Das Kreuz Christi im Alten Testament: Der unerschütterliche Friedensbund - Predigt über Jesaja 54,7-10

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Liebe Gemeinde,
Gottes Gnade ist unerschütterlich. Wir können uns grenzenlos darauf verlassen. Dafür bürgt der Bund, den er am Kreuz von Jesus Christus mit uns geschlossen hat.

1.  Gottes Gnade ist nicht selbstverständlich

In unserer heutigen Zeit ist es nicht mehr der Normalfall, dass Menschen an Gott und Jesus Christus glauben. Wenn man sich schon darauf einlässt, dann soll es wenigstens ein freundlicher Gott sein.  Einer, der mich so leben lässt, wie ich will. Einer, der mich so nimmt, wie ich bin - einschließlich meiner großen und kleinen Sünden. Wie bemerkte einmal der französische Philosoph Voltaire über Gott: Vergeben, das ist sein Metier, sein Beruf. Der Maurer baut Häuser, der Kaufmann verkauft seine Ware - und Gottes Beruf ist das Vergeben. Er ist nicht kleinlich, wenn wir Fehler machen, er verurteilt uns nicht. Wie ein freundlicher älterer Herr, eine Art besonders netter Weihnachtsmann, nur ohne den roten Mantel und die Mütze.
"Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen... Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen..." Der lebendige Gott der Bibel ist so ganz anders als unsere Wunschvorstellungen. Er kann zornig werden. Er kann sich vor uns verbergen. Ja er kann uns sogar verlassen. Diejenigen, die der Prophet Jesaja hier zuerst anspricht, viele Jahrhunderte vor Christus, wussten ganz genau, was er damit meint. Sie wurden verschleppt aus ihrer Heimat. Sie durften nicht mehr zurückkehren. Sie wurden gezwungen dort zu leben, wo der Eroberer und Zerstörer ihres Landes zu Hause war. Und das Schlimmste: Es war ihnen längst klar geworden, dass sie genau das verdient hatten. Es war eine gerechte Strafe des Herrn, ihres Gottes.
Israel, das auserwählte Volk Gottes. Beschenkt mit seinem Segen. Ausgerüstet mit seinem Wort. Es hatte sich abgewendet von Gott, und das seit langer Zeit. Das Alte Testament wird an dieser Stelle sehr konkret: Sie hatten seine Gebote, aber sie schlugen sie in den Wind. Sie beteten andere Götter an, sie errichteten ihnen Heiligtümer. Sie lebten nicht in gegenseitigem Respekt und Liebe, sondern es galt das Recht des Stärkeren. Wer zu schwach war, wurde gnadenlos ausgebeutet. Und das war  längst nicht alles. Gott hatte sie immer und immer wieder gewarnt. Bis es ihm schließlich zu viel wurde. Im Jahre 586 vor Christus eroberte die babylonische Großmacht die Hauptstadt Jerusalem, die Stadtmauer wurde eingerissen, der Tempel für den Herrn, ihren Gott wurde zerstört. Sie wurden umgesiedelt nach Babylonien und lebten dort im Exil.
"Ich habe dich einen Augenblick verlassen", so beschreibt Jesaja das Geschehen aus geistlicher Sicht. Wenn wir den Zusammenhang des Textes lesen, finden wir dahinter ein starkes Bild: Gott der Herr ist ein Mann, und Israel ist seine Ehefrau. Eine Frau, die ihren Mann wieder und wieder verletzt und betrogen hat, ohne jeglichen Grund. Bis der Mann es nicht mehr aushält in ihrer Nähe, und sie verlässt.
Sünde zerstört unsere Beziehung zu Gott, das war damals so, und das ist bis heute so. Sie ist ein Angriff auf Gott, und sie verletzt ihn zutiefst. So, wie wenn jemand von seinem Partner betrogen wird. Gott lässt das nicht kalt, sondern er reagiert mit heiligem Zorn. Das ist im Neuen Testament und bei Jesus nicht anders. An vielen Stellen lesen wir vom Gericht Gottes am Ende der Zeiten, wenn er mit unserer Sünde endgültig abrechnet. Und das Einzige, das uns davor bewahren kann, ist das Opfer Jesu am Kreuz. Wohl dem, der diese Zusammenhänge ernst nimmt! Und Gott nicht verwechselt mit dem sprichwörtlichen alten Mann mit dem weißen Bart.

2.  Gottes Gnade fließt aus seinem Mitleid und Erbarmen

Es ist schon angeklungen: Gottes Zorn über die Sünde ist nicht sein letztes Wort. Jesaja legt Wert darauf, dass das Volk Gottes - niedergedrückt und ohne Hoffnung im Exil - das begreift. "Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.   Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser." Israel hat verstanden, warum es in Babylonien ist, und man ist traurig und voller Reue. So klagen sie im Psalm: "An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangen hielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: »Singet uns ein Lied von Zion!« Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande?" (Psalm 137:1-4).
Gott hört ihre Klagen, er sieht ihre Reue, und es betrübt ihn, dass sie so ganz ohne Hoffnung sind. "Der Herr, dein Erbarmer", so nennt Gott sich   selbst. Und auch hier steht wieder ein starkes Bild dahinter. Im hebräischen Original klingen im Wort "Erbarmer" die Worte "Mutterleib, Inneres" mit. Dieses Innere, das man damals auch als Sitz der Gefühle betrachtete. Gott ist im Innersten bewegt, voller Mitleid, wenn ein verzweifelter Sünder zu ihm kommt. Jesus verdeutlicht das im bekannten Gleichnis vom Verlorenen Sohn. Als der wieder nach Hause kommt, sagt er (Lukas 15,21-24): "... Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden."

