7 Ich habe dich einen kleinen
Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich
dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein
wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner
erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur
Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr
über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich
nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten
will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines
Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.
Liebe Gemeinde,
Gottes Gnade ist unerschütterlich. Wir können uns grenzenlos
darauf verlassen. Dafür bürgt der Bund, den er am Kreuz von
Jesus Christus mit uns geschlossen hat.
In unserer heutigen Zeit ist es nicht mehr der Normalfall, dass
Menschen an Gott und Jesus Christus glauben. Wenn man sich schon darauf
einlässt, dann soll es wenigstens ein freundlicher Gott
sein. Einer, der mich so leben lässt, wie ich will. Einer,
der mich so nimmt, wie ich bin - einschließlich meiner
großen und kleinen Sünden. Wie bemerkte einmal der
französische Philosoph Voltaire über Gott: Vergeben, das ist
sein Metier, sein Beruf. Der Maurer baut Häuser, der Kaufmann
verkauft seine Ware - und Gottes Beruf ist das Vergeben. Er ist nicht
kleinlich, wenn wir Fehler machen, er verurteilt uns nicht. Wie ein
freundlicher älterer Herr, eine Art besonders netter
Weihnachtsmann, nur ohne den roten Mantel und die Mütze.
"Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen... Ich habe mein
Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen..." Der
lebendige Gott der Bibel ist so ganz anders als unsere
Wunschvorstellungen. Er kann zornig werden. Er kann sich vor uns
verbergen. Ja er kann uns sogar verlassen. Diejenigen, die der Prophet
Jesaja hier zuerst anspricht, viele Jahrhunderte vor Christus, wussten
ganz genau, was er damit meint. Sie wurden verschleppt aus ihrer
Heimat. Sie durften nicht mehr zurückkehren. Sie wurden gezwungen
dort zu leben, wo der Eroberer und Zerstörer ihres Landes zu Hause
war. Und das Schlimmste: Es war ihnen längst klar geworden, dass
sie genau das verdient hatten. Es war eine gerechte Strafe des Herrn,
ihres Gottes.
Israel, das auserwählte Volk Gottes. Beschenkt mit seinem Segen.
Ausgerüstet mit seinem Wort. Es hatte sich abgewendet von Gott,
und das seit langer Zeit. Das Alte Testament wird an dieser Stelle sehr
konkret: Sie hatten seine Gebote, aber sie schlugen sie in den Wind.
Sie beteten andere Götter an, sie errichteten ihnen
Heiligtümer. Sie lebten nicht in gegenseitigem Respekt und Liebe,
sondern es galt das Recht des Stärkeren. Wer zu schwach war, wurde
gnadenlos ausgebeutet. Und das war längst nicht alles. Gott
hatte sie immer und immer wieder gewarnt. Bis es ihm schließlich
zu viel wurde. Im Jahre 586 vor Christus eroberte die babylonische
Großmacht die Hauptstadt Jerusalem, die Stadtmauer wurde
eingerissen, der Tempel für den Herrn, ihren Gott wurde
zerstört. Sie wurden umgesiedelt nach Babylonien und lebten dort
im Exil.
"Ich habe dich einen Augenblick verlassen", so beschreibt Jesaja das
Geschehen aus geistlicher Sicht. Wenn wir den Zusammenhang des Textes
lesen, finden wir dahinter ein starkes Bild: Gott der Herr ist ein
Mann, und Israel ist seine Ehefrau. Eine Frau, die ihren Mann wieder
und wieder verletzt und betrogen hat, ohne jeglichen Grund. Bis der
Mann es nicht mehr aushält in ihrer Nähe, und sie
verlässt.
