Christ werden: Eine neue Geburt - Predigt über Johannes 3,1-12

Johannes 3:1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.
4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müßt von neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.
9 Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann dies geschehen? 10 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht? 11 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. 12 Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage?

Liebe Geschwister,
wenn ein Mensch Christ wird, dann ist er wie neu geboren. Dann ist das so, als ob ein ganz neues Menschenwesen auf die Welt gekommen ist. So ein Wunder bewirkt der Geist Gottes.

1.  Fromm und "bibelfest" - und doch kein Christ

"Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." Als Jesus diesen Satz sagt, schaut ihn Nikodemus erst verständnislos an. Nikodemus war nämlich das, was wir heute einen "frommen Mann" nennen würden. Er strengte sich an, nach dem Willen Gottes zu leben. Er betete oft, jeden Tag. Er kannte sich gut in der Bibel aus - schließlich gehörte er zu den Pharisäern, ja Jesus nennt ihn sogar "Israels Lehrer". Und er war sicher: Wenn er einmal starb, dann würde Gott ihn wieder auferwecken. Und Gott würde ihn für sein frommes Leben belohnen. Bestimmt!
Auch er hörte von Jesus - wie viele andere damals. Jesus, der viele Wunder getan hatte. Er sagt Jesus: Kein Zweifel - deine Zeichen beweisen, Gott ist mit dir. Und weil Nikodemus außerdem eine hohe Stellung hatte - er gehörte zum jüdischen Gerichtshof - deshalb dachte er wohl: Ich muß mit diesem Mann einmal reden. In der Nacht kommt er - vielleicht hatte er Angst, dass seine frommen Freunde und Kollegen ihn sehen. Und ihre Bemerkungen machen: Was willst du bei diesem seltsamen Wundertäter? Als er bei Jesus ist, fängt er an: "Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gesandt." Und weil Nikodemus ein frommer Mann ist, denkt er sich vielleicht: Von Jesus kann ich viel lernen. Lernen, über das Leben für Gott. Sicher lag darin eine aufrichtige Bemühung - auch wenn sie hier noch in die ganz falsche Richtung ging.
Was tut Jesus? Er sagt einen merkwürdigen Satz: "Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." Da hört bei Nikodemus das Verständnis auf: "Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?" Vielleicht war Nikodemus ja selbst schon ein älterer Mann. Und er fährt fort: "Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?" Ob das einfach eine spitzfindige Frage ist, mit der der gelehrte Mann Jesus "auf's Glatteis führen" will? Oder ob er die Behauptung Jesu einfach für Unsinn hält?
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Frage, die Jesus kurz danach stellt: "Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht?" Die Frage ist sehr berechtigt. Ob Nikodemus nicht genau wusste, was der Prophet Hesekiel schon viele hundert Jahre zuvor gesagt hatte? "Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun." (Hesekiel 36,26-27) Ein Text des Propheten Hesekiel, in dem auch die neue Jahreslosung für 2017 vorkommt. Die völlige Erneuerung des Menschen, die "neue Geburt" - die hatte Gott schon lange vorher angekündigt, für die Zeit, wenn der Messias kommt. 
So deckt Jesus hier Nikodemus' ganze Blindheit gegenüber Gott auf. Und es ist - man beachte! - die Blindheit eines "bibelfesten" Menschen. Die Blindheit eines bibelfesten Menschen, der Gottes Wort von vorne bis hinten kennt - und einfach nicht wahrhaben will, was dort klar und deutlich gesagt wird. Ob es so etwas auch heute noch gibt? Fromm und scheinbar bibelfest - und doch blind gegenüber echtem geistlichen Leben?