3.  Gottes Gnade macht sich fest in einem unerschütterlichen Friedensbund

Gottes Gnade, sein Mitleid und sein Erbarmen, sind keine vergängliche Stimmung. Er ist nicht launenhaft, heute gnädig und morgen zornig, und niemand weiß, woran man bei ihm gerade ist. Er macht seine Gnade verbindlich und fest, und bindet sich an seine Zusagen. Das biblische Wort dafür ist "Bund". Nun muss man die Natur dieses Bundes sehr genau verstehen. Wenn Menschen miteinander einen Bund schließen, dann verpflichten sie sich gegenseitig vertraglich zu einer Zusammenarbeit. Zum Beispiel können zwei Länder einen Wirtschaftsbund schließen, der für beide Seiten einen Vorteil bringt - solange sich beide an die Vereinbarungen des Bundes halten.
Der biblische Bund Gottes ist etwas ganz anderes. Er ist kein Handel zwischen mir und Gott. Leider hört man so etwas auch immer wieder Zusammenhang mit so genannter "Evangelisation". Stark vereinfacht heißt das dann: Du entscheidest dich für Jesus, du kommst zu ihm, du folgst ihm nach. Und dann wirst du davon profitieren, und Gott wird seinen Teil des Deals erfüllen. Er vergibt dir deine Schuld, er ordnet dein Leben neu. Und manchmal wird als Zugabe auch noch Heilung von Krankheit versprochen, oder materieller Wohlstand.
Mit dem biblischen Begriff des Bundes hat das wenig zu tun. Ich zitiere: "Das Wort (Bund) meint ursprünglich einen Vertrag, eine Abmachung juristischer Art und bezeichnet die Selbstverpflichtung eines Stärkeren gegenüber einem Schwächeren." (Pons Wörterbuch) Diese Definition fand ich in einem hebräisch-deutschen Wörterbuch zur Bibel, und sie bringt meiner Meinung nach die Sache auf den Punkt: Die Selbstverpflichtung eines Stärkeren gegenüber einem Schwächeren. Wir befinden uns absolut nicht in der Position, um mit Gott irgendwelche "Deals" abzuschließen. Ein Sünder kann mit dem heiligen Gott nicht verhandeln. Sondern er ist ganz und gar auf Gottes einseitige Gnade angewiesen. Und das große Wunder ist: Gott entschließt sich aus freien Stücken dazu, diese Selbstverpflichtung einzugehen.
Das erste Beispiel dafür finden wir gleich am Anfang der Bibel. "Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten." Damals kam die Sintflut über eine verdorbene Menschheit, die sich bis auf wenige Ausnahmen von Gott abgewendet hatte. Doch als die Wasser abgeflossen waren, verpflichtet sich Gott: "Und ich richte meinen Bund so mit euch auf, dass hinfort nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll durch die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe." (1. Mose 9:11) Als Zeichen für diesen Bund setzt er den Regenbogen in die Wolken. Und dieser Bund gilt bis heute. Bis zu dem Tag, an dem Jesus wiederkommt und eine neue Schöpfung diese Erde ablösen wird.
In unserem Text ist von einem weiteren Bund die Rede. "... und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer." Dieser Bund des Friedens richtete sich damals zuerst an das Volk Gottes. Israel konnte nach 70 Jahren im babylonischen Exil in seine Heimat zurückkehren. Gottes Gnade, sein Mitleid und sein Erbarmen, hatten ganz konkrete Auswirkungen. Er gab nicht nur Versprechungen, sondern er setzte sie auch um.
Und doch weist dieser Bund des Friedens weit über Israel und seine Geschichte hinaus. Schon im Alten Testament ist an verschiedenen Stellen von einem "Neuen Bund" die Rede. " Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen ... das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein."  (Jeremia 31:31-33) So lesen wir beim Propheten Jeremia.
Jahrhunderte später ist es soweit. Es ist die Nacht, in der Jesus zum letzten Mal mit seinen Jüngern zusammen ist, sie feiern zusammen das jüdische Passafest. Danach beginnt sein Prozess und sein Leidensweg, der schließlich am Kreuz endet. Viele Worte gibt Jesus ihnen zum Abschied mit. Und dann kommt er auf den Punkt. "Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird." (Markus 14:22-24)
Das Blut des Bundes. Der Apostel Paulus schreibt dazu im Römerbrief (Römer 5:8-9): "Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind!"  Das Blut Jesu wäscht uns rein von unseren Sünden. Das Blut Jesu bewahrt uns vor dem Zorn des heiligen Gottes. Das Blut Jesu ist die vertragliche, unerschütterliche Selbstverpflichtung Gottes. Und wenn du in deinem Gewissen erschüttert bist. Wenn du verzweifelst. Wenn du denkst: Mit so einem wie mir will Gott nichts zu tun haben. Dann sollst du wissen: Das Gegenteil ist der Fall. Gott sieht dich voller Mitleid und Erbarmen an. Er möchte dir deine Sünde wegnehmen und noch einmal neu mit dir anfangen. Dafür bürgt der unerschütterliche Bund seines Friedens, besiegelt mit dem Blut Jesu. Komm zu ihm und setze dein ganzes Vertrauen auf ihn. "Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer." Amen.

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