Der Glauben in der Anfechtung, 3. Teil - Predigt über Hiob 14,1-6

1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, daß du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

Liebe Geschwister,
der Mensch hat es schwer im Leben. Auch der Christenmensch. Was in anderem Zusammenhang wie Geschwätz klingen mag - "ja, man hat's nicht leicht", für Hiob ist es kein Gerede. Es ist ein Seufzer, ein Seufzer von Herzensgrund: "Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab." Zuerst verliert Hiob seinen Besitz. Dann sterben seine Kinder - und schließlich wird er auch noch selbst todkrank, so krank, daß er sagt: "Mich ekelt mein Leben an." Das ist sogar noch mehr als: Der Mensch hat es schwer im Leben. (Hiob 10:1) 
Dabei ist Hiob ist ein Mensch von echter Frömmigkeit: "Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse." (1,1), so fängt das Buch Hiob an. Und jetzt wird ihm alles genommen.  Ein frommer Mensch - nun, wie geht er damit um? Er könnte ja überfromm reagieren, wie ein "geistlicher Supermann": Ein frommer Mensch vertraut auf Gott - komme, was kommen mag. Ein Indianer kennt keinen Schmerz...
Ich habe das einmal erlebt bei einem alten, ernsthaften Christen, der im Alter von 80 Jahren seine Frau verloren hatte: Man soll ja nicht klagen, sagte er mir - den Schmerz hinter diesen Worten konnte er aber kaum verbergen. Manche finden für sich auch eine andere Lösung. Hiob z.B. könnte Gott aufgeben: "Sage Gott ab...!" (Hiob 2:9) So rät ihm seine eigene Ehefrau. "Sage Gott ab...!" Nach dem, was ich erlebt habe, kann ich nicht glauben: Es gibt einen Gott. Oder wenn es einen gibt: dann will ich mit ihm nichts zu tun haben. Hiob gibt Gott nicht auf. Hiob redet mit Gott. Er klagt. Er stellt bohrende Fragen. Er lässt nicht locker. Ich finde das sehr mutig: Er gibt nicht auf. Er gibt Gott nicht auf. Er ringt mit Gott. Und indem er mit Gott ringt, bleibt er bei Gott.
Hiob hat hier eine ganz bestimmte Frage an Gott: Das Leben eines Menschen ist schwer genug - besonders meines. Es ist wie damals bei einem Tagelöhner: Harte Arbeit, harte Worte vom "Chef", wenig Lohn. Und das Leben des Menschen ist kurz, er "geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht". Das Leben ist hart und viel zu kurz - warum bestrafst du, Gott, mich dann noch? "Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, daß du mich vor dir ins Gericht ziehst." Muss das sein? "Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!" Herr, ich kann nicht anders als Sündigen, ich bin verstrickt - von Geburt an. Bestrafe mich nicht noch zusätzlich dafür, mein Leben ist schwer genug. "So blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat..." D.h.: Hiob sieht seine Schicksalsschläge zunächst als Strafe, als Strafe Gottes. Und er klagt: Kannst du, Gott, nicht nachsichtiger sein? 
Ist eine solche Überlegung so weit her geholt? Dass ich denke: Gott straft mich für meine Sünden, z.B. mit Krankheit? Es wird ja auch heute noch viel Schindluder getrieben mit dieser Überlegung. Als sich vor einiger Zeit die Krankheit Aids sich immer mehr ausbreitete, kamen auch bald die ersten Leute. Sie sagten: Aids ist eine Geißel Gottes, eine Strafe, eine Züchtigung. Wir müssen hier sehr vorsichtig sein - so einfach ist die Angelegenheit nicht. Wenn schon Kinder infiziert werden - wieso sollte Gott sie geißeln? Sehr leicht bekommt man das Bild eines willkürlichen, grausamen Gottes. Ein Gott, der gern straft. Oder ein Gott, der gleichgültig straft, unberührt von seinen Geschöpfen, von ihrem Leid. So einfach ist es nicht. 
