2,23 Und es begab sich, daß er (Jesus) am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
Liebe Gemeinde,
bin ich ein religiöser Mensch? Oder bin ich gläubig? Der
Unterschied zwischen Glauben und Religion - der ist so tief wie
zwischen Tag und Nacht. Wie zwischen Himmel und Erde. Wie zwischen
Leben und Tod. Auch wenn wir schon lange gläubig sind, ist das
sicher die größte Anfechtung: Wenn wir anfangen,
religiös zu werden. Deshalb: Gott schenke es, dass wir das
für uns gut auseinanderhalten können: gläubig - und
religiös.
Jesus sah die Pharisäer "ringsum an mit Zorn und war
betrübt über ihr verstocktes Herz". Darum geht es in diesem
Abschnitt. D.h. es geht nicht in erster Linie darum, wie wir in rechter
Weise den Sabbat halten. Wie wir den Sonntag heiligen. Sondern es geht
darum, wie wir im Herzen zu Gott stehen: Ein verstocktes Herz - oder
ein Herz, das im lebendigen Glauben an Jesus steht. Und die ganze
Diskussion über den Sabbat - die ist hier nur als Beispiel
gedacht. Damit wir das Ganze besser verstehen.
Zu allen Zeiten und an allen Orten gab es die Art von Religion, die die
Pharisäer praktizierten. Da hält der ernsthafte Moslem in
Arabien und anderswo seine täglichen vorgeschriebenen Gebete zu
Allah genau ein. Und einmal im Leben sollte er eine Wallfahrt nach
Mekka gemacht haben. Da lässt sich ein Katholik im Beichtstuhl
sagen, was er für Bußleistungen zu erbringen hat: eine
Anzahl Rosenkränze und Vaterunser, vielleicht eine Messe lesen
lassen in der Kirche. Aber denken wir nicht, das so etwas in der
evangelischen Kirche nicht vorkommt. Und so erfüllt mancher brave
ehrenamtliche Mitarbeiter seine "Dienstpflicht" für Gott, kommt
sonntags in die Kirche, spendet regelmäßig - da muss Gott
doch sehr mit mir zufrieden sein, oder? Aber das Herz bleibt weit weg
von Jesus.
Irgendwie scheint es in den Menschen eingebaut zu sein: eine Religion
der Rituale. Der religiösen Pflichten: Wenn ich diese oder jene
"heilige Handlung" vollziehe. Und dabei treu bleibe. Wenn ich brav die
Moral einhalte, die mein Gott mir vorgeschrieben hat. Dann kann mir
nichts mehr passieren. Dann muß mein Gott mit mir zufrieden sein.
Ganz anders als mit den Anderen, mit denen, die für mich
"draußen stehen". "Sieh doch! Warum tun deine Jünger am
Sabbat, was nicht erlaubt ist?" Warum haltet ihr nicht die
religiösen Regeln und Pflichten ein? Der religiöse Mensch hat
seine Rituale.
Es interessant, dass Jesus mit den Pharisäern zuerst gar nicht
über den Glauben spricht. Oder über die Erlösung, die er
für alle vollbringen wird. Eine Erlösung auch für sie,
für die religiösen Menschen. Jesus spricht mit ihnen
über die Moral. Und über das rechte Verständnis der
Gebote Gottes.
Ein moralisches Vorbild - das wollten sie ja sein, die Pharisäer.
Und wir erinnern uns an denjenigen Pharisäer, den Jesus einmal als
Beispiel anführt. Der im Tempel betete: Herr, ich danke dir, dass
ich nicht so bin wie die Anderen. Die Räuber, Betrüger,
Ehebrecher, Zöllner (Lukas 18:10-14). Oder was es sonst noch gibt.
Jesus spricht mit ihnen über die Moral. Und er sagt: Eure Moral
widerspricht dem Willen Gottes. Eure Moral ist nicht vorbildlich - sie
ist schlichtweg falsch. Was für ein Schock für einen
moralischen Menschen!
Schauen wir uns die zwei Beispiele an, die Jesus hier zur
Erklärung gibt. Das erste Beispiel ist der - auch von den
Pharisäern hochverehrte! - König David. Der war einmal mit
seinen Männern unterwegs, verfolgt von seinem Widersacher Saul.
