Jesus - Mittler zwischen Gott und Mensch  - Predigt zu Karfreitag 2007 über Hebräer 9,15

Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.

Liebe Geschwister,
erlaubt mir ein paar persönliche Vorbemerkungen, bevor ich an die Auslegung des Textes gehe.  Also, ich verstehe es manchmal nicht, wenn in den Gottesdiensten an Karfreitag so eine gedrückte Stimmung ist. Ja, es ist ernst und drückend, wenn wir das Leiden unseres Herrn bedenken, und was er aushalten musste, bis er schließlich sein Leben aushauchen durfte. Wir sollen daran mit dem notwendigen Respekt und der entsprechenden Würde denken.
Andererseits - wenn du bedenkst, dass er das alles für dich getan hat. Dann kannst du doch wirklich froh und frei werden. Und ich denke, es ist ein gutes Zeichen eines lebendigen Glaubens. Wenn mir beim Singen selbst eines so ernsten Liedes wie "O Haupt voll Blut und Wunden" das Herz warm wird. Nicht in einer lauten, oberflächlichen Freude. Aber in einer tiefen, frohen Gewissheit, dass er alles Nötige für mich getan hat. Und ich deshalb Gottes Kind sein kann.
Deshalb predige ich eigentlich am allerliebsten über das Kreuz. Ich erinnere mich, wie mir als junger Mann eines Tages klar wurde, was das Kreuz für mich bedeutet. Das war der Beginn meines Glaubens. Und als ich das Theologiestudium abgeschlossen hatte, vieles gelernt hatte und alle Prüfungen hinter mir waren. Da dachte ich: eigentlich bist du wieder da gelandet, wo alles begonnen hat - beim Kreuz Christi. Nur dass ich mittlerweile manches sehr viel tiefer durchdacht und durchbetet hatte.
Aber - recht betrachtet - ist man damit nie fertig als Christ. Damit zu verstehen, was das Kreuz unseres Herrn bedeutet. Und so möchte ich auch den Gottesdienst am heutigen Karfreitag verstehen: als ein kleines Mosaiksteinchen, das zum Gesamtbild unseres Glaubens beiträgt. Damit wir das Kreuz unseres Herrn noch etwas tiefer verstehen. Und dann - im o.g. Sinne - froh und frei nach Hause gehen.

