"Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht" - Predigt über die Jahreslosung 2006 aus Josua 1,5

Liebe Geschwister,
die neue Jahreslosung ist kein schöner Postkartenspruch für jedermann - so verführerisch das auch danach klingen mag. Sondern die neue Jahreslosung ist der große "Mutmacher" für alle, die Jesus nachfolgen. Der Mutmacher gegen zwei der größten Ängste, die einen Christen befallen können.

1. Kein Postkartenspruch für jedermann

"Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht" - was für ein schöner Spruch. Selbst dem hartnäckigsten Kirchengegner mag da das Herz aufgehen. So ein Spruch, der kann einem doch Gott so richtig "schmackhaft" machen. Wenn Johannes der Täufer eine Postkarte entworfen hätte, dann hätte das sicher anders geklungen, z.B.: "Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?" (Matthäus 3:7), um ein Originalzitat zu bringen. Gut dass, Johannes keine Neujahrspostkarten herstellen darf... Oder gibt es vielleicht Leute, die euch im vergangenen Jahr derartig zugesetzt haben - das ihr ihnen gerne einmal eine  richtige "Johannes-Postkarte" schicken würdet..?
Sei es drum. Viele Bibelsprüche - und gerade die schönen, die "heruntergehen wie Öl" - leiden darunter, dass man sie aus dem Zusammenhang herausreisst und in eine neue, manchmal äusserst missverständliche Umgebung versetzt. Dann gibt es lange Gesichter, so wie beim Gast im Wirtshaus, der laut und vernehmlich den Satz hört: "Freibier für alle!" Er freut sich schon. Bis er merkt, dass diese schöne Ankündigung nur für die Hochzeitsgesellschaft am anderen Ende des Saales gilt. Und zu der war er leider nicht eingeladen.
Lasst uns also die langen Gesichter vermeiden, und sehen, für wen dieser Satz eigentlich gedacht ist. Josua, der Nachfolger von Mose, stand vor vielen tausend Jahren vor einer äusserst schweren Aufgabe. Eine, die einem die sprichwörtlichen "grauen Haare" wachsen lassen kann. Ein ganzes Volk sollte er in eine neue Heimat führen, über eine Million Menschen, Männer, Frauen, Kinder, Gesunde und Gebrechliche, Alte und Junge. Großer Widerstand war zu erwarten bei der Einwanderung. Ach - wie konnte das nur gelingen? Josua stand schon lange in einem Leben mit Gott, kannte sein Wort, hatte Erfahrungen mit ihm gemacht. Und nun, angesichts dieser schwierigen Aufgabe, die Gott ihm gegeben hatte, da sagt Gott zu ihm: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht."
Wenn man es auf "Amtsdeutsch" ausdrücken wollten. Dann ist unser schöner Spruch gewissermaßen die "Ergänzung zu einer Dienstanweisung". Josua steht im Dienst Gottes. Und jeder, der in einem solchen Dienst steht, egal an welchem Platz - der kommt irgendwann an seine Grenzen. Der kommt einmal in eine Lage, wo er nur noch sagen kann: Herr, was du mir zumutest, was du von mir verlangst - das schaffe ich einfach nicht. Ich würde am liebsten alles hinwerfen.
Lieber Christenmensch, bist du im vergangenen Jahr an solche Grenzen geraten? Oder befürchtest du, dass es im Neuen Jahr soweit kommen könnte? Dann ist dieser Spruch für dich genau das Richtige. Gott meint es ganz ernst, wenn er dir sagt: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht." Dazu steht er. Aber auch, wenn du einen Christen kennst, dem es gerade so ergeht. Dann kannst du ihm gern eine solche Postkarte schicken: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht." Du kannst sicher sein - dort kommt sie an die richtige Adresse. Das ist eine Zusage, zu der sich Gott stellen wird. Da gibt es dann auch keine langen Gesichter, sondern früher oder später Gewissheit und Freude an Gott. Nein - es ist kein Postkartenspruch für jedermann. Aber vielleicht ist es genau der richtige Spruch für so manchen unter uns, der sich seine Sorgen und Gedanken macht, und versucht, sie im Glauben zu bewältigen.
Aber lasst uns noch etwas genauer betrachten, was für Zusagen die Jünger Jesu darin sehen können. Wir werden sehen, wie wir Hilfe bekommen in den vielleicht grössten beiden Ängsten, in die ein Christ geraten kann. Deshalb:

2. "Niemand wird sie aus meiner Hand reissen"