Der trachtete ihm nach dem Leben. Und als es für sie nichts
anderes zu Essen gab in der Eile. Da gab ihnen der Priester die
geweihten sog. "Schaubrote" aus dem Tempel. Obwohl nur die Priester
davon essen durften! (1. Samuel 21:1-7) Die Bibel kritisiert dieses
Verhalten Davids nicht. Das Sabbatgesetz war nirgends dazu eingesetzt,
dass es hungrigen Menschen das Essen in der Not verbietet. Deshalb
durften die Jünger Jesu auch die Kornähren ausraufen. Die Not
steht höher als das Ritual - sogar höher als das Ritual mit
den Schaubroten im Tempel - ein Ritual das Gott für sein Volk
Israel selbst angeordnet hatte. Wie im Gesetz des Mose nachzulesen ist.
(2. Mose 40:1-5)
Auch beim zweiten Beispiel erklärt Jesus den Sinn des Gebotes:
"Soll man am Sabbat Gutes tun?" Gutes tun und Leben zu erhalten war die
Pflicht jedes Israeliten - ob am Sabbat oder unter der Woche. Besonders
war es die Pflicht der Pharisäer, die doch vorbildlich sein
wollten. Deswegen wissen sie auch nichts zu antworten, als Jesus die
verdorrte Hand heilt. Was Jesus hier tut, ist genau der Wille Gottes.
So, wie er in der Bibel festgelegt ist.
Warum spricht Jesus mit ihnen über die Moral? Jesus demonstriert
hier einen sehr bedeutsamen Zusammenhang. Die Erfahrung zeigt
nämlich: Obwohl Gottes Gebote in der Bibel sehr klar und
unmissverständlich ausgedrückt sind. Ist der Mensch ein
Meister der Ausrede. Der Mensch neigt immer wieder dazu, das Wort
Gottes zu verdrehen. Und Dinge hineinzulesen, die niemals dort
aufgeschrieben sind. Aus dem einen Zweck: damit der Mensch sich
herausredet. Herausredet aus dem, was Gott von ihm will.
Vielleicht habt ihr schon einmal etwas Ähnliches erlebt, wie es
mir ergangen ist. Ihr kanntet einen Menschen, vielleicht sogar einen
regelmäßigen Kirchgänger. Ihr dachtet: das ist wirklich
ein anständiger Mensch, ein guter Kerl, oder eine patente Frau.
Und irgendwann kam der Punkt. Da wart ihr euch gar nicht mehr eins. Und
der anständige Mensch sagte dir: Du, ich bin sicher kein
schlechter Mensch, ich gebe mir Mühe. Aber deine Ansichten - die
sind doch etwas extrem. So eng muss man es nicht sehen, was in der
Bibel steht. Das muss man doch nicht so wortwörtlich nehmen.
Außerdem waren damals ganz andere Zeiten als heute. Und du
dachtest: Was ist los? Wir haben doch die gleiche Bibel?
Es gibt einen schönen alten Ausdruck für das rechte
Verständnis der Bibel. Er heißt: "Theologie der
Wiedergeborenen". Und da ist etwas dran: Nur der Wiedergeborene. Nur
derjenige, der in einer lebendigen Beziehung zu Jesus Christus steht.
Nur derjenige, der um die Vergebung seiner Sünden weiß. Nur
der wird die Zusammenhänge der Bibel nicht verdrehen. Und nur der
kann den Willen Gottes richtig verstehen. Wir brauchen ein erneuertes
Herz für die rechte Moral. Denn der religiöse Mensch - er
versteht nicht einmal die Gebote Gottes richtig. Oder wie der Apostel
Paulus es ausdrückt: "Der natürliche Mensch aber vernimmt
nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht
erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden." (1. Korinther
2:14)
Immer, wenn religiöse Menschen in ihrer Religion hinterfragt
werden. Wenn man an ihrem selbstgemachten "Glaubens"-Gebäude
wackelt. Dann merkt man, worum es bei dieser Frage wirklich geht. Als
Martin Luther anfing zu schreiben und zu predigen, und als das
päpstliche Glaubenssystem anfing zu wanken. Da hat man ihn
für vogelfrei erklärt, und hat ihm nach dem Leben getrachtet.
"Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über
ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten."
So schließt unser Bibeltext. Und damit kommt die Sache auf den
Punkt: Der religiöse Mensch – hasst im Grunde seines Herzens
nicht die Anhänger Jesu. Sondern er hasst Jesus. Er hasst Jesus.