Sünde zerstört unsere Beziehung zu Gott, das war damals so,
und das ist bis heute so. Sie ist ein Angriff auf Gott, und sie
verletzt ihn zutiefst. So, wie wenn jemand von seinem Partner betrogen
wird. Gott lässt das nicht kalt, sondern er reagiert mit heiligem
Zorn. Das ist im Neuen Testament und bei Jesus nicht anders. An vielen
Stellen lesen wir vom Gericht Gottes am Ende der Zeiten, wenn er mit
unserer Sünde endgültig abrechnet. Und das Einzige, das uns
davor bewahren kann, ist das Opfer Jesu am Kreuz. Wohl dem, der diese
Zusammenhänge ernst nimmt! Und Gott nicht verwechselt mit dem
sprichwörtlichen alten Mann mit dem weißen Bart.
Es ist schon angeklungen: Gottes Zorn über die Sünde ist
nicht sein letztes Wort. Jesaja legt Wert darauf, dass das Volk Gottes
- niedergedrückt und ohne Hoffnung im Exil - das begreift. "Ich
habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer
Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein
Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit
ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein
Erlöser." Israel hat verstanden, warum es in Babylonien ist, und
man ist traurig und voller Reue. So klagen sie im Psalm: "An den
Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion
gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande.
Denn die uns gefangen hielten, hießen uns dort singen und in
unserm Heulen fröhlich sein: »Singet uns ein Lied von
Zion!« Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem
Lande?" (Psalm 137:1-4).
Gott hört ihre Klagen, er sieht ihre Reue, und es betrübt
ihn, dass sie so ganz ohne Hoffnung sind. "Der Herr, dein Erbarmer", so
nennt Gott sich selbst. Und auch hier steht wieder ein
starkes Bild dahinter. Im hebräischen Original klingen im Wort
"Erbarmer" die Worte "Mutterleib, Inneres" mit. Dieses Innere, das man
damals auch als Sitz der Gefühle betrachtete. Gott ist im
Innersten bewegt, voller Mitleid, wenn ein verzweifelter Sünder zu
ihm kommt. Jesus verdeutlicht das im bekannten Gleichnis vom Verlorenen
Sohn. Als der wieder nach Hause kommt, sagt er (Lukas 15,21-24): "...
Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin
hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater
sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und
zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an
seine Füße und bringt das gemästete Kalb und
schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein
Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist
gefunden worden."
Gottes Gnade, sein Mitleid und sein Erbarmen, sind keine
vergängliche Stimmung. Er ist nicht launenhaft, heute gnädig
und morgen zornig, und niemand weiß, woran man bei ihm gerade
ist. Er macht seine Gnade verbindlich und fest, und bindet sich an
seine Zusagen. Das biblische Wort dafür ist "Bund". Nun muss man
die Natur dieses Bundes sehr genau verstehen. Wenn Menschen miteinander
einen Bund schließen, dann verpflichten sie sich gegenseitig
vertraglich zu einer Zusammenarbeit. Zum Beispiel können zwei
Länder einen Wirtschaftsbund schließen, der für beide
Seiten einen Vorteil bringt - solange sich beide an die Vereinbarungen
des Bundes halten.
Der biblische Bund Gottes ist etwas ganz anderes. Er ist kein Handel
zwischen mir und Gott. Leider hört man so etwas auch immer wieder
Zusammenhang mit so genannter "Evangelisation". Stark vereinfacht
heißt das dann: Du entscheidest dich für Jesus, du kommst zu
ihm, du folgst ihm nach. Und dann wirst du davon profitieren, und Gott
wird seinen Teil des Deals erfüllen. Er vergibt dir deine Schuld,
er ordnet dein Leben neu. Und manchmal wird als Zugabe auch noch
Heilung von Krankheit versprochen, oder materieller Wohlstand.
