, sie haben dort nicht nur einen Gottesdienst am Sonntag. Nein. Vormittags kommen die einen zu ihrem Pfarrer, nachmittags die anderen zu ihrem Lieblings-Laienprediger von auswärts (1,12 aus 1. Korinther, wie alle folgenden Stellen in der Einleitung). Gleichzeitig hat es sich in der Gemeinde hat es sich eingebürgert, für die Gottesdienste beeindruckende "Starprediger" von auswärts einzuladen. Bei einigen dieser Starprediger hat man zwar den deutlichen Eindruck, sie wollen vor allem eine beeindruckende Kollekte für sich einsammeln - nur, das scheint kaum einen zu stören. Was diese Leute predigen, ist gar nicht so wichtig - Hauptsache, es klingt beeindruckend und unterhaltsam. Daß einige in der Gemeinde nicht einmal mehr an die Auferstehung glauben (15,12ff) - wen stört das schon? Schließlich will man in der Predigt kein trockenes Theologengezänk, das jeden langweilt...
Beim Gottesdienst - ja, da geht es hoch her: Während der Abendmahlsfeier gibt es Bierausschank und eine zünftige Brotzeit (11,17ff). Mitten in der Versammlung springen Leute auf, drängen in den Altarraum, und sagen: ich muß jetzt unbedingt etwas weitergeben, was Gott mir gezeigt hat. Meistens sind es immer die Gleichen, die immer das Gleiche sagen. (Kapitel 12-14) Trotzdem ist dieser Trubel für einige immer noch nicht genug. So gehen sie zusätzlich regelmäßig zu esoterischen "Schwarzen Messen", weil sie dort noch viele Freunde haben, die auch so etwas machen (10,14ff).
Auch bei ihrem Sexualleben sind einige dieser Geschwister nicht gerade zimperlich: Die einen besuchen regelmäßig ihre Prostituierten (6,21ff), während andere es mit Mitgliedern der eigenen Familie treiben (5,1ff). Einiges davon ist nicht nur dem Vorstand und der Gemeinde bekannt, sondern mittlerweile schon Stadtgespräch. Aber etwas unternehmen dagegen - mag keiner in der Gemeindeleitung.
Streit gibt es auch natürlich auch. Nicht nur, daß sich ein rücksichtloser, manchmal hochnäsiger Umgang untereinander eingebürgert hat (8,1ff). Nein - manche in der Gemeinde haben sogar Gerichtsprozesse gegeneinander laufen (6,1ff). Aber das Beste von allem: Sie halten sich dort sogar für eine Mustergemeinde (3,1ff vgl. 4,6ff). Einige wollen sogar schon Seminare für "Gemeindeaufbau" anbieten, damit andere Gemeinden etwas lernen können. Unglaublich!
O weh, dachte ich. Als ich das erfahren habe. Wenn ich so etwas in meinen Bericht an die Bezirkskonferenz zu schreiben hätten. Dann würden wir bestimmt keine Schulungen über Gemeindeaufbau anbieten. Sondern dann wäre sicher bald der Superintendent und der Bischof da, und dann müßten wir miteinander eine  bedenkliche "Problemstunde" halten. Und die Frage käme vielleicht auf: Hat es überhaupt noch Sinn, die Arbeit auf diesem Bezirk weiterzuführen? Der Karren ist derartig im Dreck - sollte man nicht besser aufhören? Gott sei Dank, daß es bei uns nicht so zugeht...
Nun war das ganze kein Alptraum und keine Phantasie, sondern es ist alles im ersten Korintherbrief nachzulesen. Einige Dinge habe ich natürlich in unsere Zeit versetzt, aber vom Prinzip her steht alles da - wen es interessiert, der kann gern eine Liste mit den Bibelstellen haben. Und nun? Und nun hören wir einmal, wie Paulus den Brief an diese Gemeinde beginnt:
1. Korinther 1: "4 Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, 5 daß ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in aller Lehre und in aller Erkenntnis. 6 Denn die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden, 7 so daß ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus. 8 Der wird euch auch fest erhalten bis ans Ende, daß ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus. 9 Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn."
Wie kommt Paulus dazu, so etwas zu schreiben? Sieht er denn nicht, was dort los ist? Will er einfach alles "unter den Teppich kehren"? Ich denke: wenn wir verstehen, was Paulus hier tut. Dann kann uns das in so Manchem auch einen neuen Blick für unsere eigene Gemeinde geben. Nun kommt der neue Blickwinkel tatsächlich nicht daher, daß Paulus einfach abwiegelt, schönfärberische Worte spricht, und die Korinther "über den grünen Klee lobt". Eigentlich lobt er hier nicht die Gemeinde. Sondern sein Lob gilt Gott. Und sein Dank gilt dem, was Gott - auch und gerade dieser so schwachen, "kaputten" Gemeinde gegeben hat. Schauen wir, was Paulus an Gottesgeschenken in Korinth entdeckt. Vielleicht - finden wir ja Ähnliches auch in unseren Gemeinden - und kommen ins Danken.  