1. Von "Mediatoren" und vom Streit zwischen Mensch und Gott

Hängengeblieben bin ich am Begriff "Mittler". Er - Jesus - ist der Mittler. Was ist das überhaupt - ein Mittler? Ich habe festgestellt, dass dieses alte Wort in unserem Sprachgebrauch nur noch wenig verwendet wird. Wie sollen wir es dann verstehen?
Wie es aber manches Mal heutzutage ist, werden alte deutsche Wörter einfach durch lateinische oder englische Begriffe ersetzt - weil es irgendwie professioneller, "cooler" oder wie auch immer klingt. Und da bin ich dann auf den sog. "Mediator" gestoßen. Wisst ihr was ein "Mediator" ist? Manchmal liest man es in der Zeitung. Da streiten sich z.B. zwei Nachbarn um den Verlauf ihres Gartenzauns. Und außerdem hängt der Apfelbaum noch ein Stück zu weit über. Man kann sich nicht einigen. Und was geschieht? "Das klären wir vor Gericht!" Als die beiden Prozesshanseln dann die Sache in die Wege leiten und zu ihren Rechtsanwälten gehen, werden sie auf einmal sehr ernüchtert: Die Sache kann langwierig werden, und vor allem wird sie sehr, sehr teuer. Und keiner weiß vorher, ob es sich dann am Schluss auch für ihn gelohnt hat.
An dieser Stelle bringt man heutzutage gerne einen "Mediator" ins Spiel. Der Mediator versucht mit den beiden Streithähnen, gemeinsam eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Eine Übereinkunft, mit der beide leben können. Der Mediator ist ein speziell geschulter Mittler, der auf keinen Fall Partei ergreifen darf. Er macht keine Schuldzuweisungen, und er drängt keine Lösungen auf. Er versucht, als Mittler die beiden Streitenden wieder auf einen  vernünftigen Weg zu bringen - oft mit erstaunlichem Erfolg, und ohne hohe Prozesskosten.
Ist Christus, der Mittler, so etwas wie ein "Mediator"? Zumindest in einer Hinsicht stimmt das Bild: Es gibt tatsächlich einen Streit in der Welt, einen schweren, gravierenden Streit. Es ist der Streit zwischen den Menschen und Gott. Da ist kein Frieden. Sondern da hängt beständig etwas in der Luft.
Wir wissen aus der Bibel: Nach dem Sündenfall liegen Gott und Mensch im Streit miteinander - selbst da, wo die Menschen es nicht wahrhaben wollen. Es geht darum, dass dieser Konflikt gelöst wird. Nur - wenn das so einfach zu erklären wäre! Wenn du nämlich einem Menschen sagst: "Wusstest du schon, du hast Streit mit Gott". Dann sagt er dir vielleicht: "Ich, Streit? Ich habe nichts gegen Gott - warum sollte er etwas gegen mich haben?" Was willst du dazu sagen?
Was würde Gottes Wort darauf antworten? Die Bibel würde sagen. Wenn du ehrlich bist, dann müsstest du zugeben: Du übertrittst täglich seine Gebote. Du dankst ihm nicht für seine Güte und für alles, womit er dich versorgt. Du stellst ihn nicht in die Mitte deines Lebens, sondern lässt ihn links liegen. Du lässt "den lieben Gott einen guten Mann sein". Und selbst wir Christen müssen uns immer wieder sagen lassen: Du, Christenmensch. Du sagst nicht "Ja" zu seinen Wegen, sondern du diskutierst mit ihm, vielleicht lamentierst du, oder du haderst gar. Alles das ist Streit mit Gott. Hast du schon einmal mit Gott gestritten? Also ich habe es - schon oft. Viel zu oft.
Manchmal kommt einem das besonders deutlich vor Augen, die Frage nach Streit und Frieden mit Gott. Es ist schon einige Jahre her. Ich besuche einen Menschen im Krankenhaus, der nach menschlichem Ermessen nicht mehr lange zu leben hat. Wir reden nicht lange. Wir beten. Ich sage dem Menschen noch sinngemäß: Das Wichtigste, wenn es ans Sterben geht. Das Wichtigste ist, dass man vorher seinen Frieden mit Gott gemacht hat. Wenn ich mich richtig erinnere, sagt der Mensch nicht viel dazu. Ich gehe mit dem inneren Wunsch, dass er sich ernsthaft mit dieser Frage auseinander setzt.
Wohl dem Menschen, der seinen Frieden mit Gott gefunden hat! Wohl dem Menschen, der den "Mediator", den Mittler kennt. Wohl dem Menschen, der Jesus Christus kennt.

2. Christus - der Mittler aus Gottes Liebe

Ist nun Jesus Christus ein "Mediator" in dem Sinne, wie bei den zwei streitenden Nachbarn von vorhin? Ja und Nein. Ja insofern: Jesus ist in diese Welt gekommen, um einen Konflikt zu lösen. Dieser Konflikt wäre ohne ihn, den "göttlichen Mediator", nicht zu lösen gewesen. Und Jesus war bei der Lösung tatsächlich äußerst "erfolgreich", um im Bild zu sprechen.
Dann aber hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Denn hier geht es nicht um einen Streit zwischen Menschen, sondern um einen Streit zwischen Mensch und Gott. Neutralität wäre in diesem Streit völlig fehl am Platz. Denn Gott hat nichts getan, weswegen der Mensch ihn verklagen könnte. Obwohl bis heute viele Menschen Gott auf die Anklagebank setzen und sagen: nun rechtfertige du, Gott, dich vor mir.
Das Erstaunliche dabei ist, dass Gott sich davon in keiner Weise hindern lässt. Ganz einseitig geht er auf den Menschen zu. Die ganze Geschichte Gottes mit den Menschen. Wie wir sie gerade im Alten Testament lesen. Sie läuft auf einen einzigen Zielpunkt zu: Gott plant, einen Mittler zu schicken. Einen, der den Streit zwischen der Menschheit und ihm beendet.
Und das ist wahrlich ein seltsamer Mittler: Er bringt Gott und Mensch nicht miteinander in Verhandlungen und diplomatische Gespräche. Er bleibt nicht unparteiisch und "außen vor". Sondern er beendet den Konflikt,  den Streit zwischen Gott und Mensch, ganz einseitig: Indem er dafür sein Leben gibt, am Kreuz. Er tut das aus reiner, unverdienter Liebe: "Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3:16) Was für ein Mittler! Oder anders ausgedrückt: Die Liebe Gottes zu uns. Die zeigt sich am tiefsten darin, dass er uns einen Mittler schickt. Der gekreuzigte Christus, als Mittler: Das ist das Herz der Liebe Gottes.