2.  Reparaturversuche zwecklos

Nikodemus hat noch nicht verstanden, was Jesus ihm sagen will. Aber worum geht es Jesus? Natürlich geht es nicht um Geburtsforschung. Und ob ein Erwachsener noch einmal ein Baby, ja ein Neugeborenes werden kann. Jesus will damit etwas ausdrücken. Es ist ein Bild, und mit diesem Bild sagt Jesus zu Nikodemus eine Ungeheuerlichkeit. Denn: Jesus streicht die ganze Frömmigkeit des Nikodemus durch. Er macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Er sagt ihm: Denke nicht, dass du den Himmel schon in der Tasche hast. Denke nicht, dass deine Frömmigkeit genug ist.
Ich will das etwas näher erklären. Wißt ihr, was ein "Typberater" ist? Nein? Vor Jahren gab es in einer bekannten Frauenzeitschrift eine Rubrik - ich weiß nicht, ob es sie heute noch gibt. Die Rubrik hieß: Machen Sie das Beste aus ihrem Typ. Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ: Als graue Mäuse kommen sie dorthin, und als attraktive Damen von Welt gehen sie wieder. Es war auch immer ein "Vorher"- und "Nachher"-Foto abgebildet. Einfach toll - oder nicht? So etwas kann man mittlerweile auch privat mieten - ein persönlicher Typberater, ganz ohne dass man in der Zeitung abgebildet wird.
So etwas gibt es doch bestimmt auch für Männer. Ich versuche mir einmal auszumalen, wie das für mich wäre. Ich will die Sache ordentlich machen, und so komme ich also zu einem Typberater, der als besonders radikal und gründlich bekannt ist. Der untersucht mich gründlich, und gibt mir seine radikalen Empfehlungen: modernere Kleidung, neuer Haarschnitt. Für die Stirn sind am besten ein paar Haare einzupflanzen, vom Spezialisten. Ob er mir auch gleich noch die Nase etwas verkürzen kann? Die Ohren anlegen? Und dann natürlich noch ein Benimm-Kurs. Hier lerne ich vollendete Höflichkeit. Und dass ich in der Öffentlichkeit nicht mehr in meiner neuen Nase bohren darf. Ich überlege. Aber ich bin immer für gründliche Lösungen. Und lasse das alles mit mir anstellen.
Als es fertig ist, will ich zuerst meine Frau überraschen: Sie wird mich bestimmt nicht erkennen, und einen solchen Herrn von Welt wird sie sofort mit "Sie" anreden, denke ich. Aber was für eine Enttäuschung! "Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich hinters Licht führen?", fragt sie. "Schließlich kenne ich dich lange genug. Daran ändert auch eine neue Nase nichts." So ein Ärger! Anscheinend bin ich immer noch der Alte geblieben. Wozu der ganze Aufwand?  
Scherz beseite - manche glauben wirklich, Christwerden sei so eine Art Typveränderung. Und die Kirche ist die passende Typberatung. Da gehe ich in den kirchlichen Unterricht. In die Bibelstunde. In den Hauskreis. Und in den Gottesdienst. Ich lerne, wie man sich als Christ benimmt. Wann man ein andachtsvolles Gesicht zeigen muß, und wann man als Christ auch einmal lachen darf. Ich nehme mir vor, ein anständiger Mensch zu werden, einer, der im Großen und Ganzen nach Gottes Geboten leben. Vielleicht sage ich mir sogar: Ich will mich in meiner Gemeinde engagieren, will aktiv mitarbeiten. Da kann Gott doch   nichts einwenden, oder?
Nein - Gott hat auch nichts dagegen, und er will solche Entschlüsse niemandem "mies machen". Er freut sich über jeden Menschen, der anständig leben will - mittlerweile gibt es in unserem Lande immer weniger davon, kann man manchmal denken... Er freut sich auch über solche, die sich in ihrer Gemeinde einbringen, mit ihrer Mitarbeit.
Und doch sagt Jesus: Das genügt nicht. Wenn das alles ist, wenn es dabei bleibt - dann war das nur eine Typveränderung. Dann habe ich - im Bild gesprochen - nur christliche Kleidung angezogen und christliches Benehmen gelernt. Menschen kann ich damit vielleicht täuschen. Gott schaut dahinter und erkennt mich. Und er sagt: "Immer noch der Alte. Wie schade! Warum nimmt er nicht all das, was ich ihm geben will?"
Nein, du kannst dich nicht mit deinen Gebeten, mit deinem In-die-Kirche-gehen, mit deinem guten Leben zu Gott vorarbeiten. Selbst der beste christliche Therapeut und Trainer, der dich von den Haarspitzen bis zu den Zehenspitzen auf ein christliches Leben trimmt, würde das nicht schaffen. Es genügt einfach nicht! So kannst du nicht in das Reich Gottes kommen. Denn deine geistliche "Substanz" ist durch und durch verdorben, da ist aus Gottes Sicht nichts mehr zu verbessern und zu reparieren. "Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.", sagt Jesus. Und "Fleisch" meint hier den Menschen in seinem "Naturzustand", in seinen Sünden. Nein - sondern es muss ein Wunder geschehen. "Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen." Reparatur ist zwecklos - es muss etwas ganz Neues her.