Und doch glaube ich: Hiob stellt wenigstens die richtige Frage. Ich glaube durchaus, dass Gott etwas zu tun hat mit meiner ganzen Lebensgeschichte. Ich glaube nicht an ein blindes Schicksal. "Er hat die ganze Welt in seiner Hand", so heißt es in einem neuen Kirchenlied, das wir auch gern mit Kindern singen. Und eine Strophe heißt: "Er hat mich und dich in seiner Hand." Hat er mich nur in den schönen Stunden in seiner Hand? Oder hat er auch mit dem Schweren, mit dem Traurigen zu tun? Ist das blinder Zufall? Oder kommt das nicht auch aus seiner Hand? Hiob fragt: Warum strafst du mich mit Krankheit? Indem er dies sagt, bekennt er: Alles kommt aus deiner, aus Gottes Hand.
Wenn wirklich alles aus Gottes Hand kommt, ja dann ist das nur zu verständlich, Hiobs Frage: Warum, Gott? Warum tust du das? Muss das sein? Warum strafst du mich?  Das ist etwas ganz Anderes als ein plumpes Urteil in der Art: Die Aidskranken sind von Gott gestraft. Wenn Gott mich ganz in der Hand hat, dann kann ich durchaus einmal fragen: Warum tust du, Gott, mir das an? Was habe ich falsch gemacht? Bei aller Vorsicht, die wir bei dieser Frage anwenden müssen.
Auch das habe schon erlebt. Ein Christ sagt mir: "Ich erinnere mich an eine Zeit, da hat Gott mich ins Krankenhaus geschickt - damit er einmal in Ruhe mit mir reden konnte. Ich bin ihm lange genug davongelaufen - und jetzt hat er mich eingeholt. Hier, während meiner Krankheit, hatte ich mit Gott die entscheidende Begegnung meines Lebens." Ich glaube nicht, das dieser Christ sich das nur eingebildet hat - er hat es vielmehr im Glauben so für sich erkannt. Wie gesagt - hüten wir uns davor, ein Schema daraus zu machen: Wenn ich krank bin, dann habe ich irgendwo gesündigt etc. Nur das nicht! Und doch brauche ich nicht der Frage ausweichen: Will Gott mir etwas sagen, durch den Schlag, den ich gerade erlitten habe? Manchmal - nicht immer - will er wirklich etwas sagen. Wohl dem, der dann zuhört. Und: Wohl dem, der dann die richtigen Konsequenzen zieht.   
Hiob hat die richtige Frage gestellt. Und doch - wenn wir das Hiobbuch zu Ende lesen, sehen wir: Das ist nicht die "Auflösung" in Hiobs Fall. Gott wollte nicht seinen Finger auf spezielle Sünden in Hiobs Leben legen. Hiob wird nicht umsonst von Anfang an als "fromm, rechtschaffen und gottesfürchtig" beschrieben. Hiob ist es auch wirklich. Deshalb versteht er ja nicht, warum Gott ihm das alles antut.  Hiob hat ein anderes Problem. Hiob möchte gern einen berechenbaren Gott. Einer, der seiner - Hiobs - Logik folgt. Er schließt: Wenn ich sündige, dann straft mich Gott. Wenn ich also nicht sündige, dann muss es mir folglich gut gehen.
Schon in unserem Text merken wir, wo diese Rechnung hinführt: "Kann wohl ein Reiner kommen von einem Unreinen? Auch nicht einer!" Auch der Frömmste ist nicht wirklich rein vor Gott. Den sündenfreien Menschen gibt es nicht.  Das weiß Hiob jetzt - gerade weil er "fromm und rechtschaffen" ist. Denkt daran, wie selbst der große Apostel Paulus rufen konnte (Römer 7): "19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. ... 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?"
Hiob schloss daraus für sich: Wenn ich also immer in Sünde verstrickt bin - so bin ich ja schon geboren, "von Unreinen", wie es heißt. Wenn ich also immer in Sünde verstrickt bin, dann wird mich Gott also jetzt mit gutem Grund bestrafen. Es geschieht mir nur recht, dass es mir mein ganzes Leben über schlecht geht. "So blicke doch weg", Gott. Ja, allerdings: so, mit dieser Sichtweise - kann ich Gottes Nähe nicht ertragen. Einen Gott, der mich ständig straft, mich, den Unreinen. Den will ich nicht bei mir, nicht in meiner Nähe haben. Die Rechnung Hiobs führt aber nicht weiter, sie geht nicht auf. Sie macht Gott unerträglich: Blicke doch weg!, so ruft Hiob verzweifelt.
