4 Freuet euch in dem Herrn
allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! 5 Eure Güte
laßt kundsein allen Menschen! Der Herr ist nahe! 6 Sorgt euch um
nichts, sondern in allen Dingen laßt eure Bitten in Gebet und
Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! 7 Und der Friede Gottes, der
höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus.
Liebe Gemeinde,
im Advent da haben wir als Christen allen Grund zur Freude. So sagt
man. "Freuet euch in dem Herrn!" Das ist eine Aufforderung,
offensichtlich. Nur - kann man Freude so einfach befehlen? Ist Freude
nicht etwas Spontanes? Etwas, das einfach so aufkommt? Paulus gibt uns
gute Gründe dafür, gute Gründe zur Freude. So gute
Gründe, dass man danach wirklich auffordern kann: Freue dich,
Christenheit! Der Herr ist nahe! Wir wollen drei Arten betrachten, wie
der Herr uns nahe ist, und wie uns das Grund zur Freude gibt.
Ein Prediger sagte einmal, der Philipperbrief sei der
fröhlichste von allen Paulusbriefen. Wenn das stimmt, dann
wäre das eine höchst erstaunliche Sache. Denn der Apostel
Paulus befindet sich in Gefangenschaft (s. etwa Philipper 1:12ff), ja
nicht nur das: Er rechnet ganz klar, ja geradezu nüchtern mit
seinem Tod. "Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn."
(Philipper 1:21) Wie aber kommt ein Mensch in einer solchen Lage dazu,
ausgerechnet zur Freude aufzufordern? Und er meint damit nicht nur die
Christen in der Gemeinde von Philippi, die nicht gefangen sind. Sondern
er schließt sich selbst ebenso mit ein. Freuet euch! Wie das?
Vielleicht wird es verständlicher, wenn wir uns klarmachen: Hier
geht es um Freude, nicht um Frohsinn. Frohsinn entsteht z.B., wenn man
bei einer Feier zusammen sitzt, gemeinsam die Gläser hebt, und es
sich gut gehen lässt. Warum auch nicht? Etwas Frohsinn, im rechten
Maß - das tut immer wieder gut. Vielleicht ist es ja das, was die
meisten Menschen von Advent und Weihnachten erwarten: Der
Weihnachtsmann kommt mit seinem Sack voller Geschenke, und dampfender
Glühwein wird ausgeschenkt.
Wir Christen aber erwarten noch wesentlich mehr, wir sprechen von einer
tieferen Freude. Ein Auswanderer hielt es eines Tages nicht mehr in
seiner neuen Heimat aus - er wollte zurück. Er hatte nicht mehr
viel Geld, und so sagte er sich: Ich will nur die Schiffsreise nach
Hause bezahlen. Für unterwegs nehme ich Obst, Nüsse und
Rohkost, für die paar Tage wird schon gehen. Es ging auch in den
ersten Tagen sehr gut, aber dann kam er eines Tages an der Küche
vorbei, und der herrliche Duft des Bratens wurde ihm schier
unerträglich. Einmal wenigstens etwas Richtiges in den Bauch! Er
fragte einen Mitreisenden, was eine Mahlzeit wohl kosten würde.
Der war ganz erstaunt und sagte ihm: Zeig mir deinen Fahrschein. Und
siehe da - "Überfahrt mit voller Verpflegung" stand darauf. Es
wurden überhaupt nur solche Fahrscheine ausgegeben. Ach je - die
Reise war fast zu Ende. Warum hatte er nicht genau hingesehen! Wie
viele leckere Mahlzeiten hatte er verpasst - und statt dessen gab es
jeden Tag Rohkost.
Ja - vielleicht liegt es unter anderem daran, wenn man als Christ die
Freude verliert. Daran, dass man nicht genau hinschaut. Auf unserem
"Fahrschein in die himmlische Heimat". Da steht in der Tat, klar und
deutlich: "Überfahrt mit voller Verpflegung". Wie sagt Jesus
seinen Jüngern in der Bergpredigt (Matthäus 6): "31 Darum
sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir
trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die
Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all
dessen bedürft. 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach
seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt
nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine
sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat."
Ja, so mancher plagt sich mit seinen Sorgen, vergisst es, seine
Nöte im Gebet bei seinem himmlischen Vater abzuladen - und nicht
nur abzuladen, sondern auch dort zu lassen! Und dann? Dann gibt er sich
mit "Rohkost" zufrieden, mit dem, was seine eigenen Pläne und
Sorgen produzieren, und er wundert sich, wenn ihm gleichsam der Magen
knurrt. Der Herr ist nahe - er ist nicht weiter weg als ein Gebet, und
das nicht nur in der Adventszeit. Vergessen wir das nicht! Geben wir
uns nicht mit "Rohkost" zufrieden. Sondern vertrauen wir darauf, dass
unser Vater im Himmel für uns sorgt, jeden Tag. Ja, da kommt
Freude auf. Der Herr ist nahe!
Wenn ein Mensch mit einem langen Gesicht herumläuft, dann kann
das die verschiedensten Ursachen haben. Der eine hat vielleicht etwas
Unrechtes gegessen, was ihm sauer aufgestoßen ist. Der andere hat
schlecht geschlafen und hat Kopfschmerzen. Der dritte hatte
gerade Ärger mit seinem Chef. Und wie viel mehr können
große Sorgen, eine Krankheit, der Verlust eines lieben Menschen -
wie viel mehr kann einen das traurig machen. Auch ein gläubiger
Christ sprüht nicht immer voller Freude, wenn es ihm so ergeht. Es
gibt allerdings noch einen weiteren, tieferen Grund, warum solche echte
Glaubensfreude fehlen kann. Warum ein Mensch nicht diese tiefe,
kindliche, frohe Geborgenheit bei Gott erfährt. Im Advent
erzählt man gern Geschichten, also hier noch eine Geschichte:
Es muss schon eine Weile her sein. Die alte Dampflok schnaubt und
stöhnt, als sie den Bummelzug durch das Bergland zieht. Der Zug
ist voller Feriengäste, und die frohe Erwartung auf den Urlaub
steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Nur ein junger Mann sitzt auf
seinem Platz, als ob eine schwere Last seine Seele niederdrückt.
