1 Darum, weil wir dieses Amt haben
nach der Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, werden wir nicht
müde, 2 sondern wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen
nicht mit List um, fälschen auch nicht Gottes Wort, sondern durch
Offenbarung der Wahrheit empfehlen wir uns dem Gewissen aller Menschen
vor Gott. 3 Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen
verdeckt, die verloren werden, 4 den Ungläubigen, denen der Gott
dieser Welt den Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das
helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist
das Ebenbild Gottes. 5 Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern
Jesus Christus, daß er der Herr ist, wir aber eure Knechte um
Jesu willen. 6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis
hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben,
daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der
Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Liebe Gemeinde,
ich möchte Ihnen bei der Verkündigung des Evangeliums reinen
Wein einschenken. Reinen Wein einschenken, wir kennen diese Redensart.
Bei reinem, guten Wein werden keine Zutaten hineingepanscht, die dort
nicht hineingehören. Nur, damit der Wein auf den ersten Blick
ansprechender wirkt. Bei reinem, guten Wein werden bei der Herstellung
auch keine wichtigen Schritte weggelassen oder verkürzt, weil es
so vielleicht billiger oder schneller geht. Der Gelegenheitstrinker
lässt sich vielleicht täuschen, aber der Kenner merkt sofort,
ob ihm reiner Wein eingeschenkt wird. Deshalb, um im Bild zu bleiben:
Worauf kommt es an, wenn bei der Verkündigung des Evangeliums
reiner Wein eingeschenkt wird?
Es ist bemerkenswert, dass sich manche Fragen in den Jahrhunderten
und Jahrtausenden der christlichen Kirche wiederholen. Zu Zeiten des
Paulus war die Kunst der Rede, die Rhetorik, außerordentlich hoch
entwickelt. Die Menschen kannten diese Kunst, und ihre Erwartungen
waren entsprechend hoch. Hätten man ihnen Redebeiträge aus
dem 21. Jahrhundert vorgesetzt, hätten sie manches davon für
primitiv und unkultiviert gehalten, schwach in der Sprache, schwach in
der Argumentation, und wenig brillant im Auftreten.
Paulus hatte es in einer solchen Umgebung nicht leicht. Er schrieb
seinen Brief an die Gemeinde in der Korinth. Dort gab es
"Starprediger", die die Kunst der Rhetorik beherrschten. Von Paulus
dagegen heißt es: "Seine Briefe, sagen sie, wiegen schwer und
sind stark; aber wenn er selbst anwesend ist, ist er schwach und seine
Rede kläglich." (2. Korinther 10:10) Paulus, der große
Apostel, war nach den damaligen Maßstäben kein guter Redner.
Ob manche in der Gemeinde bei seinen scheinbar langweiligen
Beiträgen die Augen verdreht haben? Oder währendessen lieber
ein kleines Nickerchen gehalten haben?
Es ist bemerkenswert, wie Paulus darauf reagiert. Als Erstes sagt er:
Wir werden nicht müde. Wie viel steckt in diesem kleinen Satz! Und
wie aktuell er ist. Ein Pfarrer, eine Pfarrerin, die können in der
Tat müde werden. Wenn sie von der Gemeinde immer wieder, offen
oder versteckt, bedeutet bekommen: Du bist so blaß, so farblos,
nicht mehr zeitgemäß, kein "Zugpferd", wie wir es uns
wünschen. Auch Paulus musste sich so etwas anhören. Aber er
sagt: Wir werden nicht müde. Er lässt sich davon nicht
beirren, was die Menschen über ihn denken.
Und dann hinterfragt er seinerseits die Gemeinde und ihre Starprediger:
"Wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um,
fälschen auch nicht Gottes Wort." Paulus hat für seine
Verkündigung entschieden: Mehr Sein als Schein. Es geht ihm um den
Inhalt, nicht um die Verpackung. Man muss nicht tricksen, um Gottes
Wort an den Mann und an die Frau zu bringen. Es ist wie bei einem
guten, reinen Wein. Da kommt es nicht auf die Verzierungen an der
Flasche an, sondern auf den Inhalt.
