Drei gute Gründe zum Beten

Predigt über Hebräer 4,14-16

Hebräer 4:14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis. 15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 16 Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.

Liebe Geschwister,
es gibt - mindestens! - drei gute Gründe für das zuversichtliche, vertrauensvolle Gebet. Gründe, warum wir voller Vertrauen zu unserem Herrn kommen können, zum "Thron der Gnade".

1. Wir haben es nötig

"Not lehrt beten", so heißt es im Sprichwort. Und auch dann, wenn manche die Not eher das Fluchen als das Beten lehrt. Ist es trotzdem richtig: Was treibt mich mehr zum Gebet an als die klare Einsicht, daß ich es nötig habe? Auch der Hebräerbrief findet es ganz normal. Wir gehen dann zu Gott, "zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben".
Ist das allezeit verständlich? Nun, ein Mensch in Krankheitsnot. Ein Mensch, dem die Sorgen über dem Kopf zusammenschlagen. Der wird - wenn er denn glaubt, daß es einen Gott gibt. Der wird sich oft ganz "automatisch" mit seiner Not an Gott wenden. Die Evangelien sind voll davon. Wie allerlei Menschen mit ihren Krankheitsnöten und anderen Nöten zu Jesus kommen. "Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt." (Matthäus 15,22) So ruft die ausländische - kanaanäische - Frau zu Jesus. "Herr, erbarme dich über meinen Sohn! denn er ist mondsüchtig und hat schwer zu leiden; er fällt oft ins Feuer und oft ins Wasser..." (Matthäus 17,15), bittet ein anderer Mensch. Immer wieder kommen Menschen zu Jesus mit ihrer Not. Und sie rufen: Herr, erbarme dich!
Vielleicht ist es sogar allzu selbstverständlich. Daß ich mit solchen Lebensnöten zu Jesus komme. So selbstverständlich, daß darüber unsere größte Not aus dem Blick gerät: unsere Sünden-Not. Ja, wer krank ist oder in anderen Schwierigkeiten. Der läßt sich gern helfen von Gott. Aber wer kommt schon gern mit seiner Sünden-Not? Denn das "kratzt schwer am Selbstbewußtsein". Da muß ich mich schämen. Da muß ich aufhören, mir und Gott einzureden: Eigentlich bin ich ein ganz patenter Mensch - die üblichen kleinen und großen Fehler und Schwächen ausgenommen, natürlich.
Deshalb muß Gott oft erst hart an mir arbeiten. Bis es mir über die Lippen kommt: Herr, erbarme dich über meine Sünden-Not. Ich habe deine Hilfe nötig - dringend. Wir haben das letzte Mal ja über das Wort Gottes nachgedacht (Predigt über Hebräer 4,12-13). Über dieses lebendige, kräftige Wort der Bibel. Das durchdringt. Das meine Not aufdeckt. Und mir "ins Gewissen redet". Gewissensnöte. Drückende Sündennöte. Wenn das Wort Gottes sie einmal "am Wickel hat". Dann können so groß werden, daß sie mein ganzes Leben lähmen. Mir nachts den Schlaf rauben. Mir alle Lebensfreude vergällen. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen - aber andersherum gilt es eben auch...
Es sollte einmal einer ein böses Gewissen malen. Er kam auf eine höchst interessante Idee: Er malte ein Rassepferd im vollen Lauf, verfolgt von einem Schwarm Wespen und Bienen. Unter das Bild setzte er die lateinische Schrift: "Frustra curris", das heißt auf deutsch: "Dein Laufen ist umsonst." Nein, wenn das Gewissen aufwacht. Dann ist es wichtig, daß ich  nicht die Flucht ergreife. Die Flucht vor Gott.
Nein - gerade dann sollte ich keine Ausflüchte suchen. Sonst ergeht es mir wie dem Mann, der auf seinem Hof nachts aufwachte vom Bellen seines Hundes. Er war müde und entnervt, und in seiner Wut nahm er einfach sein Gewehr und schoß den armen Hund tot. Da war dann tatsächlich Ruhe. Nur am nächsten Tag. Da stellte er dann fest, daß auf seinem Hof ein Einbrecher gründlich "aufgeräumt" hatte. Da konnte der Hund aber nun wirklich nichts dafür, der seinem Herrn den Schlaf "gestört" hatte...
Nein, wenn das Gewissen aufwacht. Dann will ich es nicht zum Schweigen bringen, "totschlagen". Sondern dann will ich mit meiner Sünden-Not zum Herrn kommen. Ihn suchen. Im Gebet. "Laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden." Ja, wir haben sie wirklich nötig, diese Barmherzigkeit, diese Gnade Gottes. Wohl dem, der das einsieht. Und zur besten Hilfe greift. Zum Gebet: Herr, erbarme dich über meine Sünden-Not.