Er kommt mit seinem Mitreisenden ins Gespräch. "Ja, wissen Sie -
ich habe lange im Gefängnis gesessen. Heute morgen bin entlassen
worden, und jetzt fahre ich nach Hause. Was für eine Schande habe
ich über meine Familie gebracht! Sie haben mich all die Jahre
nicht ein einziges Mal besucht. Ich habe es auch nicht verdient. Lange
habe ich nichts von ihnen gehört." Fast beginnt der junge Mann zu
weinen, aber dann fährt er fort: "Ich habe meinen Eltern
geschrieben, sie sollen mir ein Zeichen geben. Vor der Bahnstation
fährt der Zug an unserem kleinen Hof vorbei. Wenn sie mir
verziehen haben, dann sollen sie ein weißes Band in den alten
Apfelbaum hängen. Wenn sie mich aber nicht mehr zu Hause haben
wollen, dann sollen sie gar nichts tun. Ich bleibe dann im Zug sitzen,
und fahre weiter und weiter - ich weiß selbst noch nicht, wohin.
- Gleich muss es kommen, die kleine Brücke, die Schranke ... ich
mag gar nicht hinschauen!" "Da, sieh!", sagt der Mitreisende. "Der
ganze Baum ist voller weißer Bänder", flüstert der
junge Mann. Er kann es noch gar nicht fassen, aber das Glück
strahlt über sein ganzes Gesicht. Endlich ist er wieder zu Hause,
und zwischen ihm und seinen Eltern ist alles in Ordnung.
Auch die Glaubensfreude hängt vor allem mit einem zusammen.
Nämlich damit, ob zwischen mir und Gott alles in Ordnung ist. Ob
da dieser Frieden herrscht, der höher ist als alle unsere
Vernunft. Dieser Frieden, der unsere Herzen und Sinne durchdringt und
froh macht. Diese Freude, die aufkommt, wenn er mir meine Sünden
vergeben hat. Hast du auch diese tiefe Freude und Geborgenheit in dir?
Diese Gewissheit, dass du zu Hause bist bei deinem himmlischen Vater?
Diese Gewissheit, dass zwischen dir und dem Herrn alles in Ordnung ist,
die Gewissheit, dass Frieden herrscht? Dann kannst du es vielleicht
ahnen, warum Paulus einen so fröhlichen Brief schreiben konnte.
Und das als ein Gefangener, der nichts verbrochen hatte, und mit dem
man höchst ungerecht mitspielte.
Oder trägst du eine schwere Last mit dir herum, vielleicht etwas,
worüber du mit keinem Menschen sprechen willst? Wenn das so ist -
dann komm heute nach Hause. Advent ist auch die Zeit der Besinnung, der
Buße, des Neuanfangs. Advent ist die Zeit der Vergebung. Advent
ist die Zeit, wo wir daran denken: Jesus ist ganz arm und klein in
unsere Welt gekommen, als Kind in der Krippe, um schließlich -
noch armseliger - am Kreuz für deine und meine Sünden zu
sterben. Bitte ihn, komm im Gebet und Flehen zu ihm, wie es im
Predigttext heißt. Und lass' all deine Lasten, all deine Schuld
bei ihm. Dann wirst du erfahren, was echter Frieden ist. Dann wirst du
erfahren, wie dein himmlischer Vater gleichsam "weiße
Bänder" zum Zeichen aufhängt. Dann wirst du erfahren, was
echte Glaubensfreude ist. Es ist Advent - komm' nach Hause. Der Herr
ist nahe.
Ich will am Schluss einen Ausblick geben, der nicht nur dem Paulus
in der Gefangenschaft. Sondern der in den Zeiten danach allen
verfolgten, geschundenen, in Not geratenen, angefochtenen Christen ein
tiefer Grund zur Freude geworden ist.
Zu allen Zeiten meinten die Christen, wenn sie sagten: Der Herr ist
nahe. Zu allen Zeiten meinten sie damit auch die zweite Ankunft ihres
Herrn, seine Wiederkunft. Dann, wenn er nicht mehr arm und niedrig
kommt. Dann, wenn alle sehen werden, dass er der Herr der Welt ist.
Dann, wenn er kommt, und für seine Leute. Für alle, die ihre
Lasten und ihre Schuld bei ihm gelassen haben. Wenn für die alles,
wirklich auch alles in Ordnung kommt. Der Herr ist nahe! Ja, er kommt.
Und dann wird es keinerlei Not mehr geben. Die "Überfahrt mit
voller Verpflegung" ist jetzt abgeschlossen. Und in der
himmlischen Heimat angekommen, gibt es keinen Grund mehr für
Sorgen und Tränen. Der Frieden mit Gott ist zum Ziel
gekommen. Und auch die Sünde, mit der wir als Christen
täglich zu kämpfen haben, unser "innerer Schweinehund". Auch
diese Sünde ist endgültig vernichtet. Im Himmel - ja da ist
die Sünde abgeschafft, und es gibt nur noch Frieden.
Der Herr ist nahe! Der Herr ist uns nahe in seiner Fürsorge. Der
Herr ist uns nahe, weil er Frieden mit Gott gebracht hat. Der Herr ist
uns nahe, weil er wiederkommt. Deshalb: Freuet euch in dem Herrn
allewege. Amen.