Das klingt so gar nicht zeitgemäß, auch nicht bei manchen
ernsthaften Christen. Denen es ein Anliegen ist, Menschen zum
lebendigen Glauben an Jesus zu führen. Da bemüht man für
Gottesdienst und Predigt mancherlei Showelemente, wie wir sie aus dem
Fernsehen kennen, nur dass sie im Fernsehen professioneller dargeboten
werden. In einer anderen Gemeinde versucht sich die Pfarrerin bei den
Konfirmanden in Jugendsprache, während die innerlich
aufstöhnen. Sie kennen das schon von einigen Lehrern, und finden
es überhaupt nicht cool.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe nichts gegen moderne
Elemente in der Kirche, und ich probiere auch gerne mal etwas Neues
aus. Aber deswegen kommt kein einziger Mensch mehr zum Glauben. Nein,
wir brauchen uns von so etwas nicht abhängig zu machen. Denn beim
Evangelium geht es um das Sein, nicht um den Schein. Und in der
Ewigkeit werden wir vielleicht überrascht feststellen, wie viel
geistliche Frucht so mancher scheinbare Langweiler hinterlassen hat,
der einfach treu die Botschaft von Jesus weitergegeben hat, und sich
wenig um die Wünsche des Publikums geschert hat.
"Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt,
die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt
den Sinn verblendet hat." Wenn man bei der Verkündigung des
Evangeliums reinen Wein einschenkt, dann gehört auch das dazu:
Dass man über die Verlorenheit der Ungläubigen spricht. Die
Verlorenheit derer, die ohne eine lebendige Beziehung zu Jesus durchs
Leben gehen. Was bedeutet "verloren" und welche Konsequenzen hat es?
In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt Paulus:
"Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden;
uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft." (1. Korinther
1:18) Paulus unterscheidet hier - wie auch an anderen Stellen - zwei
Gruppen von Menschen: Die, die selig werden. Man könnte auch
übersetzen: Die, die von Jesus gerettet werden. Das sind die, die
nach diesem Leben nicht in die Hölle, sondern in den Himmel
kommen. Die Verlorenen dagegen werden von Jesus nicht gerettet, d.h.
sie kommen auch nicht in den Himmel. Von dieser Unterscheidung wird
heute nicht mehr gern geredet. Manche sagen: Gott macht keinen solchen
Unterschied, so etwas kann man sich bei einem Gott der Liebe einfach
nicht vorstellen. Andere haben die Befürchtung, dass solche Reden
die Menschen von der Kirche und vom christlichen Glauben abschrecken.
Deshalb sollte man klug sein und darüber schweigen.
Paulus kennt solche Überlegungen nicht. Er orientiert sich dabei
an seinem Herrn und Meister Jesus Christus. Der hatte zu seinen
Jüngern immer wieder von der Verlorenheit der Ungläubigen
gesprochen. Kurz vor seinem Tod redet er über den letzten
großen Tag, an dem er wiederkommen und sich auf den Thron des
Weltenrichters setzen wird (Matthäus 25). Jesus unterscheidet beim
Weltgericht zwei Gruppen von Menschen, die Gläubigen und die
Ungläubigen. Und er schließt mit den Worten: "Und sie werden
hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige
Leben." (Matthäus 25:46) Wir bekennen das im Glaubensbekenntnis:
Er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.
Wenn wir über das Evangelium von Jesus Christus reden, dann haben
wir auch über die Verlorenheit der Ungläubigen zu reden. Wir
tun das nicht, weil uns das Freude macht. Glauben Sie mir, ich rede
viel lieber über die Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Aber ich
möchte Ihnen reinen Wein einschenken. Deshalb verschweige ich
solche unangenehmen Fragen nicht.
Wer schon einmal nach einem Stromausfall plötzlich und
unerwartet in der absoluten Dunkelheit stand. Der kennt das
Gefühl, wie sehr man sich in einer solchen Lage nach dem kleinsten
Licht sehnt. Wie komme ich hier heraus? Wo war noch mal die Tür
zum nächsten Raum? Ein vorsichtiges Tasten, um sich den Kopf nicht
anzustoßen. Auf einmal zischt es, eine kleine Flamme geht an.