1. Reich gemacht am Wort Gottes

Ihr seid "reich gemacht an aller Lehre und Erkenntnis", und "die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden". Schon als Paulus und seine "Mitstreiter", das Missionarsehepaar Aquila und Priscilla. Schon als sie die Gemeinde gründeten in Korinth (Apostelgeschichte 18). Können wir sicher sein, daß das mit guter, biblisch fundierter Predigt geschah. Aber ich verstehe das auch so: Trotz aller Irrlehren und glänzender "Starprediger", denen man dort, in Korinth, hinterherlief. Gab es auch jetzt noch, wo Paulus nicht mehr da war. Solche klare, grundsolide biblische Botschaft.
Ich finde das einen sehr bemerkenswerten Punkt, gerade in unserer heutigen Zeit. Und ich denke, man muß sich sehr genau darüber verständigen, was damit gemeint ist. Ich habe ja nun schon Gelegenheit gehabt, in allen möglichen Gemeinden und Gottesdiensten zu sein, im Osten wie im Westen, in Freikirchen und in Landeskirchen, in lutherischen, katholischen, baptistischen usw., und natürlich methodistischen Kirchen. Was ich dort gesehen habe, hat mich oft genug  bedrückt, leider:
Da geben sich die einen ganz modern, und sie akzeptieren aus der Bibel nur noch das, was "zeitgemäß" ist. Die ganze Bibel - Gottes Wort? Das glauben doch heute nur noch die Hinterwäldler, so sagen sie, oder wenn sie ein etwas böseres Wort gebrauchen, dann sagen sie: die "Fundamentalisten". Dann habe ich die anderen gesehen, die wollen immer nur möglichst "offen" sein und keinen vor den Kopf stoßen. Nach dem Motto: Wir können froh sein, wenn heute die Leute überhaupt noch in die Kirche kommen. Da muß man aufpassen, da darf man nichts tun oder sagen, was irgendeinen irgendwie vor den Kopf stoßen könnte.
Auch die modernen sogenannten "missionarischen" Gemeinden habe ich gesehen, die die Menschen "ansprechen" und "abholen" wollen. Der Name Jesu wird dort durchaus oft genannt. Dennoch: Verzweifelt (so denke ich), versucht man dort, dem Niveau der Samstagabendshow im Fernsehen nachzueifern. Viel Klamauk und "Action" im Gottesdienst, Choral, Orgel und Posaunenchor sind abgeschafft, statt dessen Verstärkeranlagen, Elektronik, und Musik im Schlagerstil. Mancherorts werden zum zusätzlichen "Kick" noch Wunder und Heilungen hinzugefügt. Und die Predigt: mit vielen spannenden Geschichten, aber wenig Bibelstellen und weichgespültem Inhalt - sonst wäre es ja zu belastend für die Zuhörer.
Ja, ich habe schon viel gesehen und gehört - nur leider viel zu wenig klare, biblisch fundierte Verkündigung. Klar, ohne Schnickschnack, aber am Kern der Sache. Und ich sage das für Freikirchen wie die unsere. Ebenso wie für die Landeskirchen. Warum ich das erzähle? Sicher nicht, weil ich gern ins Lamentieren kommen möchte. Sondern vielleicht eher, weil mich diese Erfahrung durchaus dankbar macht. Und ich lade uns ein, jeden von uns. Einmal in Gedanken die Gottesdienste der letzten Zeit durchzugehen. Ihr habt ja Gelegenheit, viele verschiedene Prediger zu hören. Nicht nur den Pastor, sondern auch viele Laienprediger. Nicht nur von unserem Bezirk, sondern auch so manche auswärtige. Ich lade euch ein, einmal zu überlegen. Frag' dich: Wo habe ich das erlebt: Daß ich in einer Predigt "reich gemacht wurde an aller Lehre und Erkenntnis". Ich meine damit nicht, ob der Prediger es besonders effektvoll, kurzweilig, oder spannend gebracht hätte. Sondern ob ich bei ihm das gemerkt habe, worauf es schon Paulus ankam: (1 Korinther 2:2) "Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten." Und vielleicht wirst du feststellen: ja, das waren ja eigentlich eine ganze Menge Gottesdienste, bei denen ich tatsächlich reich gemacht wurde an solider, klarer biblischer Lehre und Erkenntnis.
Und ich habe mir vorgestellt. Ob es im kirchlichen Leben nicht vielerorts heute so ist, wie auf einem dieser - wieder modern gewordenen - Kreuzfahrtschiffe. Einem herrlichen, weiß gestrichenen, großen Kreuzfahrtschiff. Auf dem aber der Treibstoff ausgegangen ist und der Steuermann seinen Kurs verloren hat. Das lustige Treiben, die Feste und Bankette. Spiel, Spannung und "Action". Die können noch lange weitergehen. Besonders, wenn man gerade in warmem, tropischen Gewässer ist. Aber eigentlich: eigentlich ist es in diesem Zustand schon zum Untergang verurteilt.
Vielleicht habenwir ja nur ein kleines, älteres Gemeindeschifflein. Ohne Ballsäle und Tennisplatz. Aber wir haben - hoffentlich, immer noch - genügend biblischen Treibstoff an Bord. Und wir versuchen zumindest, in der Verkündigung auf klarem biblischen Kurs zu bleiben. Ob wir es vielleicht besser haben, als wir denken? Denken wir einmal darüber nach. Und wenn dem wirklich so ist. Dann ist das natürlich nichts, worauf man sich etwas einbilden kann. Sondern dann kann man mit Paulus sagen:  "Ich danke Gott allezeit eurethalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus..."