3.  Das Geheimnis der geistlichen Geburt

Wie ist das nun, mit der neuen Geburt? Offensichtlich geht es nicht darum, immer noch etwas frömmer zu werden. Aber um was geht es dann? Offensichtlich liegt über dem Ganzen ein großes Geheimnis. Vergleicht Jesus es doch mit dem Wind, den ich auch nicht einfach greifen kann: "Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt." Die neue Geburt, das Christwerden, erklären - ja, das wollten Leute zu aller Zeit.
Und so Mancher hat diese Erklärungen auch anderen eingeredet, und gesagt: Wenn du das erfährst, die neue Geburt. Dann spürst du etwas - eine Art besonders heiliges Gefühl. Und es wird für mich ein großes Erlebnis, wo ich mich Gott ganz nahe gefühlt habe. Am besten, ich kann von diesem Erlebnis auch noch das Datum aufschreiben. Aber Jesus sagt: Es ist ein Geheimnis. Und es ist in der Tat so: Jeder, der Christ geworden ist, erlebt diese "neue Geburt" anders. Der Geist Gottes - er weht eben so, wie er will. Er lässt sich nicht einsperren. Er lässt sich nicht auf ein Schema festlegen.
Weiß man also im Grunde gar nichts von der neuen Geburt? Doch! Mindestens zwei Dinge kann man ganz sicher sagen. Zum Ersten: Ich kann diese neue Geburt nicht "machen", sie nicht erzwingen. Das steckt schon im Bild: Ein Kind, das auf die Welt kommt. Es "macht" seine Geburt nicht. Die Mutter bringt das Kind auf die Welt. Das Kind hat sich diese Geburt auch nicht irgendwie erarbeitet - welch unsinniger Gedanke! Das Kind lässt die Geburt einfach mit sich geschehen, bis es aus dem Mutterleib ist. So ähnlich ist das auch mit der "neuen Geburt". Die "mache" nicht ich, sondern der Geist Gottes bewirkt sie. So wird der Geist Gottes  gleichsam zu einer "geistlichen Mutter", die den neuen Christen auf die Welt bringt. "So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist."
Nein - "machen" kann ich das nicht. Aber eines kann ich tun: ich kann Jesus darum bitten. Und wenn ich mit dieser Bitte vor ihm ehrlich bin. Wenn ich ihm sage, wie armselig all meine eigene Frömmigkeit ist. Wie viel sündhafte Heuchelei hinter meinen Versuchen steht, einen "christlichen Typ" darzustellen. Dann kann er mir die leeren Hände füllen und mir mehr geben, als ich mir je erträumt habe: Die Vergebung der Sünden und echtes, neues Leben aus dem Geist Gottes. Ich kann die geistliche Geburt nicht erzwingen. Aber ich kann Jesus darum bitten. Warum sollte ich das nicht tun? Warum sollte ich nicht all das nehmen, was Jesus mir geben will?
Zum Zweiten: Ich kann die geistliche Geburt zwar nicht "dingfest machen", schön logisch beschreiben. Aber ich kann sagen, was sie bewirkt: Ich werde Dinge entdecken, die ich nie für möglich gehalten hätte, weil ich bisher blind dafür war. Selbst dann, wenn man mir alles schön logisch erklärt hätte. Ich werde Gott entdecken, ich werde die Wahrheit über Gottes Reich entdecken.