Denn er ahnt: Jesus kann seine ganze Religion zum Einsturz bringen.
Ich finde es bezeichnend, wie unser Herr hier auf diesen Hass reagiert.
Wie er mit religiösen Menschen umgeht. Auf der einen Seite ist er
sehr ernst: "Und er sah sie ringsum an mit Zorn." Das ist kein
unbeherrschter Gefühlsausbruch. Sondern das ist der gerechte Zorn
Gottes. Des heiligen Gottes, der gesagt hat: Du sollst keine
anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein eigenes,
selbstgemachtes Bild von mir machen. (2. Mose 20:3-4)
Das muss ich vielleicht mit einem Beispiel näher erklären.
Ich finde es immer gut, wenn ich auf meine Predigten ernsthafte
Rückmeldungen bekomme - zustimmende ebenso wie kritische. Leider
passiert das viel zu selten. Einmal nach einer Predigt sprach mich eine
Frau an und meinte: Ich bin nicht ganz einverstanden mit dem, was
Sie gesagt haben. Mein Gott ist so anders als Ihrer. Meiner ist nicht
so streng, er ist gütiger, barmherziger. Also eine kritische
Anmerkung, offensichtlich. Ob sie damit recht hatte, sei dahin gestellt.
Aber darum geht es mir bei diesem Beispiel nicht. Sondern es geht mir
um ein grundlegendes Missverständnis, das darin sichtbar wird.
Solange wir nämlich denken, es gäbe so etwas wie "meinen
Gott" und "deinen Gott". Der eine glaubt halt so, und der andere so, wo
ist das Problem? Und jeder hat sich dabei Gott nach seinen eigenen
Gefühlen und Wünschen "zurechtgebastelt". So lange es
für uns noch so etwas gibt - so lange sind wir noch religiös.
Und in keiner Weise gläubig. Denn was ist eine solche menschliche
Religion anderes als - Götzendienst? Religiöse
Gedanken, vor denen ich niederfalle - wie andere vor ihren
Götterstandbildern?
Doch Jesus war über die Ansichten der religiösen Menschen
nicht nur zornig. Wir lesen hier: Jesus war "betrübt über ihr
verstocktes Herz". Und wir sehen in dieser Betrübnis seine ganze
Liebe. Die Liebe, die ihn schließlich dazu getrieben hat, sich
für uns ans Kreuz nageln zu lassen. Der Apostel Paulus, als er
noch seinen alten Namen Saulus hatte. Der hatte auch eine ganz eigene
Vorstellung von Religion. Er war ebenfalls ein Pharisäer, so wie
die, die hier Jesus begegnen. Nach seinen eigenen Aussagen war er sogar
ein "Musterpharisäer", einer der es besonders genau nahm. Für
ihn war die Begegnung mit dem auferstandenen Christus
(Apostelgeschichte 9) ein tiefer Einschnitt in seinem Leben. In seinem
Brief an die Gemeinde in Philippi schreibt er darüber ( aus
Philipper 3:6-8). : "Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi
willen für Schaden erachtet. ... und ich erachte es für
Dreck, damit ich Christus gewinne". Seine ganze frühere Religion
der Pharisäer erscheint ihm als ein "Dreck". Und er bedauert
zutiefst, dass er nicht früher ein "Ja" zu Jesus gefunden hat. So
groß war die Liebe, die Paulus in ihm erkannt hat! Danach
wollte er von nichts anderem mehr wissen als von Jesus, dem
Gekreuzigten (1. Korinther 2:2). Jesus sucht den religiösen
Menschen - bis der zum lebendigen Glauben an ihn findet. Jesus
befreit ihn vom Götzendienst - und zeigt ihm, wie Gott wirklich
ist.
So bleibt am Schluss die Frage, die jeder nur für sich selbst
beantworten kann, wenn er ehrlich vor Gott steht. Bin ich
religiös? Und habe ich noch eine echte Hinwendung zu Jesus vor
mir? Dann soll ich daran denken, wie sehr Jesus gerade mich sucht.
Mich, den religiösen Menschen. Wie groß seine Liebe zu mir
ist. Oder bin ich gläubig? Dann kann ich Gott loben und preisen.
Weil Jesus mich erlöst hat. Erlöst von aller
menschengemachten Religion. Erlöst zum lebendigen Glauben an ihn.
Amen.