Vom Rucksack-Zelt in den Palast

Predigt über 2 Korinther 5,1-8 zum Ewigkeitssonntag 2003


1 Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. 2 Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, daß wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, 3 weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. 4 Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben.
 5 Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat. 6 So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; 7 denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. 8 Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn.

Liebe Geschwister,
der Übergang von diesem Leben zum ewigen Leben. Der ist für einen gläubigen Menschen wie der Umzug von einem alten Rucksack-Zelt in einen Palast. Wenn wir dessen gewiß sind. Dann haben wir allen Grund, uns darauf zu freuen an guten Tagen. Und uns seufzend danach zu sehnen an schlechten Tagen.

1. Das ewige Leben gibt uns einen "Palast" als neuen Leib

Manchmal, wenn man sich etwas nur schwer vorstellen kann. Und wer kann sich schon das ewige Leben gut vorstellen? Manchmal hilft es, einfach zu sagen, was sich - im Vergleich zu jetzt - ändern wird. Besonders: was sich - ganz erheblich! - verbessern wird. Oder, geistlich gesprochen: wovon uns das ewige Leben einmal erlösen wird. Wovon uns unser Herr Jesus Christus einmal erlösen wird.
Reden wir zuerst über unseren Leib. "Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe" (2. Korinther 4:10), so schrieb Paulus den Korinthern kurz vor diesen Sätzen. Und er dachte dabei an Gefahr für Leib und Leben, weil er verfolgt wurde als Christ. Etwas deftiger äußerte sich Martin Luther einmal über seinen Leib: er nannte ihn einen "alten Madensack". Ja, der Leib.... Auch dann, wenn nicht gerade von den Maden zerfressen wird. So kann er uns dennoch allerlei Probleme bereiten. Das beginnt mit den allerlei Beschwerden und "Zipperlein", die etwa das Alter so mit sich bringt - wenn es hier zwickt und da zwackt. Und geht bis hin zu großen, handfesten Krankheitsnöten. Manchmal mit großen Beschwerden und starken Schmerzen. Manchmal so, daß ich ans Bett gefesselt bin. Manchmal so, daß keine Hoffnung mehr besteht, daß sich etwas ändert. Und ich denke, man kann zu diesen Beschwerden des Leibes auch allerlei Beschwerden der Seele mit hinzuziehen - gehören doch Leib und Seele nach der Bibel zusammen, und bilden eine Einheit. Und wenn ein Mensch schwere Depressionen entwickelt - dann kann das für den Betreffenden schwerer sein als eine Vielzahl von Knochenbrüchen.
Ja, da kann man es schon verstehen, wenn Paulus hier vom Leib als einer "Hütte" redet - wörtlich übersetzt von einem "Zelt". Zelte sind leicht, nicht für die Dauer gebaut, nicht allzu haltbar - und im Vergleich zu richtigen Steinhäusern sehr zerbrechliche Gebilde. Ja, da macht es schon einen Unterschied, wenn Gott uns dann einmal. In der Ewigkeit. Wenn er uns dann kein zerbrechliches Zelt mehr gibt. Sondern einen "Bau", ein "Haus", und man könnte auch übersetzen ein "Bauwerk". Etwas, das sich neben einem Zelt sehr beeindruckend ausnimmt. Eben so wie ein Palast.
Und wenn wir uns schon nicht vorstellen können, wie das ewige Leben aussieht. So können wir uns doch durchaus vorstellen, wie sich dieser Palast vom Rucksack-Zelt unterscheiden wird. Vielleicht kann man es mit ein paar Beispielen verdeutlichen: Du kannst nicht mehr richtig laufen? Du kannst dich vielleicht nicht einmal mehr aus deinem Bett erheben? Im ewigen Leben wirst du Beine haben, wie der sprichwörtliche "junge Hirsch". "Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken." (Jesaja 35:6) Du hast Schmerzen, und die Ärzte bekommen sie einfach nicht richtig in den Griff? Im ewigen Leben ist das Wort "Schmerz" ein Fremdwort. Da gibt es kein "Leid noch Geschrei noch Schmerz" (Offenbarung 21:4), wie es der Seher Johannes beschreibt. Deine Seele ist versunken in der tiefen Nacht der Depression, und es ist kein Licht in Sicht? Im ewigen Leben wird niemand mehr niedergedrückt sein. "Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein" (Jes 35:10), verheißt der Prophet Jesaja. Da wird auch die betrübteste Seele alle Betrübnis vergessen haben. Ja, das ewige Leben ist wirklich wie der Umzug von einem alten Rucksack-Zelt in einen Palast.

