Die Anfechtung als Kraftquelle - Predigt über Jakobus 1,2-4

2 Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt, 3 und wißt, daß euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld wirkt. 4 Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, damit ihr vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.

Liebe Gemeinde,
Anfechtungen und Schwierigkeiten können unseren Glauben stärken und kräftigen. Aber warum ist das so? Wir wollen dieser Frage auf den Grund gehen, indem wir unseren Predigttext Satz für Satz durchgehen.

1.  Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt...

So schreibt Jakobus am Anfang seines Briefes. Warum sollte ich mich als Christ in Zeiten der Anfechtung, der Not freuen? Soll ich mich freuen, wenn ich meine Arbeit verliere? Soll ich mich freuen, wenn meine Familie zerbricht? Soll ich mich freuen, wenn ich plötzlich von einer Krankheit niedergeworfen werde, und es besteht - menschlich gesehen - keine Aussicht auf Besserung? Warum sollte sich ein normal empfindender Mensch über so etwas freuen? Oder auf den Text bezogen: Warum sollten sich die Empfänger des Jakobusbriefes freuen? Viele von ihnen waren wahrscheinlich Judenchristen. Als sie früher ihren jüdischen Glauben lebten, konnte ihre heidnische Umgebung nichts damit anfangen. Und jetzt, wo sie Christen geworden waren, wo sie Jesus als ihren Messias angenommen hatten, wurden sie zusätzlich von ihren eigenen jüdischen Volksgenossen weggestoßen, ja oft sogar hart bekämpft. Warum sollten sie sich freuen?
Es gibt es eine grundsätzliche Lebensweisheit, die besagt: Ein Mensch wird nur dann wirklich lebenstüchtig, wenn er gelernt hat, sich durch Schwierigkeiten zu kämpfen. Wem von Jugend an nur "die gebratenen Tauben in den Mund fliegen", der wird es wahrscheinlich zu nichts bringen. Auch im geistlichen Bereich hat sich diese Weisheit bewahrheitet. Martin Luther sagte einmal: "Die schlimmste Anfechtung ist gar keine Anfechtung." Warum? Er meinte damit: sonst werden wir lau und träge im Glauben, im Gebet, in der Beschäftigung mit dem Wort Gottes. Und vor allem wächst in uns der Erzfeind des Glaubens heran: Der natürliche Stolz des Menschen, der glaubt "ich kann alles, ich bringe es weiter, schaut her, was ich leiste".
Aber auch dann  bleibt die Frage: Wenn das so ist, dann ist es wohl für ein Christenleben am besten, wenn es mal etwas leichter geht, mal etwas schwerer - sozusagen ein gesundes Mittelmaß an Belastungen. Aber: Mich freuen, wenn ich in Anfechtung falle? Die Not begrüßen, wie einen guten Freund, der mir weiterhilft? Wie soll das gehen? Darum:

2.  und wißt, daß euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld wirkt

