Liebe Gemeinde,
Gott kann durch sein Wort geistlich tote Menschen aufwecken. Solche,
die in keiner lebendigen Beziehung zu Jesus Christus leben. "Beleb dein
Werk, o Herr, zeig deinen starken Arm, weck durch dein Wort die Toten
auf, der Deinen Herz mach warm" (z.B. in: Gesangbuch der
Evangelisch-Methodistischen Kirche 398,1). So heißt es in einem
alten Erweckungslied.
"Weck durch dein Wort die Toten auf." Nun ist der Zusammenhang mit
diesem schwierigen, "sperrigen" Abschnitt aus dem Buch Hesekiel auf den
ersten Blick nicht gleich zu erkennen. In der Tat kann man diesen Text
verschieden auslegen, wie das oft bei Worten der Propheten der Fall
ist. Hier habe ich mindestens drei verschiedene Arten gefunden.
Da ist zum einen die hoffnungslose Lage des Volkes Israel, in der
babylonischen Gefangenschaft. Israel war gleichsam "tot", denn es
existierte nicht mehr als Nationalstaat. Der Ruhm alter Tage, unter den
Königen David und Salomo, war Vergangenheit. Zu diesen
Verschleppten, Gefangenen, soll Hesekiel sagen: Siehe, ich will eure
Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern
herauf und bringe euch ins Land Israel. Wir wissen heute, dass diese
gleichsam "nationale Auferstehung" damals tatsächlich Wirklichkeit
geworden ist: Israel konnte nach einigen Jahrzehnten zurückkehren
in sein Land, Jerusalem und den Tempel darin neu aufbauen.
Wieder andere erinnert dieser Abschnitt an die Auferstehung der Toten,
die Jesus einmal am Ende der Tage bewirken wird. In der Tat könnte
man über diesen Bibelabschnitt auch gut am "Totensonntag", am
Ewigkeitssonntag predigen - oder in der Osterzeit.
Ich möchte heute eine dritte Auslegungsweise wählen. Ich
frage danach: Was sagt dieser Text für unser geistliches Leben
hier und heute? Wie schafft Gottes Wort heute geistliches Leben, neues
Leben, mitten unter uns? Ich denke, man kann hier - mit aller Vorsicht
- den Weg erkennen, den Gottes Wort mit einem Menschen geht. Den Weg,
bis er zum lebendigen Glauben an Jesus findet. Diese Auslegung kann und
soll uns Mut machen. Damit wir erwarten, dass Gottes Wort auch heute
noch Großes in unserem Leben bewirken kann.
Es ist schon - zugegeben - eine makabre Vision, die Gott hier dem
Propheten Hesekiel zeigt. Fast wie Alptraum, wie ein Abschnitt aus
einem Horrorfilm, so mutet dieses Erlebnis an. Gott nimmt Hesekiel
gleichsam an der Hand, und er führt ihn durch ein Feld voller
Leichen, besser gesagt dem, was davon übrig ist - den
Knochengerippen. Es ist ein Ort, wo es einmal Menschen gab - und jetzt
ist es ein Ort ohne Leben. Gott entschuldigt sich nicht für dieses
drastische Bild, er sagt Hesekiel auch nicht: Fürchte dich nicht!
- oder ähnliche tröstende Worte. Sondern er sagt ihm: Halte
diesen Skeletten eine Predigt! Ihr verdorrten Gebeine, höret des
Herrn Wort!
Selbst bei einer Trauerfeier auf dem Friedhof würde ich nicht auf
die Idee kommen, dass ich meine Ansprache für die Toten in den
Gräbern halte. Gottes Wort ist doch für die Lebenden, nicht
für die Toten - oder? Allerdings - wenn man es genau betrachtet,
dann hat auch unser Herr Jesus Christus schon eine Kurzpredigt für
eine Leiche gehalten. Wisst ihr, was ich meine? - Da steht Jesus vor
einer Grabhöhle und betet, und dann heißt es: "Als er das
gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der
Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an
Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt
mit einem Schweißtuch." (Johannes 11:43-44) Das Wort Jesu kann
tatsächlich Tote auferwecken!