2. Das ewige Leben gibt uns sichtbare Gemeinschaft mit unserem Herrn

"Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen." Wenn man bedenkt, wie kurz dieser Satz ist. Dann sieht man gar nicht sofort, wieviel persönliche Nöte und Glaubenskämpfe dahinter stecken können. Habt ihr es schon einmal selbst erlebt, wenn man nicht mehr beten kann? Oder es bei einem anderen gläubigen Menschen miterlebt? Da ist auf einmal die Verbindung zu Jesus wie abgeschnitten. Die Worte fehlen. Vielleicht sind sie mir vor Schmerz im Hals stecken geblieben. Vielleicht kann ich vor lauter Not keinen klaren Gedanken mehr fassen. Vielleicht kommt mir Jesus schon seit Monaten unendlich fern vor. Und jetzt - jetzt  bringe ich es nicht einmal mehr zustande. Und finde keine Worte mehr, um mit ihm zu reden. "Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn."
Es ist wichtig, daß wir solche Erfahrungen für einen Christen überhaupt erst einmal zulassen. Leider hört man immer wieder Sätze wie: "Ein wirklich reifer, geisterfüllter Christ. Der nimmt nicht so eine ungläubige Haltung ein. Als ob der Herr ihm fern sei. Der steht fest, im festen Glauben." Die Bibel dagegen ist voll von Beispielen, die das Gegenteil zeigen. Wie lange hat Hiob mit Gott gerungen! Und wie haben ihm manchmal die Worte dafür gefehlt!  "Verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knechte, denn mir ist angst; erhöre mich eilends." (Psalm 69:18) So betet der große König David. Auch unser Herr Jesus Christus, als es auf sein Ende zugeht. Da heißt es von ihm: "Und er nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen 34 und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet!" (Markus 14:33-34) Und kurz, bevor er am Kreuz sein Leben aushaucht, da schreit er: "Eli, Eli, lama asabtani? das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Markus 15:34) Und erst, nachdem Gott, der Vater, ihm als ersten von allen Toten diesen "Bau, von Gott erbaut" gibt. Als er aus dem Grab aufersteht. Als er einen neuen Leib bekommt. Da ist für Jesus diese Gottesferne endgültig überwunden.
Lassen wir uns also von niemandem auf - scheinbar - fromme Weise ins Bockshorn jagen. Lassen wir uns keinen "Glauben" aufschwatzen, der scheinbar ohne solchen Erfahrungen auskommt. Einen Glauben, der immer wieder von einer Erfahrung zur nächsten eilt. Erfahrungen, wo Jesus - man sagt jedenfalls, Jesus sei hier am Werk. Erfahrungen, wo Jesus ständig seine "Herrlichkeit" in Zeichen und Wundern zeigt. Lassen wir uns von niemandem einen Glauben aufschwatzen, der ständig von einem Sieg zum nächsten geht. Immer einen Lobpreis auf den Lippen. Einen Glauben, wo solche Erfahrungen der Gottesferne - scheinbar - nicht mehr vorkommen. Einen Glauben - und damit denken wir an den ersten Punkt zurück. Einen Glauben, der. Wenn er denn stark genug ist. Der angeblich sogar keine leibliche Krankheit mehr kennt. Weil er ja im Glauben die Heilung vom Herrn "beanspruchen" kann, wie das manchmal ausgedrückt wird. Die Bibel kennt einen solchen Glauben nicht. Und Paulus sagt hier, sehr realistisch: "Solange wir im Leib wohnen, weilen wir fern von dem Herrn."
Ich denke, erst wenn wir diese Erfahrungen zulassen bei einem gläubigen Menschen. Sie nicht fromm übertünchen. Uns nicht von falschen Versprechungen ins Bockshorn jagen lassen. Erst dann kommt das wirklich zum Tragen, zum Leuchten in unseren Augen. Erst dann wird es kräftig. Diese Sehnsucht, diese Hoffnung: "Wir aber sind getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn."
Und, um im Bild von Rucksack-Zelt und Palast zu bleiben. Das Rucksack-Zelt unseres jetzigen Lebens. Das steht sozusagen mitten in einer rauhen Landschaft, manchmal von Stürmen und Unwettern angegriffen. Manchmal von Nebel so bedeckt, daß der Herr nicht mehr zu sehen ist. Der Palast des neuen, ewigen Lebens. Der ist nicht nur wesentlich stabiler und schöner gebaut. Der hat auch eine "erstklassige Wohnlage", wie man in einer Werbung für Immobilien sagen würde. Der hat die beste Wohnlage, die es gibt: daheim, bei dem Herrn. Direkt in der Nähe seines himmlischen Throns. Mit bester Aussicht: Dann wandeln wir nicht mehr im Glauben, sondern dann schauen wir den Herrn. "Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen." (Matthäus 5:8), wie unser Herr in seiner Bergpredigt sagt. Dann gibt es keine Erfahrungen der Gottesferne mehr. Dann sind die Gläubigen zu Schauenden geworden.

