Jesus, der verletztliche Held - Passionspredigt über Markus 14,32-42

Liebe Gemeinde,
wenn wir das Markusevangelium und die anderen Evangelien betrachten, dann sehen wir an Jesus immer wieder zwei Seiten: Eine menschliche Seite und eine göttliche Seite. Die Christen der ersten Jahrhunderte formulierten das im Bekenntnis so: Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott in einer Person.
Über die göttliche Seite berichten die Evangelien auf verschiedene Weise. Da bringen sie einen Gelähmten zu Jesus (Markus 2,1-12), der mit seinem Bett getragen werden muss. Und Jesus lässt ihn nicht nur von seinem Bett aufstehen, sondern sagt ihm dazu: Dir sind deine Sünden vergeben. Sünden vergeben - das kann nur Gott allein. Da ist er mit seinen Jüngern allein im Boot, mitten in einem Sturm (Markus 4,35-41). Und er bringt den Sturm mit einem einzigen Satz zum Schweigen. Der Schöpfer hat immer noch Macht über seine Schöpfung. So wie am Anfang, als er sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. Da steht er in seinem Gerichtsprozeß vor dem Hohenpriester und der fragt ihn: "Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin's; und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels." (Markus 14,61-62) Der, den sie jetzt verurteilen, wird wiederkommen, um die Welt zu richten. Jesus Christus, wahrer Gott.
Die Zeit im Garten Gethsemane zeigt die menschliche Seite Jesu. Jesus handelt hier wie ein echter Held. Ein Held, der in den Kampf zieht, um uns zu erlösen. Es ist passend, wenn das Bild von Jesus als Helden z.B. im Choral aufgenommen wird: "Mir nach, spricht Christus, unser Held, mir nach, ihr Christen alle!" (Evangelisches Gesangbuch 385,1) Er kämpft gegen den Widersacher Gottes, den Teufel, der ihn auf den letzten Metern aufhalten will. Damit er nicht den Plan Gottes zur Erlösung vollendet. Wir sehen dabei, dass Jesus kein "Supermann" ist, sondern ein verletzlicher Held, der sich erst überwinden muss. Der Angst hat vor dem, was ihn erwartet. Und der dennoch nicht ausweicht, sondern seine Aufgabe zu Ende bringt. Ich möchte dazu den Text aus Markus 14,32-42 Abschnitt für Abschnitt betrachten.

32 Und sie kamen zu einem Garten mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzt euch hierher, bis ich gebetet habe.  33 Und er nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen 34 und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet!
Jesus hat Angst, Todesangst. Ihn verlässt aller Mut. Und so flieht er ins Gebet. Wovor hat Jesus Angst? Jeder normale Mensch hat Angst vor dem Tod. Das kommt schon daher, weil viele nicht wissen, was danach kommt. Oder Zweifel haben, dass überhaupt etwas danach kommt, und es für sie dann ein für allemal vorbei ist. Solche Angst hat Jesu nicht. Er weiß auch jetzt, dass er nicht im Grab bleiben wird, sondern dass er nach drei Tagen auferstehen wird. Genau so hat er es seinen Jüngern angekündigt (Markus 8,31).
Hat er also Angst vor den Schmerzen, vor der Folter, die auf ihn wartet? Mit Sicherheit. Die Kreuzigung ist in der Geschichte der Menschheit eine der grausamsten Arten, einen Menschen zu Tode zu bringen. Und Jesus weiß, dass genau das auf ihn zukommt.
Aber das nicht die tiefste Angst, die ihn bewegt. Jesus weiß, welche geistliche Wirklichkeit hinter seinem Tod am Kreuz steht. Der Prophet Jesaja hatte über 700 Jahre vorher angekündigt: "Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten ... Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. ...  Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war." (aus Jesaja 53,5-8)  Jesus muss zur Rettung der Welt das Gericht Gottes ertragen, das Gericht über alle Sünden der Menschheit. Seine Qualen am Kreuz sind das Urteil Gottes, das der Vater an seinem eigenen Sohn vollstreckt. Dieses Gericht ist so furchtbar, dass Jesus am Kreuz schreit: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Markus 15,34) Vor diesem Gericht Gottes fürchtet sich Jesus. Und deshalb zittert er vor Angst.
Für uns ist das ein Anlass, unsere eigenen Sünden nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Unsere Sünden sind es, die Jesus ans Kreuz gebracht haben. Das Gericht über unsere Sünden ist es, das Jesus hier in Todesangst versetzt. Für uns ist das aber auch ein Anlass, dankbar zu sein. Denn für uns hat er die Versuchung im Garten Gethsemane durchgestanden. Für uns hat er am Kreuz geschrien: Warum hast du mich verlassen? Und für uns ist er am dritten Tage auferstanden. Denn Christus, unser Held, konnte nach seinem Kampf nicht vom Grab festgehalten werden.

