Nimm ihn beim Wort, oder: Gott erzählt dir keine Märchen - Predigt über Psalm 33,4

"Ich will nur eines wissen: den Weg zum Himmel, wie ich an jenem seligen Ufern lande. Gott selbst hat sich herabgelassen, diesen Weg zu lehren. Genau deshalb stieg Er vom Himmel herab. Er schrieb es in ein Buch. O gib mir das Buch um jeden Preis: Gib mir das Buch Gottes! Ich habe es: Hier ist genug Wissen für mich. Was ich sein will, ist ein homo unius libri." - ein Mann eines Buches. Dieses schöne Wort stammt von John Wesley. Der lebte im 18. Jahrhundert, war Pfarrer der Kirche von England, und gehörte zu den Begründern der methodistischen Erweckungsbewegung. (John Wesley, Lehrpredigten deutsch Bd. I S.14 Abschnitt 5).
Ja, liebe Gemeinde. Es ist dieses eine Buch, die Bibel, dieses Wort Gottes, das alle Christen auf der Welt miteinander verbindet. Das Wort, auf das wir uns alle in unserem Glauben stützen. Und weil das so ist. Deshalb möchte ich heute über das Wort Gottes reden. Hören wir dazu den Predigttext aus Psalm 33,4: "Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß."

1.  Nimm ihn beim Wort, oder: Gott erzählt dir keine Märchen

Stell dir vor, morgen früh kommt deine Tageszeitung ins Haus. Und schon auf der Titelseite prangt dir die Überschrift entgegen: "Revolutionäre Ankündigung des Bundeskanzlers: Durch neue Gesetze Steuererlass möglich für Millionen von Bürgern - Neue Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung". Natürlich würdest du dir erst einmal ungläubig die Augen reiben, bis du unter dem Artikel das Siegel des Bundeskanzleramtes siehst, darunter die amtliche Versicherung: "Beschlossen und genehmigt, Berlin, am 29. April 2022." Anscheinend stimmt es ja wirklich. Interessiert liest du die Vorgaben, unter denen du einen Steuererlass bekommen kannst - ja, es sieht tatsächlich so aus, dass du auch zu den Glücklichen gehören wirst. Am Abend in der Tagesschau nimmt der Sprecher noch einmal Bezug darauf, und zeigt einige Interviews mit überraschten Bürgern.
Während du schon im Geiste das Geld verplanst, in der kommenden Woche einen schönen Urlaub buchst - kommt die große Ernüchterung. Im Fernsehen ist der Bundeskanzler zu sehen. Er erklärt, dass das Ganze nicht so gemeint war. Nein, es sollte dazu dienen, die schlechte Stimmung im Land zu heben, zu zeigen, was möglich wäre, wenn... Es sei aber in bester Absicht geschehen. Außerdem sei die erste Stellungnahme, die alles ausgelöst habe, gar nicht von ihm, sondern von seinem Staatssekretär. Und überhaupt habe es die Zeitung nicht richtig abgedruckt, und die Hälfte verändert. Die Enttäuschung ist groß - dieser Regierung wirst du kein Wort mehr glauben. Und morgen wird die Zeitung abbestellt - wenn solche Zeitungsenten darin stehen, dann kannst du sie ja gleich zum Altpapier geben.
Warum wird man so enttäuscht und wütend, wenn einem so etwas tatsächlich passiert? Es hat einen ganz schlichten Grund: Wir sind es gewohnt, Dinge im einfachen Wortsinn zu nehmen: Steuererlass heißt "Geld zurück" und nicht "Kopf hoch, Bürger, habe eine bessere Stimmung". Und wir sind es auch gewohnt, dass wir erwarten: Amtliche Stellungnahmen von höchster Stelle entsprechen der Wahrheit. Fälschen, und unter anderem Namen verfassen - darf man so etwas schon gar nicht. Und von einem Zeitungsbericht - da erwarten wir ein Mindestmaß an journalistischer Sorgfalt.