3. Das ewige Leben: keine Ahnung, sondern feste Gewißheit

Es ist ja keineswegs so. Wenn heutzutage ein gläubiger Mensch etwas von dieser herrlichen Ewigkeit hört. Daß er automatisch in Begeisterungsstürme ausbricht. Und sagt: Das hat mir jetzt aber geholfen für meinen Alltag. Warum - hat einem das oft nicht mehr allzuviel zu sagen - diese herrliche Aussicht?
Auf Anhieb fallen mir wenigstens zwei Gründe ein, warum das so sein könnte. Der erste Grund ist sehr handfest und gut nachvollziehbar. Nämlich dann, wenn du sagst: Was hilft mir das ewige Leben? Morgen ist der Sonntag vorbei, der Alltag kommt. Und dann habe ich mein Leben zu leben - hier und jetzt, und nicht im Himmel. Wie gesagt, ich kann diesen Einwand gut nachvollziehen. Und auch die Bibel geht ausführlich darauf ein. Ja, eigentlich ist die Bibel voll von Hinweisen. Wie man sein Leben hier und jetzt gestaltet, und im Glauben lebt. Ich würde sogar noch weitergehen, und sagen: Viele Nöte und Probleme würden gar nicht erst auftauchen. Wenn die Christen öfter in dieses Buch  hineinschauen würden. Und ihr Alltagsleben danach ausrichteten.
Aber davon wäre ein andermal zu reden. Ich möchte auf einen anderen Gedanken eingehen. Ich möchte über die Unsicherheit in unseren Herzen reden. Über eine Glaubens-Ungewißheit. Die an so manchem Christen nagt. Manchmal ausgesprochen. Und manchmal unausgesprochen. Wenn es ausgesprochen wird, dann hörst du Sätze wie: "Ich hoffe, daß ich einmal dabei sein werde, in der Ewigkeit." Oder: "Ich gebe mir Mühe, dabei zu bleiben. Aber ob das am Schluß genug ist, damit er mich aufnimmt. Das kann doch keiner so genau sagen." Oder: "Für jetzt in diesem Moment bin ich mir gewiß. Aber wenn ich nachher, in der nächsten Stunde, wieder sündige. Dann bin ich schon nicht mehr richtig 'in Christus'. Wehe mir, wenn ich dann nicht  sofort um Vergebung bete, und die bösen Gedanken abwehre. Ehe ich mich versehe, bin ich aus Gottes Gnade gefallen." Und zwischen den Zeilen hörst du manchmal noch: Laß uns lieber von etwas anderem reden, das Thema ist mir etwas unangenehm.
Irgendwo kann ich das auch verstehen. Und manchmal denke ich, dahinter steckt so eine Art Vorstellung, als sei so unser Vater im Himmel so eine Art Prüfungskommision für Christen. Und - wohlgemerkt! - ich rede jetzt nur von den Menschen, die an Jesus glauben. Unser Vater im Himmel - eine Prüfungskommision. Und dann, wenn dieses Leben vorbei ist. Dann habe ich am Jüngsten Tag vor der Kommision zu erscheinen. Und es werden die verschiedenen Fächer meines Christenlebens geprüft: Dienstbereitschaft - vier minus. Nächstenliebe: fünf. Zeugnisgeben: sechs. Fester und unerschütterlicher Glaube an die Erlösung: fünf. Du bist durchgefallen! Und einen zweiten Versuch gibt es leider nicht - ab mit dir in die Hölle... Natürlich ist das übertrieben. Aber ich muß sagen: Wenn das tatsächlich so ähnlich wäre. Dann würde ich mich auch nicht besonders auf den "Tag des Herrn" freuen. Sondern dann würde ich dieses unangenehme Thema lieber vermeiden. Wer denkt schon gern darüber nach, daß er wahrscheinlich bei einer Prüfung durchfallen wird? Bei einer Prüfung, die über seine gesamte Zukunft entscheidet?