Jemand hat ein paar Streichhölzer in seiner Tasche gefunden. Jetzt
sieht man wenigstens die Tür und die Wände, man kann sich
orientieren.
"Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten,
der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch
uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit
Gottes in dem Angesicht Jesu Christi." Jesus bringt Licht in eine
dunkle, verlorene Welt. Jesus bringt geistliches Licht in die Herzen
der Ungläubigen.
Was geschieht dabei? Wie haben wir uns das vorzustellen? Viele denken:
Wenn sich einer für den christlichen Glauben entscheidet, warum
nicht? Wenn das für ihn das Richtige ist. Es ist wie in einem
Supermarkt der Weltanschauungen. Der Kunde ist König, und er
entscheidet sich für die Ware, die ihm am besten gefällt und
die einen akzeptablen Preis hat. Der eine wird Christ, der andere
Buddhist, und der dritte Atheist. Wo ist das Problem?
Paulus zeichnet ein völlig anderes Bild vom Menschen und von
seiner Stellung zu Gott. Es ist ein radikales, anstößiges
Bild. Darin ist der Mensch nicht Kunde, und er ist schon gar kein
König. Er lebt geistlich gesehen wie in einem finsteren Raum. Er
gehört zu "den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den
Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des
Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild
Gottes." Mit "Gott dieser Welt" ist der Widersacher Gottes gemeint, der
Teufel persönlich. Das ist keine Märchengestalt mit
Hörnern und Schwefeldampf, aber dafür eine sehr reale Macht.
Er hat den Menschen "verblendet". Es gibt nicht nur gutes Licht, das
uns Orientierung ermöglicht. Es gibt auch Licht, das blendet. Wenn
man in so eine Lichtquelle blickt, sieht man für einige Zeit
nichts mehr, oder man kann sogar sein Augenlicht verlieren. Satan, der
"Gott dieser Welt", hat den Menschen geblendet, ihn geistlich erblinden
lassen. Jetzt tappt er im Dunkeln, und er ist nicht mehr in der Lage,
Gott zu erkennen.
Jesus allein kann unsere geistliche Blindheit heilen. Wenn ein Mensch
zum Glauben an Jesus Christus kommt. Wenn Gott uns unsere Sünden
vergibt. Dann hat er uns "einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben,
... die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem
Angesicht Jesu Christi." Auf einmal hat man sein geistliches Augenlicht
wiedergefunden. Satan, der Gott dieser Welt, hat keine Macht mehr
über mich. Ich bin nicht mehr verloren, sondern gerettet. Ich
erkenne Jesus, das Licht der Welt. Und indem ich ihn erkenne,
weiß ich endlich, wer Gott wirklich ist. Es ist, als ob in einem
dunklen Raum plötzlich ein Licht angezündet wird.
Damit schließt sich der Kreis. Die Frage am Anfang war: Worauf
kommt es an, wenn bei der Verkündigung des Evangeliums reiner Wein
eingeschenkt wird? Die erste Antwort war: Wir achten mehr auf das Sein
als auf den Schein, mehr auf den Inhalt der Botschaft als auf die
Verpackung. Die zweite Antwort war: Wenn wir über das Evangelium
von Jesus Christus reden, dann haben wir auch über die
Verlorenheit der Ungläubigen zu reden. Wir kommen nicht alle, alle
in den Himmel. Wie es im Karnevalslied heißt. Aber das Letzte,
das Wichtigste für den reinen Wein des Evangeliums ist: Dass
Jesus, das Licht der Welt, in die Mitte gestellt wird. Jesus, der uns
allein von unserer geistlichen Blindheit heilen kann. Jesus, der uns
allein von der Verlorenheit zur Rettung führen kann. Jesus, der
uns allein zeigen kann, wer Gott wirklich ist. Und dann geht mir ein
Licht auf, und ich erfahre "... die Erleuchtung zur Erkenntnis der
Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi." Amen.