"...Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen." (Johannes 10:28) So sagt Jesus zu seinen Jüngern im Gleichnis vom Guten Hirten. "Ich lasse dich nicht fallen." So sagt Gott zu Josua. Ich denke, dass Beides eine ganze Menge miteinander zu tun hat.
Wann lässt man einen Menschen fallen? Nun, im Berufsleben hat das häufig mit irgendwelchen Pannen zu tun. Besonders solche, die an einer Stelle besondere Verantwortung tragen, sind davon betroffen. Da ist endlich der große Auftrag gekommen, der die Firma wieder herausreissen wird. Alle freuen sich, dass ihre Arbeitsplätze wieder etwas sicherer geworden sind. Man fährt zum Kunden, beginnt mit der Montage - da trifft der Montageleiter eine folgenschwere, falsche Entscheidung. Der Kunde beschwert sich, es entstehen hohe Zusatzkosten, die Kollegen fangen an zu tuscheln. "Wir haben nur getan, was unser Montageleiter uns gesagt hat", so hört der Chef. Die Monteure ziehen sich von ihrem Leiter zurück. Und irgendwann sagt sich der Chef: Es bleibt mir nichts übrig, ich muss den Mann fallen lassen. Einen guten Kündigungsgrund hat der ja selbst geliefert, mit seiner falschen Entscheidung. Jetzt muss er gehen.
Ich habe den Eindruck, auch viele Christen leben mit einer bewussten oder unbewussten Angst, dass ihr himmlischer "Chef" sie irgendwann fallen lassen könnte. Man kann ja schliesslich nicht die Hand für sich selbst ins's Feuer legen. Und je nachdem, wie das Leben einem mitspielt - könnte man eines Tages auf wirklich große Abwege geraten. Sich in eine Schuld verstricken, aus der man nicht mehr herausfindet. In einem Strudel versinken, wo mich eine unchristliche Handlung nach der nächsten unweigerlich in den Abgrund zieht. Bis schliesslich Gott sagt: Mit so einem Christen will ich nichts mehr zu tun haben. Er hört nicht auf mich, und er macht meinem Namen immer mehr Schande. Es bleibt mir nichts übrig: Ich muss ihn fallen lassen. Eigentlich - hat er es ja selbst so gewollt.
Hattest du schon einmal solche Ängste? Oder hast du aktuell solche Befürchtungen, für jetzt, oder für das kommende Jahr? Dann ist das gut so. Jawohl - es ist gut so, aber du darfst auf keinen Fall bei diesen Ängsten stehen bleiben. Es stimmt sehr wohl: Keiner von uns kann für sein geistliches Leben, für seinen Glauben, für seine Nachfolge Jesu die Hand in's Feuer legen. "Darum, wer meint, er stehe, mag zusehen, daß er nicht falle." (1. Korinther 10:12) So schreibt der Apostel Paulus nicht ohne Grund. Falsche Selbstsicherheit wäre das Letzte, was einem Christen gut an stünde.
Hören wir dagegen noch einmal die Zusage von Jesus, unserm Guten Hirten: "...Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen." Ist da irgendwo von unserer geistlichen Spannkraft, von unserer christlichen Leistungsfähigkeit die Rede? Gibt uns das auf irgendeine Weise Anlass zur Selbst-Sicherheit? Doch wohl kaum. Alles, was unseren Glauben bewahrt. All das tut hier unser Herr. Er gibt uns das ewige Leben. In seiner Hand sind wir - und nicht auf unseren oft so schwachen Glauben gestützt. Er gibt acht, dass uns niemand aus seiner guten Hand herausreisst. Und selbst wenn wir aus eigenem Entschluss herausspringen wollten, gleichsam wie ein verzweifelter, geistlicher Selbstmörder, der sich aus dem zehnten Stockwerk, aus der Glaubenswohnung bei seinem Herrn, stürzen möchte. Gott wird ihn dort  fest halten, bevor er springen kann.
Nein, selbstsicher brauchen wir nicht zu sein als gläubige Menschen. Aber eines sagt unser Herr uns zu: "Ich lasse dich nicht fallen." Niemand wird dich aus meiner Hand reissen. Selbst wenn du den grössten "Mist gebaut" hast. Ich werde dafür sorgen, dass du wieder einen neuen Anfang findest. Ich gehe nicht auf Abstand zu dir, sondern ich halte zu dir. Ich lasse dich nicht fallen, wie Menschen dich fallen lassen. Ist das nicht eine wunderbare Zusage für das Neue Jahr?