Gott will auch gar nicht in unsere Rechnungen eingebaut werden. Dagegen sperrt er sich. "Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche." So sagt Hiob, der Fromme, am Schluss des Buches. Hiob erkennt am Schluss tatsächlich, wie er Gott berechnen wollte. Ja, wie er sogar Gott auf die Anklagebank gesetzt hat: So darfst du, Gott, mich nicht behandeln, das ist "unfair", das habe ich nicht verdient.  Jetzt sagt Hiob: "Ich erkenne, daß du alles vermagst..."(Hiob 42:2) - alles, das Schöne und das Schwere in meinem Leben. "Er hat die ganze Welt in seiner Hand".
Martin Luther hat in diesem Zusammenhang von einem "verborgenen Gott" gesprochen. Manchmal erscheint mir Gott rätselhaft. Als ob er seine Liebe, seine Zuwendung verbirgt. Ich suche sie, ich rufe zu Gott, dem Gott der Liebe ist. Und er zeigt sich nicht. Der verborgene Gott. Diese Seite gehört zu Gott dazu. So ist er. Deshalb rufen die Psalmbeter so oft: Wende mir dein Angesicht wieder zu. Zeige mir deine Liebe. (z.B. Psalm 69:17-18)
Ich finde es gut, wie das Hiobbuch endet. Hiob hat Gott nicht aufgegeben. Und Gott taucht wieder auf, taucht auf aus seiner rätselhaften Verborgenheit. "Der Herr gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.", so lesen wir. Hiob wird wieder gesund. Er bekommt neue Kinder. Er lebt noch lange. Wie lange hat Hiob auf diesen guten Ausgang wohl gewartet?  "Sei stille dem Herrn und warte auf ihn." So sagt der Psalmbeter. Auf Gott warten. Warten, bis er auftaucht aus seiner Verborgenheit.
Das ist nicht leicht: fällt uns das Warten gerade in unserer heutigen Zeit so schwer. Bin ich doch schon so geprägt von unserer Zeit: Schnellimbiss, Sofortbilder, Eilzustellung usw. Auch im Berufsleben: Alles sollte möglichst "bis vorgestern" erledigt sein. Nichts kann warten, alles ist eilig. Kann ich noch warten? Auf Gott warten? Seine Rätselhaftigkeit einmal aushalten - eine Zeit lang? Wie viel quälende Gedanken, wie viel Traurigkeit könnte ich mir ersparen. Darum möchte ich Gott bitten: Dass ich warten kann. Auf ihn warten, bis er mir wieder in seiner ganzen Gnade und Liebe sichtbar wird. Bis er wieder so zu mir redet, das ich ihn verstehen kann. Wenn ich das tue, dann habe ich es wirklich besser als die Menschen, die ohne einen Glauben nur sagen können: Der Mensch hat es schwer im Leben. Aber die dabei stehen bleiben müssen, ohne eine Hoffnung auf Gott.
Paul Gerhardt, der Liederdichter, er hat ein Lied geschrieben, das viel mit dem Warten auf Gott zu tun hat: "Befiehl du deine Wege" (Gesangbuch der EmK 371). Er will damit Mut machen, Mut, zu warten. Und er schreibt über den, der auf Gott gewartet hat: "Wirds aber sich befinden, daß du ihm treu verbleibst, so wird er dich entbinden, da du's am mindsten gläubst; er wird dein Herze lösen, von der so schweren Last, die du zu keinem Bösen bisher getragen hast." Lasst uns unserem Herrn vertrauen, selbst in schweren Zeiten. In Zeiten, wo er uns rätselhaft und verborgen erscheint. Lasst uns hören, was er uns zu sagen hat. Lasst uns auf ihn warten. Amen.

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