2. Reich gemacht an Gaben

Auf diesen zweiten Punkt möchte ich nur ganz kurz eingehen. "So daß ihr keinen Mangel habe an irgendeiner Gabe", so schreibt Paulus dieser "Problemgemeinde" in Korinth. Und er meint das nicht als Aufforderung, sondern als Feststellung. Keinen Mangel an Gaben - und er meint mit Gaben: Dienst-Gaben. Gaben, die Gott einzelnen Geschwister in Korinth gegeben hat. Damit sie damit einen Dienst tun können in ihrer Gemeinde. Ich finde das schon hart, einen solchen Satz, wenn ich an unsere Gemeinden denke. Da könnte man ja richtig neidisch werden. Auf fast jeder Bezirkskonferenz, in Vorstandssitzungen, in Gesprächen zwischendurch. Da müssen wir feststellen: Es fehlt an Mitarbeitern, hinten und vorne. "Keinen Mangel an irgendeiner Gabe" - so gut müßten wir es einmal haben. Waren sie auf ihre Weise vielleicht doch eine "Mustergemeinde", die Korinther?
Zweierlei fällt mir dazu ein: Zum einen ist ja nun nicht so, daß es bei uns gar keine Gaben gäbe. Da müßte man ja wirklich blind sein, wenn man diese Gaben nicht sieht! Allein dieser Gottesdienst und gleich unser Fest. Die wären so, in dieser Vielfalt gar nicht möglich gewesen. Wenn es bei uns keine Dienstgaben gäbe, die das Gemeindeleben bereichern. Ganz zu schweigen von den vielen Diensten, die unsichtbar, im Verborgenenen geschehen...
Das andere ist das Phänomen, daß es wahrscheinlich in jeder christlichen Gemeinde auf der Welt grob gesagt zwei Gruppen gibt. Zwei Gruppen von Christen - und ich rede jetzt nur von denen, die am Gemeindeleben teilnehmen. Ich will die erste Gruppe einmal die "Arbeiter" nennen, so wie bei Jesus die Arbeiter im Weinberg des Herrn. Das sind oft die, die durch Beruf oder Familie ohnehin besonders belastet sind. Oder auch die, die ein besonderes Päckchen zu tragen haben, manchmal Alte, manchmal Kranke. Und die - gerade, trotzdem- ihre Dienstgaben einbringen, offen oder im Stillen. Die Arbeiter im Weinberg des Herrn.
Und auf der anderen Seite gibt es in jeder Gemeinde auch die, die ich einmal die "Fernsehzuschauer" nennen will. Die kommen, beobachten interessiert das Geschehen, und geben dann eine Kritik ab. Wie es denn gefallen habe. Oder auch nicht. Dort, bei den "Fernsehzuschauern". Da sind tatsächlich wahre Massen an unentdeckten Reichtümern zu finden. Reichtümer an Dienstgaben, die darauf warten, aus dem Verborgenen an das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Und immer dann, wenn einer aus dem Lager der Fernsehzuschauer ins Lager der Arbeiter wechselt. Dann wird etwas mehr sichtbar von diesem Reichtum. Von dem Reichtum, den Gott seiner Gemeinde geschenkt hat. Ob das etwas hilft. Diesen Satz des Paulus zu verstehen: "so daß ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe"?