Mit dem biblischen Begriff des Bundes hat das wenig zu tun. Ich
zitiere: "Das Wort (Bund) meint ursprünglich einen Vertrag, eine
Abmachung juristischer Art und bezeichnet die Selbstverpflichtung eines
Stärkeren gegenüber einem Schwächeren." (Pons
Wörterbuch) Diese Definition fand ich in einem
hebräisch-deutschen Wörterbuch zur Bibel, und sie bringt
meiner Meinung nach die Sache auf den Punkt: Die Selbstverpflichtung
eines Stärkeren gegenüber einem Schwächeren. Wir
befinden uns absolut nicht in der Position, um mit Gott irgendwelche
"Deals" abzuschließen. Ein Sünder kann mit dem heiligen Gott
nicht verhandeln. Sondern er ist ganz und gar auf Gottes einseitige
Gnade angewiesen. Und das große Wunder ist: Gott
entschließt sich aus freien Stücken dazu, diese
Selbstverpflichtung einzugehen.
Das erste Beispiel dafür finden wir gleich am Anfang der Bibel.
"Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser
Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten." Damals kam die
Sintflut über eine verdorbene Menschheit, die sich bis auf wenige
Ausnahmen von Gott abgewendet hatte. Doch als die Wasser abgeflossen
waren, verpflichtet sich Gott: "Und ich richte meinen Bund so mit euch
auf, dass hinfort nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll durch
die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll,
die die Erde verderbe." (1. Mose 9:11) Als Zeichen für diesen Bund
setzt er den Regenbogen in die Wolken. Und dieser Bund gilt bis heute.
Bis zu dem Tag, an dem Jesus wiederkommt und eine neue Schöpfung
diese Erde ablösen wird.
In unserem Text ist von einem weiteren Bund die Rede. "... und der Bund
meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer."
Dieser Bund des Friedens richtete sich damals zuerst an das Volk
Gottes. Israel konnte nach 70 Jahren im babylonischen Exil in seine
Heimat zurückkehren. Gottes Gnade, sein Mitleid und sein Erbarmen,
hatten ganz konkrete Auswirkungen. Er gab nicht nur Versprechungen,
sondern er setzte sie auch um.
Und doch weist dieser Bund des Friedens weit über Israel und seine
Geschichte hinaus. Schon im Alten Testament ist an verschiedenen
Stellen von einem "Neuen Bund" die Rede. " Siehe, es kommt die Zeit,
spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause
Juda einen neuen Bund schließen ... das soll der Bund sein, den
ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht
der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn
schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott
sein." (Jeremia 31:31-33) So lesen wir beim Propheten Jeremia.
Jahrhunderte später ist es soweit. Es ist die Nacht, in der Jesus
zum letzten Mal mit seinen Jüngern zusammen ist, sie feiern
zusammen das jüdische Passafest. Danach beginnt sein Prozess und
sein Leidensweg, der schließlich am Kreuz endet. Viele Worte gibt
Jesus ihnen zum Abschied mit. Und dann kommt er auf den Punkt. "Und als
sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen
und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch, dankte
und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen:
Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird."
(Markus 14:22-24)
Das Blut des Bundes. Der Apostel Paulus schreibt dazu im
Römerbrief (Römer 5:8-9): "Gott aber erweist seine Liebe zu
uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch
Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt
werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden
sind!" Das Blut Jesu wäscht uns rein von unseren
Sünden. Das Blut Jesu bewahrt uns vor dem Zorn des heiligen
Gottes. Das Blut Jesu ist die vertragliche, unerschütterliche
Selbstverpflichtung Gottes. Und wenn du in deinem Gewissen
erschüttert bist. Wenn du verzweifelst. Wenn du denkst: Mit so
einem wie mir will Gott nichts zu tun haben. Dann sollst du wissen: Das
Gegenteil ist der Fall. Gott sieht dich voller Mitleid und Erbarmen an.
Er möchte dir deine Sünde wegnehmen und noch einmal neu mit
dir anfangen. Dafür bürgt der unerschütterliche Bund
seines Friedens, besiegelt mit dem Blut Jesu. Komm zu ihm und setze
dein ganzes Vertrauen auf ihn. "Denn es sollen wohl Berge weichen und
Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und
der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein
Erbarmer." Amen.