Glaubt mir - die Menschen zu biblischen Zeiten waren da nicht anders. Weder die Menschen zur Zeit von Mose. Noch die Menschen zur Zeit von König David. Und auch nicht die Menschen zur Zeit Jesu. Noch nie hat es jemand geschätzt, wenn man ihm einen Bären aufbindet. Oder wenn er auf eine Zeitungsente hereinfällt (hätte es damals schon Zeitungen gegeben). Und doch: Glauben bis heute viele Menschen, das Wort Gottes sei voller "Bibel-Enten". Sogar Theologen und Mitglieder christlicher Kirchen finden sich unter den "Entenjägern". Die größte "Ente" findet sich gleich am Anfang, so sagt man: wo über die Schöpfung berichtet wird. Wer glaubt denn so etwas schon? Aber auch, ob mit Abraham und Mose alles so abgelaufen ist, weiß man nicht genau. Und wer weiß schon, ob alle Paulusbriefe wirklich von Paulus stammen? Manche gehen sogar noch weiter, und sagen: Dass Gott uns bedingungslos liebt und annimmt, das ist schon wahr. Aber dass dazu ein blutiges Opfer an einem Kreuz notwendig war. Und dass dann einer tatsächlich leibhaftig auferstanden ist. Das ist eine "Bibelente". Kann man nicht auch ohne solche Enten an die Liebe Gottes glauben?
"Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, hält er gewiß." Nein - wir brauchen wirklich keine Befürchtungen zu haben, dass irgendetwas in der Heiligen Schrift eine "Bibelente" ist. Es ist interessant, wie das Wort "wahrhaftig" im Originaltext noch viel breiter und tiefer wirkt. Man gebraucht es auch von Menschen, von denen man sagt: Die sind aufrichtig, ohne Falsch. Man könnte es auch übersetzen: Des Herrn Wort ist "geradeaus". So, wie in unserem Sprachgebrauch: "Der redet geradeaus." Der sagt, was er meint und denkt. Da sind keine versteckten Bedeutungen in seinen Worten, da gibt es keine verborgenen Hintergedanken. Gott redet mit uns "geradeaus", wahrhaftig - er verteilt keine wortreichen "Beruhigungspillen" zum Heben der Stimmung, und er bindet uns keine Bären auf, weder große noch kleine. Gott sagt uns in seinem Wort frei heraus, "was Sache ist".
Es ist bemerkenswert, wie diese Erkenntnis in einem der größten geistlichen Aufbrüche in unserem Land neu auf den Leuchter gestellt wurde: nämlich in der Reformation. Martin Luther war von dem hochgelehrten, philosophisch gebildeten Erasmus von Rotterdam in eine Auseinandersetzung verwickelt worden (vgl. Luthers Schrift "Vom unfreien Willen"). Erasmus behauptete, die Bibel sei an entscheidenden Punkten geheimnisvoll, dunkel, nicht klar zu deuten. Nein - hielt Luther dagegen. Das ist ja gerade das Wesen des Evangeliums: das Evangelium ist eine ganz und gar öffentliche Botschaft, für jedermann bestimmt. Und deshalb hat Gott sie uns auch in einem Buch gegeben, das keine Geheimlehren enthält. Alles, was man braucht, ist ein normales Verständnis menschlicher Sprache - da hat der Bauer auf dem Felde keine schlechteren Voraussetzungen, als der Professor in seiner Schreibstube. Und - so kann ich euch zusätzlich versichern: es reicht auch, wenn man nicht die Originalsprachen der Bibel spricht. Es gibt sehr gute Übersetzungen - z.B. die Lutherübersetzung. Und wenn man mehr will, dann kann man verschiedene Übersetzungen zum Vergleich nehmen.
"Gib mir das Buch Gottes! ... Hier ist genug Wissen für mich." - um noch einmal John Wesley zu zitieren. Weil das so ist - deshalb kann auch ein einfacher Bibelleser, der dieses eine Buch kennt. Deshalb kann er durchaus auch einen großen Gelehrten korrigieren - z.B. wenn dieser ihm etwas von "Bibelenten" erzählen will. Zu Recht wird in der evangelischen Kirche den Laien, den Nicht-Theologen, eine wichtige Stellung eingeräumt. Warum? Weil man davon ausgeht: Ein bibelkundiger Laie kann sich ein begründetes, fundiertes, geistliches Urteil bilden. Und so kann - wenn nötig - auch ein solcher Laie die Freiheit haben. Und er mag sagen: "Mein Herr, Sie mögen drei Professoren- und vier Doktortitel haben, dazu noch die Pastoren- und Bischofswürde. Aber das, was Sie gerade gesagt haben - das steht in meiner Bibel ganz anders." Nein, die Bibel enthält wahrlich keine Geheimlehren. Wir können sie einfach und wortwörtlich nehmen, so wie sie ist. Und wer auf der Schule Lesen und Schreiben gelernt hat. Und wer dazu noch etwas Fleiß und Ausdauer mitbringt. Der hat eigentlich alle Voraussetzungen, um die Bibel zu verstehen - auch ohne das Studium der Theologie und Philosophie.