3. Reich gemacht an Gottes Treue

"Der wird euch auch fest erhalten bis ans Ende." Das ist - zum Schluß -nun etwas wirklich Wunderbares, echtes Evangelium. Und ich stelle mir dazu vor, wie mitten in diesem "Gemeindechaos" in Korinth. So manche Geschwister ganz verzweifelt wurden, Gott ihre Fragen vorlegten, und dachten: wenn ich noch länger in dieser Gemeinde sein muß, dann weiß ich nicht, wie ich weiter meinen Glauben durchhalten soll. Dann werde ich noch selbst irre an Gott. Dann werde ich geistlich Schiffbruch erleiden, werde ich mit hinabgezogen in dieses geistliche Chaos.
Ich weiß nicht, wer von euch das auch schon erlebt hat: da ist man mit einem Menschen zusammen. Und dann erzählt er einem. Wie er früher auch in der Kirche war. Aber dann, dann kommt es: "Dann hat mir diese Gemeinde, dieser Pastor usw. Haben sie mich so enttäuscht. Haben sie mir den Glauben so verleidet. Daß ich heute gar keinen Bezug mehr dazu habe. Von Kirche und Christsein - da habe ich genug." Gott sei Dank. Wenn man Paulus hier glauben kann. Gott sei Dank gibt es so etwas eigentlich - überhaupt nicht. Gott sei Dank ist es weder Kirche, noch Gemeinde, noch Pastor, noch Mitarbeiter. Die mich am Glauben erhalten. Gott ist treu - so hören wir hier. Der wird uns erhalten bis ans Ende. Bis wir ihn einmal sehen, von Angesicht zu Angesicht.
Und es tröstet mich sehr. Daß Paulus diese Sätze gerade einer so schwierigen, so "kaputten" Gemeinde wie Korinth sagt. Auf diesem dunklen Hintergrund - da leuchtet Gottes Gnade nur umso heller. Wenn er seine Leute schon in so einer Gemeinde erhalten kann. Wieviel mehr dann dort, wo es so schlimm noch lange nicht ist. Ja, da kann ich mich freuen, über meinen Herrn: komme, was wolle. Der Herr kennt alle seine "Schäflein" mit Namen, und es wird sie nichts und niemand aus seiner Hand reißen, wie er selbst gesagt hat (Johannes 10,28). Wer ihm glaubt der bleibt - komme, was wolle.
Warum man dann doch immer wieder einmal die Klage hört: Die Kirche hat mir das Glauben verleidet? Ich möchte niemandem zu nahe treten. Aber die Kirche kann einem Menschen weder das Glauben einpflanzen, noch das Glauben aus einem Menschen wieder herausreißen. Wenn ich nicht glauben kann. Oder nicht glauben will. Dann liegt es letztlich - nur an mir selbst. Die Bibel läßt daran keinen Zweifel (s. z.B. Johannes 16,9). Auch wenn ich diese Verantwortung für meinen Unglauben. Nur zu gerne abschieben würde. Auf alle möglichen Menschen und Umstände. Oder auf Kirche und Gemeinde.
Wie dem auch sei. Nehmen wir diese Worte von Paulus als Anregung. Als Anregung, uns in unseren Gemeinden auf eine dankbare Entdeckungsreise zu machen. Nein, auch wenn es bei uns so schlimm wie in Korinth noch lange nicht ist. Trotzdem: Suchen wir bei dieser Entdeckungsreise nicht nach tadellosen Menschen und Zuständen. Sondern suchen wir nach den Spuren Gottes: Nach einem klaren, biblischen Wort. Nach Dienstgaben, die er mitten unter uns geschenkt hat. Und vor allem immer wieder: nach seiner Treue. Mit der er seine Leute auch in den schwierigsten Zeiten beim Glauben erhalten hat. "Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus." Amen. 

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