3. Gott versäumt keine Termine

Um die zweite große Angst des Christen zu verstehen, machen wir einen kleinen Ausflug in die Welt der Bibelübersetzungen. Wer seine Lutherbibel aufschlägt, wird sich vielleicht wundern, wo denn dort die neue Jahreslosung ist: "Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen." So heisst es dort in Josua 1 Vers 5. Auch ich habe zuerst herumgesucht, und mich gefragt: Woher haben sie nur unsere Jahreslosung genommen? - bis ich die Lösung fand. Die Jahreslosung wird uns im kommenden Jahr, auch in unserem Losungsbuch, gewöhnlich in der sog. Einheitsübersetzung der katholischen Kirche begegnen: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht."
Ich habe aber noch eine andere Fassung gefunden, die vielleicht manchen von euch besonders geläufig ist, nämlich: "Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." (wiederholen) Kennt ihr das? Ich habe den Eindruck, genau in diesem Wortlaut ist der Vers schon vielen zum Lebensbegleiter geworden, gerade in schweren Zeiten: "Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." Wer diesen Vers so sucht, braucht die alte "Schlachter"-Übersetzung (sie wurde 1905 vom Schweizer Prediger und Altphilologen Franz Eugen Schlachter zum ersten Mal herausgegeben). Dort, im Hebräerbrief (Hebräer 13:5), wird der Vers aus dem Josuabuch zitiert, und von Schlachter so übersetzt: "Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." Manchmal ist es gut, nicht nur für Pastoren, wenn man mehrere verschiedene Bibelübersetzungen im Schrank hat. Dann kann man nämlich vergleichen, und seine Entdeckungen im Wort Gottes machen.
Aber genug der Bibelwissenschaft. Worauf ich hinaus will: Vielleicht hilft uns der alte, lieb gewonnene Wortlaut etwas weiter gegen die zweite große Angst des Christen. "Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." Ja, was können wir Menschen nicht alles versäumen: Der Fahrgast versäumt den Zug, der Schüler versäumt seine Hausaufgaben, der Lieferant versäumt die rechtzeitige Lieferung, und der Kunde das Bezahlen seiner Rechnung. Es soll sogar schon Pastoren gegeben haben, die eine Hochzeit oder eine Beerdigung versäumt haben - der Alptraum meiner schlaflosen Nächte...
Ja, so mancher Christ in seiner Not. Einer, der schon lange gebetet hat, ohne dass sich "etwas tut". So mancher mag da schon gedacht haben: Vielleicht hat Gott ja mich versäumt. Vielleicht hat er Wichtigeres zu tun. Vielleicht komme ich kleines Menschlein in seinem grossen Plan nicht vor. Jedenfalls zur Zeit nicht. Kann Gott einen Menschen "versäumen" - so, wie wir einen mehr oder weniger unwichtigen Termin versäumen können?
In der Tat kennt die Bibel einen Gott, der wichtige Dinge versäumen kann - jawohl! Es war beim Gottesurteil auf dem Berg Karmel, als der Prophet Elia die Baalspriester herausforderte. Sie sollten zeigen, was ihr grosser "Gott" vermochte. Stundenlang tanzten sie um ihren Altar. Sie riefen und beteten, dass ihr Baal Feuer schickte, damit das Opfer auf dem Altar verbrannt würde - doch nichts geschah. Treffend spottete der Prophet Elia: "Ruft laut! Denn er ist ja ein Gott; er ist in Gedanken oder hat zu schaffen oder ist über Land oder schläft vielleicht, daß er aufwache." (1. Könige 18:27) Ja, es gibt in der Bibel einen Gott, der "wichtige Termine versäumt" - aber das ist ein Götze!
"Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." Der lebendige Gott dagegen versäumt nichts. Diese Erfahrung hat nicht nur Elia gemacht, als dann sein Gott, der lebendige Gott. Als der auf sein Gebet hin sein Opfer in Flammen aufgehen liess, so dass alle nur noch rufen konnten: "Der HERR ist Gott, der HERR ist Gott!" (1. Könige 18:39) Denn - wie sagt Jesus den Christen, die sich vor ihren Gegnern und Verfolgern fürchten: "Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt." (Matthäus 10:30) Gott versäumt nicht einmal die kleinsten Kleinigkeiten  - wie viel weniger versäumt er dich, dein Leben, deine großen Anliegen, deine Sorgen und Nöte! Deshalb kann Jesus seinen Jüngern in der Bergpredigt auch sagen: "Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?" (Matthäus 6:31)  Und solche Verheissungen und Aufforderungen gibt es noch etliche, im Alten wie im Neuen Testament.

Liebe Geschwister, so haben wir als Christen wirklich allen Grund, voller Zuversicht in das neue Jahr zu gehen. Wir haben einen himmlischen Vater, der uns nicht einfach fallen lässt, wenn wir uns verrennen und schuldig werden. Wir haben einen himmlischen Vater, der uns und unsere Anliegen nicht einfach versäumt, wie man einen zweitrangigen Termin versäumt. Sondern wir haben einen Herrn, der zu uns steht - komme, was wolle. Und auch die, die noch nicht im Dienst unseres Herrn stehen. Die können jetzt  zwar keinen "schönen Postkartenspruch" mitnehmen. Aber sie wissen, worauf sie sich einlassen. Worauf sie sich einlassen, wenn sie ihr Leben an den Herrn Jesus Christus übergeben. Sie wissen, genau wie wir Gläubigen, was für alle Christen zu allen Zeiten gilt: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht". Amen.

zurück zur Übersicht