2. Im Gebet finden wir einen, der uns wirklich versteht

Wenn ich zu einem Menschen gehe. Um mit ihm über meine Nöte zu sprechen. Dann hat es ja oft lange gedauert, bis ich mich dazu durchgerungen habe. Vielleicht ist mir ja manches allzu peinlich, um darüber zu reden. Ich komme ins Gespräch, mit der Befürchtung: Was wir der wohl über mich denken, wenn ich jetzt all meine Nöte offen ausbreite? Wird er befremdet sein? Wird er mich belehren? Wird er vielleicht gar über mich lachen? Oder - wird er mich verstehen? Wird er sich in mich "hineindenken" können? Hat er vielleicht sogar die gleiche Not schon selbst durchgemacht? Und kann mir gut nachfühlen?
Liebe Geschwister. Wenn wir sagen: Bei Jesus. Da finden wir einen, der mich wirklich versteht. Dann ist das sehr viel mehr als nur eine fromme Redensart. Mehr als eine platte Floskel. Welches Bild habe ich von Jesus? Es gibt heutzutage Computerspiele, wo man in die Rolle eines Helden schlüpfen kann, der für das Gute kämpft. Natürlich hat so ein Held allerlei durchzumachen, bis er den Kampf gewonnen hat. Ich kann mich ganz in ihn hineinversetzen, meine Umgebung vergessen. Dieser Held - er kämpft hart. Er kann dabei sogar sein Leben verlieren. Aber alles, was mir, dem Spieler im schlimmsten Fall geschieht, ist eine Anzeige auf dem Schirm: "Game over" - das Spiel ist vorbei. Es ist ja alles nur "virtuell", wie man dazu sagt. Virtuell - in einer Scheinwelt. Nein - als Gott in diese Welt kam, da hat er nicht nur vor einem "himmlischen Bildschirm Erlösung gespielt"! Er hat nicht nur so getan, als ob, "virtuell". Sondern es war alles echt und lebendig.
Es ist deshalb gut, wenn wir uns - gerade jetzt, in der Passionszeit - klarmachen: Die Passion, die Leidenszeit unseres Herrn. Sie begann nicht erst, als sie ihn schließlich ans Kreuz nagelten. Eigentlich begann sie - im Augenblick seiner Geburt. Als er, der ewige Gott. Als er unser Bruder wurde. Schon kurz danach hatte seine Familie in ein fremdes Land, nach Ägypten, zu fliehen. Auch Säuglinge spüren schon etwas von solcher Lebensgefahr und hastigen Flucht! Bevor er als dreißigjähriger Mann in den Verkündigungsdienst tritt, hat er eine vierzigtägige, harte Prüfungszeit vor sich, in der Einsamkeit der Wüste (Matthäus 4). Der Teufel versucht seine gesamte Kunst an ihm, um ihn von seinem Weg abzuhalten - es sind Anfechtungen, die wir uns wahrscheinlich nicht einmal entfernt vorstellen können. Er weiß auch, wie es ist. Wenn man von seinen Freunden enttäuscht wird. Bei seinen Jüngern. Seinen engsten Vertrauten und Freunden. Muß er mitansehen, wie der eine aus diesem engsten Kreis ihn feige verleugnet und im Stich läßt, als es darauf ankommt. Und ein anderer - der übergibt ihn mit einem Kuß in die Hände seiner Mörder. Seine scheinbaren Erfolge bei den Volksmengen - zeigen schnell ihr wahres Gesicht. Einmal, als alle von seiner kompromißlosen Botschaft abgeschreckt sind, da stehen schließlich nur noch seine Jünger um ihn herum, und er fragt sie: Wollt ihr auch gehen? (Johannes 6,67) Was muß das für eine Enttäuschung gewesen sein: Aller Einsatz im Dienst - scheinbar umsonst! Die geistliche "Elite" seiner Zeit: Sie hängt nicht an seinen Lippen. Sondern sie kämpft gegen ihn, und sorgt schließlich dafür daß er durch Verrat und einen manipulierten Prozeß beseitigt wird. Auch der Angstschweiß und das Zittern vor dem Tod (Lukas 22,44 u.a.), im Garten Gethsemane. Und dann seine Schreie am Kreuz. Sie waren alle echte Schreie eines echten Menschen, nicht "virtuell" und gespielt. Wenn hier steht, daß er in allem so versucht worden ist wie wir - dann können wir uns denken: die Evangelien berichten längst nicht alles, was unser Herr durchzustehen hatte.
Wir sollen das wissen. Wenn wir zu Jesus kommen, im Gebet. Wir sollen wissen: Jetzt rede ich mit einem, der meine ganze Not versteht. Er versteht sie - nicht nur der Theorie nach. Sondern aus eigener Erfahrung. Sogar meine Sündennot versteht er. Kennt er doch alle diese Anfechtungen und Angriffe des Teufels nur zu gut - das waren keine Scheinkämpfe und kein Schattenboxen! Mit einem einzigen Unterschied - und das hat ihm kein Mensch nachgemacht: Er hat nicht nachgegeben - weil er in all seiner Menschlichkeit immer noch der Sohn Gottes war und blieb. Versucht in allem wie wir - doch ohne Sünde. So wird das hier ausgedrückt. Deshalb versteht er mich, wenn ich zu ihm komme. Er kann mitleiden mit meinen Nöten - weil er sie kennt. Er ist ein mitleidiger Hohenpriester. Eigentlich ein - wir kennen es als Fremdwort - "sympathischer" Hohenpriester, so heißt es im Originaltext. Scheuen wir uns nicht, zu ihm zu beten! Denn er wird mich nicht kühl belehren. Er wird nicht über mich lachen. Er wird sich auch nicht mit Grausen abwenden. Sondern er wird meine Nöte auf sein Herz nehmen, weil er sie versteht. Ein wirklich "sympathischer" Hohenpriester - das ist er.