Eine Frau kam in die Augenklinik, mit einer schweren Krankheit. Sie war bereits erblindet. Der Arzt sah: Sie muss sofort operiert werden. Einige Zeit war vergangen nach der Operation, da kam der Arzt ins Krankenzimmer. Es war Zeit, den Verband von den Augen abzunehmen. Die Frau blinzelte zuerst, dann begann sie zu sehen: "Was für ein schönes Zimmer! Und was für eine Aussicht! Warum haben sie mir nicht gesagt, Herr Doktor, wie schön es hier ist?" "Das hätte gar keinen Sinn gehabt", meinte der Arzt. "Sie waren schon zu lange blind. Sie hätten sich nichts unter meinen Worten vorstellen können. Es hätte sie nicht interessiert. Viel wichtiger war es, dass wir sie sofort operiert haben."
So ähnlich ist es mit der geistlichen Geburt. Vorher kann ich es mir gar nicht vorstellen: Dass die Bibel wie ein lebendiges Buch zu mir redet, und dass ich den Wunsch habe, immer mehr aus der Bibel zu erfahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der Bibel so vertrauen kann, wie sie aufgeschrieben ist - Wort für Wort. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sehr ich mich freuen kann, dass Gott  mir alle meine Sünden vergeben hat. Wirklich alle! Ich kann mir nicht vorstellen, wie traurig ich werden kann, wenn ich trotzdem einmal wieder "gestolpert" bin, und am Willen meines himmlischen Vaters vorbei gelebt habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich nach der Gemeinschaft mit anderen Christen sehne. Nach solchen Menschen, die ebenfalls die "neue Geburt" erfahren habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich gern in den Gottesdienst und gehe und dort Gottes Wort höre - nicht aus Pflicht, sondern aus einem inneren Bedürfnis. Ihr glaubt das nicht? Viele Leute haben es erlebt. Die geistliche Geburt. Mancher erzählt laut davon. Mancher leise. Aber wenn es keiner unter uns erfahren hätte - dann wären wir heute morgen wohl nicht hier zusammen.
Nein, man kann sie nicht "dingfest" machen, die neue Geburt. Aber jeder, dem Gott sie geschenkt hat. Der kann hinterher sagen: Ich habe Dinge entdeckt, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte. Wie konnte ich nur so blind dafür sein! Wer diese neue Geburt schon erfahren hat, der hat wirklich viel Grund, Jesus dafür zu danken. Der hat viel Grund sich zu wünschen: Ich möchte, dass auch andere das erfahren.
Den anderen, die es noch nicht erfahren haben. Denen wird es hoffentlich so ergehen wie Nikodemus. Der hat nämlich später seine Meinung geändert, und sich zu Jesus gestellt. Nach der Kreuzigung Jesu, so wird von ihm berichtet, da kommt er nicht mehr heimlich in der Nacht, sondern er ehrt den Leichnam Jesu öffentlich: "Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe gemischt mit Aloe, etwa hundert Pfund." (Johannes 19:39) Ob er nach der Auferstehung Jesu noch erlebt hat, wie diese neue Geburt ihn von Grund auf verändert? Es ist zu vermuten. Ich wünsche jedem, der sich immer noch mit geistlichen "Reparaturversuchen" herumschlägt. Ich wünsche jedem solchen Menschen eine echte Nikodemus-Erfahrung. Denn: "Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." Amen.

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