Das klingt gut, magst du sagen. Und ich glaube auch gern, dass Gott uns keine Bären aufbindet. Aber ist die Bibel nicht von Menschen aufgeschrieben? Sind es nicht diese Schreiber, die für die "Bibelenten" verantwortlich sind? Menschen aus vergangenen Tagen, die ihre persönlichen Meinungen, ihre heute überholten Anschauungen, ja auch alle ihre Gedächtnisfehler (oder gar "Schlamperei"?) mit in die Bibel hineingebracht haben? Gott ist wahrhaftig - wohl wahr - aber sind es auch seine Boten?  
In der Tat wäre diese Befürchtung berechtigt - wenn Gott nur ein Mensch wäre, und Jesus nur ein großer Lehrer, wie Buddha, Mohammed, oder wer auch immer. "Was hast du nur aus meinem Buch gemacht?", so mag schon mancher Romanautor gestöhnt haben. Wenn er die gekürzte oder verfilmte Fassung seines Werkes gesehen hat. In der Tat haben wir Menschen es oft genug nicht in der Hand, was andere aus unseren Äußerungen und Meinungen machen. Und wenn ich nicht an einen redlichen Journalisten gerate, sondern an einen böswilligen Zeitungsschmierer - der mag meine Ansichten verschleiern, oder gar ins Gegenteil verkehren.
Es ist gut zu wissen, dass Gott hier ganz andere Möglichkeiten hat. "Denn wenn er spricht, so geschieht's; wenn er gebietet, so stehts da." (Psalm 33,9) So heißt es einige Verse nach unserem Predigttext von seiner unbegrenzten Schöpfermacht. Gott hat mit seinem Wort nicht nur die besten redlichen Absichten. Sondern er hat auch die Möglichkeit dafür zu sorgen, dass sein Wort. Dass es durch die menschlichen Hände hindurch wahrhaftig bei uns ankommt. "Der Herr schaut vom Himmel und sieht alle Menschenkinder ... Er lenkt ihnen allen das Herz, er gibt acht auf alle ihre Werke." (Psalm 33,13+15) Um noch etwas in unserem Psalm weiterzulesen. Ja, er der Schöpfer, hat alle Menschen in seiner Hand. So, wie er auch die Schreiber der Bibel in seiner Hand hatte. Und darauf acht hatte, dass sie ihrer "journalistischen Sorgfaltspflicht" nachkamen.
Halten wir also fest: in der Heiligen Schrift finden wir keine "Bibelenten". Darauf können wir uns verlassen. Lasst uns alles getrost so nehmen, wie es aufgeschrieben ist - "geradeaus".

2.  Er ist zuverlässig und treu

Was habe ich nun davon, wenn ich mir über "Bibelenten" und die Zuverlässigkeit von Gottes Wort Gedanken mache? In der Tat ist es so: Nicht alle sind bei dem Gedanken glücklich, die Bibel "einfach so" und wortwörtlich zu nehmen. "Wissen Sie, was die größte Befürchtung meines Lebens ist?" So soll ein Atheist einmal einen Pfarrer gefragt haben. "Nein.", antwortete der. "Ich befürchte, dass alles, was in der Bibel steht, doch wahr ist.", sagte der Atheist. Und er bewies damit, dass er durchaus kein dummer Mensch war - sondern genau verstand, worum es in der Bibel geht. Ich kann ihm da nur recht geben. Ich möchte wirklich mit keinem Atheisten tauschen, wenn ich einmal vor den Richterstuhl Gottes treten muss.