Natürlich war das ein besonderes Wunderzeichen, was wir als
Prediger so keinesfalls wiederholen können. Der Sache näher
kommen wir, wenn wir nach dem geistlichen Hintergrund fragen und den
Apostel Paulus hören: "Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit,
hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns,
die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht
..." (Epheser 2:4-5)
Was wir hier in durchdachten Worten hören, kennen so manche aus
eigener Erfahrung: Da erzählst du einem Menschen von Jesus, du
lädst ihn zum Glauben ein - und er reagiert nicht, oder wird
vielleicht sogar noch ärgerlich. Gegenüber dem Wort Gottes
ist er anscheinend völlig unempfindlich, "wie tot". Selbst junge,
gesunde Menschen, die sonst vor Energie und Tatendrang nur so
sprühen, können in geistlicher Hinsicht so tot sein wie die
Gebeine in der Vision Hesekiels - wenn sie nicht zum Glauben an Jesus
kommen. Da könnte ich so manches aus meiner eigenen Jugend als
Bestätigung anfügen - und einige von euch vielleicht ebenso.
Es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder klarmachen, damit wir
nicht entmutigt werden. Entmutigt, wenn wir das Evangelium weitersagen.
Die Bibel sagt über den Menschen im "Naturzustand": Er hat
geistlich gesehen nicht nur taube Ohren, er ist nicht nur angeschlagen
und braucht geistliche Heilung und religiöse Rehabilitation. Nein,
der Ungläubige ist geistlich gesehen weder krank noch behindert,
sondern er ist mausetot. Und dennoch kann das Wort Gottes auch an einem
solchen Toten gewaltige Dinge bewirken. So ein gewaltiges Wort ist es!
"Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte
sich, und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein. Und ich
sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf." Das muss ein
gruseliger Anblick gewesen sein - die meisten von uns wären sicher
zu Tode erschrocken. Was Hesekiel dabei erlebt, wie er sich fühlt,
das wird uns nicht gesagt. Wir erfahren nur, wie der Prophet
verkündigt, und wie Gottes Wort neues Leben schafft, Schritt um
Schritt.
Ein Theologiestudent hat ja allerlei Fächer zu studieren. Ich
erinnere mich, wie ich einmal ein knappes Jahr bei einem Professor
hörte, der Missionswissenschaft lehrte. Dieser Mann war nicht nur
hochgelehrt, sondern er war auch selbst einmal Missionar gewesen. Ich
habe bei ihm eine Menge gelernt, unter anderem über die Bekehrung.
Er lehrte uns: Echte Bekehrungspredigt setzt nicht beim Gefühl an,
nicht beim Verstand - sondern sie packt den Menschen bei seinem
Gewissen. (wiederholen)
Seitdem ist mir dieser Zusammenhang im Gedächtnis geblieben. Er
hat eine gute biblische Grundlage. Als Petrus mit seiner Pfingstpredigt
vor den vielen tausend Zuhörern fertig ist, da heißt es von
ihnen: "Als sie aber das hörten, ging's ihnen durchs Herz, und sie
sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe
Brüder, was sollen wir tun?" (Apostelgeschichte 2:37) Wohlgemerkt:
Es erregten sich nicht fromme Gefühle, es beeindruckte nicht ihren
Verstand, es schlug ihnen auch nicht auf den Magen - sondern es ging
ihnen "durchs Herz". Das Herz - der Ort, wo nach der Bibel auch
unser Gewissen ist.
Das erste, das Gottes Wort in einem geistlich toten Menschen bewirkt,
ist oft: Er wird unruhig. Ja, er wird unruhig. Das Leben läuft
nicht mehr so selbstverständlich ab wie früher, Gottes
Wort wühlt in ihm viele Fragen auf, er macht sich ein Gewissen bei
Dingen, die er vorher immer ganz selbstverständlich getan hat.