3. Unsere Gebete kommen an - "bei höchster Stelle"

Wir wollen nun sehen, was dieser "sympathische Hohenpriester" aus unseren Gebeten macht. Was tat eigentlich ein Hohepriester? Wie haben wir dieses Bild zu verstehen? Im 2. Mosebuch gibt es eine ausführliche "Kleiderordnung" für den Hohenpriester. Ich weiß - solche Kapitel lesen sich manchmal zäh - aber vielleicht können uns ja gerade hier diese scheinbar langatmigen Beschreibungen weiterhelfen. An einer Stelle (2. Mose 28,29) ist beschrieben, wie der Hohenpriester zwölf Edelsteine trug, angebracht auf der Brusttasche seiner Kleidung. Zwölf Steine - für zwölf Stämme Israels - also das ganze Volk Gottes ist gemeint. Er trug diese Steine - das Volk Gottes - direkt auf seinem Herzen, dort wo die Brusttasche eben angebracht war. Und mit dem Volk Gottes "auf dem Herzen" ging er hinein in das Heiligtum, betete für sie, bat um Vergebung ihrer Sünden. Ging dort hinein, wo sonst kein Mensch hineindurfte: Dort, wo über der Bundeslade mit den Zehn Geboten. Dort wo über der Bundeslade der "Gnadenthron" angebracht war. Dort, wo Gott erschien.
In Erinnerung an diesen alten Hohenpriester. Können wir es uns so vorstellen: Wie Jesus uns, seine Jünger. Das Volk Gottes. Wie er uns und unsere Gebete "auf seinem Herzen" trägt. Wie er "die Himmel durchschreitet" und diese Gebete direkt vor dem Thron Gottes ablegt. Wie er sich für diese Gebete einsetzt, und für ihre Erhörung sorgt. Ja, wenn wir ohne Jesus beten wollten. Dann wäre in der Tat die alte Befürchtung wahr. Denn dann würden unsere Gebete nicht weiter gehen, als bis zur Zimmerdecke. Aber so. So nimmt sie Jesus, der "sympathische Hohepriester". So nimmt er die Gebete mit, auf seinem Herzen, und bringt sie zum "Thron der Gnade". So, daß sie sicher beim Thron Gottes ankommen. "Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben ... der die Himmel durchschritten hat, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis." Wir wollen daran festhalten. Und voller Vertrauen beten. Voller Vertrauen, daß Jesus unsre Gebete nicht nur mit Verständnis anhört. Sondern daß er sie zuverlässig bis vor den Thron Gottes bringt. Vor die "höchste Instanz". Auf daß sie dort gehört werden.
Deswegen - darf jeder wissen, der es spürt. Wie nötig er die Hilfe Gottes hat in seiner Not. Sei es eine Lebens-Not. Oder - besonders - eine Sünden-Not. Deshalb darf jeder wissen, daß er Barmherzigkeit und Gnade findet - genau zu der Zeit, wenn er Hilfe nötig hat. Wir wollen das nutzen, zum Gebet. Und zwar - voller Zuversicht. Amen.

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