Aber was reden wir von Atheisten - auch uns Christen geht es doch manchmal so: Dass wir eine Bibelstelle lesen, oder eine Auslegung hören. Und dann erst einmal tief durchatmen müssen. Und uns sagen: Ja, wenn   Gott das tatsächlich genau so gemeint hat - dann muss ich einiges an meinem Leben ändern. Dann muss ich mein Bild von Gott gründlich korrigieren. Nein, auch uns Christen bleiben unangenehme Fragen nicht immer erspart. Wenn wir uns der Bibel zuwenden, und sie "einfach so" nehmen, wie sie ist.
Über etwas Anderes möchte ich aber noch viel lieber reden. Wenn ich mich nämlich der Bibel zuwende, und sie voller Vertrauen genauso so nehme, wie sie ist. Dann erfahre ich: Auf Gott kann ich mich einhundertprozentig verlassen. "Was er zusagt, das hält er gewiß." Eine andere Übersetzung sagt: "All sein Werk geschieht in Treue." Durch die ganze Kirchengeschichte hindurch haben Christen immer wieder bezeugt: Meine Beziehung zu Gott und meine Beziehung zu seinem Wort, zur Bibel - beides ist untrennbar miteinander verbunden. Die Einstellung, mit der ich Gottes Wort höre und lese. Die hängt immer mit meiner Einstellung zu meinem Herrn Jesus Christus zusammen. Das Ganze ist also nicht eine akademische Frage, sondern es geht um die Frage: Wie weit vertraue ich meinem Herrn? Glaube ich ihm, dass er treu ist? Glaube ich, dass ich mich auf sein Wort einhundertprozentig verlassen kann? Weil ich mich auf ihn einhundertprozentig verlassen kann?
Gerade auf dem Prüfstand der Anfechtung. Wenn ich als Christ in eine schwierige Lage gerate, und mir der Boden unter den Füßen wegbricht. Wenn der Zweifel und die Fragen größer sind als mein Glauben. Genau dann merke ich diesen Zusammenhang: Weil ich meinem Herrn auch jetzt noch vertraue, deshalb halte ich mich zu seinem Wort. Ich höre nicht auf, immer wieder Rat und Trost darin zu suchen. Ich will nicht aufhören, in der Bibel zu lesen und den Gottesdienst zu besuchen - gerade jetzt nicht! Und umgekehrt merke ich: Weil ich seinem Wort vertraue, weil ich es nehmen kann, wie es da steht. Deshalb finde ich immer wieder zurück zu meinem Herrn, auch jetzt, gerade in der Anfechtung.
Manche haben so etwas schon durchgestanden. Und sie wissen, warum man singen kann: "Wenn ich auch gar nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht." (Evangelisches Gesangbuch 376,3) Erfahrungen mit Jesus können mir fraglich werden, und meine Gefühle können Achterbahn fahren. Aber das Wort Gottes - das bleibt, immer, genauso, wie es dasteht. Und Gott hat gesagt: Darauf kannst du dich verlassen, dazu stehe ich. "Was er zusagt, das hält er gewiß." Egal, um welchen Zweifel und um welche Not es geht.
Vielleicht verstehen wir jetzt auch besser, wie John Wesley, den ich am Anfang zitiert habe, zu seinen Äußerungen über die Bibel kommen konnte. Wesley war ein hochgelehrter Mann. Er kannte nicht nur die Theologie, sondern auch die Philosophen und die Sprachen des klassischen Altertums. An Büchern hatte er wahrlich keinen Mangel - und er hatte sich auch mit so manchem Geschriebenen seiner Zeit sehr kritisch auseinandergesetzt. Aber bei all dem sehen wir bei ihm immer wieder, wie er ein ganz schlichtes, geradezu selbstverständliches Vertrauen auf die Bibel hatte. Deshalb konnte er sagen: "Gib mir das Buch Gottes! ... Was ich sein will, ist ein homo unius libri." - ein Mann eines Buches. Nein, lassen wir uns von niemandem irgendwelche "Bibelenten" einreden. Sondern nehmen wir dieses Buch schlicht und geradeaus, "so, wie es dasteht". Dann werden wir es erfahren - in Notzeiten, aber nicht nur dann: Unser Herr ist treu und zuverlässig. Und ebenso ist es mit seinem Wort, mit der Bibel. "Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß." Amen.

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