3. Die Botschaft weitersagen

Wir denken ja als Christen, auch in unseren Gemeinden, immer wieder darüber nach. Wie man etwas von dieser Liebe Gottes weitersagen kann. An die Menschen weitersagen, die mit Gott noch nicht viel anfangen können. Das ist in der Tat so eine Sache. Wenn Jesus, der Mittler, der Kern unserer Botschaft ist. Wie mache ich einem Uninteressierten oder gar Atheisten klar, dass Gott ihn liebt? Und dass der Kern dieser Liebe darin besteht, dass Gott uns einen Mittler schickt?
Ein Atheist wird nicht einsehen, wofür so etwas Seltsames wie ein Mittler denn gut sein sollte. Hier besteht tatsächlich Erklärungsbedarf - das wissen auch die Atheisten, denn sie sind nicht dümmer als wir. Wenn wir den Menschen von heute die Liebe Gottes erklären wollen, dann müssen wir für sie auch die Hintergründe aufklären. Dann muss auch über den Streit geredet werden. Den Streit zwischen Gott und Mensch. Biblisch gesprochen: wir müssen ihnen erklären, was Sünde ist, und wie wir alle davon betroffen sind.
Werden wir die Menschen damit nicht vor den Kopf stoßen, so fragt man sich? Manche  vielleicht schon, und sie werden sich abwenden. Eine Erfahrung, die ja schon unser Herr Jesus machen musste. Nach meiner Erfahrung haben allerdings manchmal die Christen mit solchen offenen Gesprächen mehr Probleme als die Atheisten. Ein Atheist, der bereit ist, mir zuzuhören. Der ist für eine ehrliche, klare Antwort manchmal sehr dankbar - auch wenn er mir nicht sogleich zustimmen wird. Ich glaube sogar, es gibt da draußen eine Menge Menschen. Die haben es satt, wenn die Kirchen mit schönen Worten um den heißen Brei herum reden. Schöne Worte hören wir genug von den Politikern - und was kommt dabei heraus? Wenn wir uns schon mit dem Christentum beschäftigen, so sagen die sich. Dann wollen wir wenigstens wissen, was Sache ist.
Deshalb: Nur Mut. Geht hin, und redet offen mit ihnen. Redet über den Streit zwischen Mensch und Gott. Redet über die Liebe Gottes. Und redet darüber, warum es das Höchste der Liebe Gottes war - einen Mittler zu schicken. Einen, der aus Liebe sogar sein Leben hergibt. Vielleicht ist mancher von uns überrascht, wie ein ehrliches Wort auf fruchtbaren Boden fallen kann.
Einige Wochen nach dem Krankenhausbesuch bei dem Menschen, von dem ich oben gesprochen habe. Da war ich noch einmal bei ihm zu Hause. Wir waren nicht allein, deshalb konnte man nicht so offen reden wie unter vier Augen. Am Schluss sagt mir dieser Mensch sinngemäß: Herr Pfarrer, ich habe gemacht, was Sie mir gesagt haben. Ich weiß nicht, ob die anderen im Raum den Satz verstanden haben. Aber ich wusste: Der hat seinen Frieden mit Gott gemacht. Ach, war ich froh. Und ich dachte: irgendwie wirkt dieser Mensch jetzt gelöster, froher. Und als er kurze Zeit später dann starb, da dachte ich: Gott sei Dank. Da ist einer gegangen, der hat noch rechtzeitig seinen Frieden mit Gott gemacht. Der geht nicht in die ewige Verdammnis, sondern der geht nach Hause zu seinem himmlischen Vater. Der hat "das verheißene ewige Erbe empfangen", wie unser Predigttext es ausdrückt. Und dort wird es ihm viel, viel besser ergehen als vorher, in seiner Not und Krankheit.
Wohl dem, der zu Lebzeiten seinen Mittler gefunden hat! Da ist der Streit mit Gott beendet, und man hat Frieden. "Denn der ist zum Sterben fertig, der sich lebend zu dir hält." Wie es im letzten Vers des Liedes "Bei dir Jesu will ich bleiben" heißt. (Gesangbuch der EmK 325,4) Ja, solche Dinge meine ich, wenn ich sagte: Karfreitag ist - bei allem gebotenen Ernst - doch ein froher Tag. Ein Fest der Liebe Gottes. Ein Fest der Liebe, die uns einen Mittler geschickt hat. Ob wir etwas von dieser Freude ergreifen können? Für uns selbst? Und für die, denen wir die frohe Botschaft weitersagen? Ich wünsche uns das sehr, am heutigen Festtag - und darüber hinaus. "Und darum ist er - Jesus - auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen." Amen.

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