Selbstverständlich wird unser Herr mit uns darüber reden, was wir aus unserem Christenleben gemacht haben. Aber doch nicht so! Als ob wir geprüft würden, ob wir in der Ewigkeit dabei sein dürfen oder nicht! Wofür hätte dann Jesus am Kreuz sterben müssen? Warum schreibt Paulus nur wenig später im Brief: " Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen die Sünden nicht zu." (2. Korinther 5:19)? Sollte Gott das nicht ganz ernst meinen? Deshalb können und sollen wir ganz gewiß werden, daß auf uns Christen etwas Herrliches wartet. Eben ein Palast - im Vergleich zu unserem irdischen Rucksack-Zelt.
Damit wir das nicht vergessen. Darum hat uns Gott ein sog. "Unterpfand" gegeben, wie Paulus hier schreibt, nämlich seinen Heiligen Geist. Der soll uns diese Erlösung ganz fest und gewiß machen. Auch dahinter steckt ein sehr schönes Bild. Anstatt "Unterpfand" würde man heutzutage wohl eher mit "Anzahlung" übersetzen. Und mir ist in dem Zusammenhang eingefallen, wie es zugeht. Wenn wir unsere schöne Ferienwohnung für die Sommerferien buchen. Da zahlt man auch nicht alles acht Monate im Voraus. Aber da haben wir eine Anzahlung zu leisten. Und in dem Moment, wo der Vermieter die Anzahlung auf seinem Konto hat. Da ist der Mietvertrag rechtskräftig. Und wir können sicher sein, daß die Wohnung im Sommer für uns frei ist. Und der Vermieter ist sicher, daß wir kommen - und daß wir die volle, ausstehende Summe noch zahlen werden.
Der Heilige Geist - er ist eine "rechtskräftige Anzahlung" für die Ewigkeit. Damit hat Gott sich aus eigenem Entschluß gewissermaßen "vertraglich gebunden". Jeder gläubige Mensch. Jeder Christ. Hat diese Anzahlung in voller Höhe bekommen. Das ist genau das, was die Bibel an anderen Stellen auch als "Bund" bezeichnet. Den Bund, den Gott mit seinem Volk schließt. Ja - und wenn es dann soweit ist, dann bekommen wir die volle Summe - nämlich unseren "Palast", in dem wir die Ewigkeit verbringen, in unmittelbarer Nähe unseres Herrn. Und manchmal. Manchmal muß sich diese "Anzahlung" des Geistes kräftig in uns Christen regen. Damit wir nicht denken, über unsere Ewigkeit wird irgendwann einmal eine "himmlische Prüfungskommision" entscheiden. Sondern damit wir denken: Dann ist es endlich soweit - und mein himmlischer Vater wird sein Kind in die Arme schließen - im Schauen, nicht mehr im Glauben. "Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!" (Römer 8:15) Wie Paulus das im Römerbrief ausdrückt.
Ja, wenn das so ist. Dann kann ich mich in meinen schlechten Tagen. In den mancherlei Nöten. Wenn mein Leib und meine Seele mir zu schaffen machen. Wenn mir mein Herr allzu fern erscheint. Dann kann ich mich seufzend danach sehnen, nach der Ewigkeit. Und in meinen guten Tagen - da kann ich mich darüber freuen und danken, daß es mir so gut geht. Und dann, dann kann ich  mir sagen: Es kommt noch viel besser. Eben so, wie beim Umzug von einem Rucksack-Zelt in einen Palast. "Wir aber sind getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn." Amen.

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