35 Und er ging ein wenig weiter, warf sich auf die Erde und betete, daß, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge, 36 und sprach: Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst! 37 Und er kam und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht, eine Stunde zu wachen? 38 Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person. Und hier kommt seine menschliche Seite auf den Punkt: Nimm diesen Kelch von mir. Der Mensch Jesus wünscht sich, dass der Heilsplan Gottes einen anderen Verlauf nimmt. Und ihm der Gang ans Kreuz erspart bleibt. Was geschieht hier? Ist Gott in sich selbst uneinig, wie er verfahren wird?
Auch als Christen kennen wir die Erfahrung, wie schwer es manchmal ist, sich in den Willen Gottes zu fügen. Oft hat das damit zu tun, dass wir in unserem Innern nicht unbedingt das wollen, was Gott uns in seinem Wort sagt. Wir rebellieren gegen das, was seine Gebote von uns verlangen. Wir übertreten sie und werden schuldig. Im 7. Kapitel seines Römerbriefs beschreibt Paulus, wie das ganze Christenleben von einem ständigen Kampf gegen den "inneren Schweinehund" bestimmt ist.
Jesus kennt diesen Kampf. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu uns: "Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde." (Hebräer 4,15) Jesus ist der einzige sündlose Mensch, der jemals gelebt hat. Sein innerer Kampf, den Weg ans Kreuz zu vermeiden. Er hat nicht seine Ursache in einer heimlichen Rebellion gegen Gottes Plan. Und Gott ist auch nicht uneins in sich selbst. Sondern Jesus tut das, was auch wir Christen tun, wenn eine schwere Prüfung auf uns wartet: Er betet. Himmlischer Vater, muss diese schwere Krankheit jetzt sein. Vater, muss das sein, dass ich meinen liebsten Angehörigen verliere. Vater, muss du mich jetzt diesen schweren Weg führen. Jesus betet, wie auch wir in der Not beten. Das ist keine Rebellion gegen Gott, sondern eine ganz und gar menschliche Regung.
Jesus fügt einen Satz an sein Gebet an: Doch nicht was ich will, sondern was du willst. Er kämpft sich im Gebet in den Willen Gottes hinein, obwohl es ihm schwer fällt. Das Lukasevangelium berichtet über Gethsemane: "Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen." (Lukas 22,44) Im Vaterunser, dieser Vorlage für alle unsere Gebete, hat Jesus das den Christen ins Stammbuch geschrieben. Denn wir beten dort: Dein Wille geschehe. Dieser Satz gehört - mindestens dem Sinn nach - in alle unsere Gebete. Und manchmal fällt es sehr schwer, ihn zu beten.

39 Und er ging wieder hin und betete und sprach dieselben Worte 40 und kam zurück und fand sie abermals schlafend; denn ihre Augen waren voller Schlaf, und sie wußten nicht, was sie ihm antworten sollten. 41 Und er kam zum dritten Mal und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Es ist genug; die Stunde ist gekommen. Siehe, der Menschensohn wird überantwortet in die Hände der Sünder. 42 Steht auf, laßt uns gehen! Siehe, der mich verrät, ist nahe.
Jesus, der Mensch, hat sich durchgerungen und geht los. Er geht seiner Verhaftung entgegen, seinem Prozess, und seinem Tod am Kreuz. "Steht auf, lasst uns gehen!" Hätte es auch anders ausgehen können? Die Frage ist rein philosophisch. Wir wissen, dass Gott immer alle seine Pläne durchführt, insbesondere seinen Heilsplan für uns. "Der Menschensohn muß viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen." (Markus 8,31) So lehrt Jesus seine Jünger über das göttliche "Muss", das hinter seinem Weg steht. Aus Gottes Sicht ist dieser Weg "alternativlos", um ein modernes Wort zu gebrauchen. Trotzdem sollen wir sehen, welchen Kampf das den Menschen Jesus gekostet hat. Jesus ist ein verletzlicher Held. Aber er ist auch ein entschlossener Held, der seinen Weg zu Ende geht. Und an unserer Stelle das Gericht Gottes auf sich nimmt, das Gericht über alle Sünden der Menschheit. Dafür gebührt ihm unser Lob und Dank. Amen.

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