Oder in biblischen Begriffen ausgedrückt: Das Leben ohne Gott, das
Sündigen gegen Gottes Gebote, es macht einfach keinen rechten
Spaß mehr. Wer sich in einem solchen Zustand befindet, der kann
sogar einen hartgesottenen Atheisten beneiden. Schließlich muss
der sich nicht so viele Gedanken machen, sondern er kann in Ruhe leben,
so, als ob es Gott und Gottes Wort nicht gäbe.
Übrigens tritt diese Erscheinung nicht nur bei kirchlich
völlig ungebundenen Menschen auf. Die Kirchengeschichte zeigt,
dass das in Zeiten des geistlichen Aufbruchs mitten in der christlichen
Gemeinde geschieht. Auf einmal wird ein Mensch unruhig: Einer, der
aufgewachsen ist mit dem Kindergottesdienst, später immer in die
Kirche gegangen ist, und immer engagiert war. Auf einmal packt ihn
Gottes Wort beim Gewissen, und seine ganze christliche Lebensgeschichte
wird ihm fragwürdig. Er merkt, dass ihm nach den vielen Jahren
immer noch etwas Entscheidendes fehlt. Bei Evangelisationen in
früheren Zeiten war es immer ein Anliegen, solche Menschen vom
Traditionsglauben hinüberzuführen zu einer lebendigen
Beziehung zu Jesus Christus. Sie zu "erwecken", wie man das nannte.
Ich weiß nicht, ob du diesen unruhigen Zustand aus deinem eigenen
Leben - oder aus dem Leben anderer - kennst. Ich finde, hier passt das
Bild von den ersten Bewegungen der Totengebeine gut: Noch ist kein
neues, geistliches Leben aus Christus da. Noch liegt da ein
"geistliches Knochengerüst", bewachsen von Fleisch und Sehnen.
Aber es regt und bewegt sich etwas. Es ist etwas im Gang. Gottes Wort
hat etwas in Bewegung gesetzt. Etwas, das - nach menschlichem Ermessen
- eigentlich nur tot daliegen kann. Was wird Gott wohl daraus machen?
Wie wird er es zu einem guten Ende bringen?
Was jetzt geschieht, erinnert mich an die Erschaffung des ersten
Menschen (1. Mose 2:7). Da baut Gott zuerst aus den Grundstoffen der
Welt einen menschlichen Körper: "Da machte Gott der HERR den
Menschen aus Erde vom Acker..." Und doch ist der Mensch damit noch kein
Lebewesen, sondern eine Ansammlung aus Wasser und vielen anderen
chemischen Stoffen, etwas, das lediglich aussieht wie ein Mensch. Aber
dann gibt der Schöpfer die Lebenskraft in ihn hinein, etwas, das
ihm so nur Gott selbst geben konnte. Und es heißt es weiter von
Gott: "und (er) blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so
ward der Mensch ein lebendiges Wesen." Diesen Odem des Lebens - das ist
etwas, das kein Philosoph und kein Wissenschaftler je ergründen
wird, davon bin ich überzeugt. Und doch ist es genau das, was uns
zu lebendigen Menschen macht.
Ich denke, ähnlich ist es bei der Erschaffung geistlichen Lebens.
Da ist ein Mensch "erweckt" worden, Gottes Wort hat ihn im Innersten
gepackt. Ja, vielleicht ist in seinem Leben sogar schon etwas
entstanden, das so aussieht wie ein Christ, gewissermaßen das
Fleisch und die Sehnen auf den Knochen - nur das Leben fehlt noch. Wo
wird dieses Leben herkommen?
"Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie,
und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre
Füße, ein überaus großes Heer." Im Originaltext
wird klar, das es sich dabei um ein Wortspiel handelt. Es steht
nämlich ein Wort da (ruach), das im Hebräischen sowohl
"Odem", "Wind" als auch "Geist" heißen kann. Wer sich im Buch
Hesekiel umschaut, merkt schnell, dass hier der Heilige Geist gemeint
ist. Kurz vorher sagt Hesekiel dem gefangenen Volk, was ihnen einmal in
ferner Zukunft der Messias bringen wird, der Retter, auf den sie
warten. "Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch
geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch
ein fleischernes Herz geben." (Hesekiel 36:26)
Ein neuer Geist: Es ist dieser Geist Gottes, der das Volk geistlich auf
die Beine bringt. Es ist der Geist, der dem Wort Gottes seine gewaltige
Kraft gibt, dass es dieses Wunder vollbringen kann. "...weck durch dein
Wort die Toten auf, der Deinen Herz mach warm." Es ist genau das, was
in diesem alten Lied besungen wird. Ein Lied, das in solchen Zeiten der
geistlichen Erweckung entstanden ist. Gottes Wort erweckt nicht nur die
Menschen, macht sie unruhig, lässt sie nach Gott fragen. Nein, es
schafft auch Leben - nämlich eine lebendige Beziehung zu meinem
Herrn und Retter. Es weckt mich aus dem geistlichen Tod, und es
erwärmt mir das Herz für Jesus. Es ist gewissermaßen
ein "geistreiches" Wort, ein Wort voller Heiligem Geist: Weissage, du
Menschenkind und sprich zum Odem...
Es ist manchmal erstaunlich, auf sehr verschlungenen Wegen, wie das
Wort Gottes einen solchen Weg mit einem Menschen geht. Und manchmal
werden die Einzelheiten erst bekannt, wenn der Betreffende schon lange
verstorben ist. Es war im 19. Jahrhundert, als vor der Küste
Spaniens ein deutsches Handelsschiff sank. Keiner wurde gerettet, aber
es wurden eine Menge Matrosenkleider an Land gespült. Eine
spanische Papierfabrik kaufte die Kleider, um sie weiter zu
verarbeiten. Als man die Kleider auftrennte, fand man in einer
Matrosenjacke eine deutsche Bibel. Der Matrose hatte auf die erste
Seite geschrieben: "Markus Rotmann 1864. Das erstemal gelesen um der
Bitte meiner Schwester Lotte willen. Das zweite Mal gelesen vor Angst
um meiner Seele willen. Das dritte und alle die andern Male aus Liebe
zu meinem Heiland Jesus Christus."
Ja, es ist schon ein gewaltiges Wort, dieses Wort Gottes. Dieses Wort,
das geistlich Tote aufwecken kann. Erinnerst du dich noch, wie dieses
Wort mit dir seinen Weg gegangen ist? Bis du eine lebendige Beziehung
zu Jesus hattest? Wie es dich gewiss und froh gemacht hat, dass er dir
alle deine Sünden vergeben hat? Vergiss solche Erfahrungen nicht!
Dann wirst du dankbar, und du bekommst Mut. Mut für deinen eigenen
Glauben. Und den Mut, dass es nicht vergeblich ist. Nicht vergeblich,
wenn du das Wort Gottes an Andere weiter sagst. Selbst dann, wenn es
sie scheinbar nicht interessiert. Gottes Wort kann es! Denke daran.
Oder bist du noch mitten auf dem Weg mit dem Wort? Und du merkst, wie
verloren du vor Gott da stehst? Dein Gewissen ist aufgewacht? Und du
stellst fest, dass dir noch etwas Entscheidendes fehlt? Dann
zögere nicht. Und bitte Jesus, dass er auch den letzten Schritt
mit dir geht. Wenn du es ernst meinst, dann wird er dir diese Bitte
nicht ausschlagen. Und er wird dir deine Sünden vergeben und
dir neues Leben schenken. "Und ich weissagte, wie er mir befohlen
hatte. Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und
stellten sich auf ihre Füße." Amen.