Ich sprach einmal mit einem alten Mann über Gott und über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Er sagte mir sinngemäß: "Ich habe meinen Glauben damals in Stalingrad verloren." In den grausamen Stunden des Zweiten Weltkriegs fragte er sich: Wie kann ein Gott der Liebe so etwas zulassen? An so einen Gott konnte und wollte er nicht mehr glauben. Und so hatte er für sich "mit Gott abgeschlossen". Hier hat die Anfechtung also nicht den Glauben gestärkt, sondern direkt in die Gottlosigkeit geführt - oder?
Hören wir noch einen Anderen. Er beschreibt, wie er im Gefängnis saß, wie er geschlagen wurde, wie er Schiffbruch erlitt, wie die "lieben Mitchristen" Intrigen gegen ihn anzettelten - und vieles mehr. (z.B. 2. Korinther 11:16-33) Er schreibt, wie er im Glauben damit umgegangen ist (Römer 5:3-5): "3 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist." Ihr habt es vielleicht schon erraten: Es war der Apostel Paulus, der das geschrieben hat.
Wie kommt er dazu, so zuversichtlich über seine Bedrängnisse zu schreiben - während der alte Mann davor mit Gott und dem Glauben abgeschlossen hat? Ich denke, der entscheidende Unterschied ist dieser Satz von Paulus: "Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist." Einen echten Glauben an den gekreuzigten Herrn. Einen Glauben, der mir die ganze Liebe meines Erlösers gezeigt hat, den Erlöser, der mich von meiner Schuld befreit hat. Einen solchen Glauben kann man nicht verlieren - weder in Stalingrad noch sonst wo. Dafür sorgt nicht meine innere Stärke, nicht meine "Glaubensfestigkeit" - dafür sorgt der Heilige Geist.
Es ist schon wahr: Ein allgemeiner Glauben an einen Schöpfer im Himmel. An einen, der auf mich aufpasst und mich beschützt. Oder wie Friedrich Schiller es in seiner "Ode an die Freude" ausdrückt: "Brüder – überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen." Wenn das alles ist, was ich glaube, oder wenn es das Wichtigste ist an meinem Glauben. Dann werde ich mit diesem "Glauben" scheitern - sobald eine echte Belastungsprobe, eine große Anfechtung kommt. Ein Glaube dagegen, der in der Mitte den gekreuzigten und auferstandenen Christus hat, an seine Erlösung, seine Vergebung der Sünden, seine Errettung. Ein solcher Glaube wird auch in der Anfechtung standhalten, selbst wenn es mir schlecht geht, wenn ich keinen Ausweg mehr sehe, wenn Gott mir ganz fern erscheint, wenn ich ihn nicht mehr verstehe, und ich nichts mehr von ihm fühle. Denn der Heilige Geist macht mich immer wieder der Liebe Gottes gewiss, und lässt mich schließlich das Licht am Ende des Tunnels sehen.
In der Anfechtung, da trennt sich - was den Glauben betrifft - die Spreu vom Weizen. Jakobus setzt in seinem Brief diese Grundkenntnisse bei seinen Lesern voraus. Er rechnet damit, dass sie bereits wissen, was ein echter, lebendiger Glaube an Jesus Christus ist. Und dann sagt er ihnen: Wenn ihr einen solchen Glauben habt, dann wisst, dass ihr ihn nicht verlieren werdet, auch nicht in der Anfechtung. Und das ist doch schon ein erster Grund zur Freude, von der er am Anfang geschrieben hat. Es ist Freude darüber, dass nichts und niemand mich von meinem Heiland trennen kann - komme was wolle.
Wir wollen  das noch etwas praktischer anschauen. Zunächst redet Jakobus davon, dass der Glaube in der Anfechtung "bewährt" wird. Und ich denke an einen anderen alten Mann, der ebenfalls im Zweiten Weltkrieg in Rußland war. Und der mir gesagt hat: Wenn ich zurückblicke, dann kann ich nur dankbar staunen. Staunen, durch welche wunderbaren Führungen und Wege Gott mich bewahrt hat. Hätte der Herr das nicht getan, dann hätte ich - wie viele meiner Kameraden - die Zeit in Russland nicht überlebt. Wenn ich ein solches Zeugnis höre, dann merke ich: Diese Bewährungsprobe hat nicht nur seinen Glauben gestärkt - das stärkt auch meinen Glauben und macht mir Mut, wenn ich selbst in Bewährungsproben stehe. Ja - unter uns könnten vermutlich einige etwas erzählen, wie ihr Glaube sich tatsächlich bewährt hat, in schwierigen Zeiten, in Not, in Krankheit.
Von solchem bewährten Glauben sagt Jakobus, dass er "Geduld wirkt". Was aber ist Geduld? Mancher mag geneigt sein, zu sagen: Geduld lernen heißt, sich fügen lernen, warten, nicht alles sofort haben wollen. Da ist sicher etwas dran. Trotzdem steckt noch mehr in diesem Wort. Wörtlich übersetzt heißt Geduld "Darunterbleiben". Ein Ausleger erklärte es einmal so: Geduld  ist die Fähigkeit, über längere Zeit hinweg unter Druck zu bleiben. Es wurde zum Beispiel gebraucht, wenn Soldaten, die dabei waren, eine Burg einzunehmen, unter Beschuss kamen. Und es befahl ihnen ihr Offizier, trotz der Gefahr "darunter zu bleiben", unter dem, was auf sie an Geschossen einprasselte, solange, bis die Burg eingenommen werden konnte. Geduld ist also weit mehr als ein passives Sich-Fügen, und Abwarten. Es ist vielmehr höchst aktiv, es ist ein Kraftakt des Aushaltens. Ein Kraftakt, der nur gelingen kann, wenn die Kraft des Heiligen Geistes mich stärkt, und mich immer wieder an die Liebe meines himmlischen Vaters erinnert. Ja, ich bin sicher: Auch von solchen "Kraftakten des Glaubens" wissen so manche unter uns zu erzählen, ältere wie jüngere.

3.  Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, damit ihr vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.

Wir hatten vorhin gesehen, wie ein echter, lebendiger Glaube in der Anfechtung nicht zerstört wird. Sondern wie mich der Geist Gottes - inmitten aller Not - bei meinem Heiland Jesus Christus hält. Trotzdem treibt so manchen gläubigen Christen die Frage um: Heute glaube ich an Jesus - aber wer weiß, was morgen auf mich zukommen wird? Werde ich dann die Kraft haben, bei ihm zu bleiben? Werde ich es auch dann können, wenn mein letztes Stündlein geschlagen hat? Werde ich dann immer noch im festen Glauben stehen, und nach Hause gehen zu meinem Herrn, in die himmlische Heimat?
Was dazu auf der Seite Gottes geschieht, haben wir gesehen: Sein Heiliger Geist ist es, der mich im Glauben erhält. Hier dagegen wird es von einer anderen Seite betrachtet. Nämlich: was muss mit mir geschehen, damit ich im Glauben "dranbleibe" bis zum Schluss? Jakobus sagt: Ich muss Geduld lernen. Diese Art von geistlicher Geduld, die mich aushalten lässt, selbst in der Stunde der Anfechtung. Die mich aushalten lässt im Glauben. Mein himmlischer Vater tut alles dafür, dass ich das lerne. Darum führt er mich manchmal sogar in große Not und Anfechtung. Und lässt mich Wege gehen, die ich nicht begreifen kann - oder erst viele Jahre später.
Versteht es richtig: Er tut das nicht, um uns zu quälen oder zu bestrafen. Wenn uns etwas Schlimmes oder Unverständliches widerfährt, dann denken wir viel zu schnell: Herr, womit habe ich das verdient? Oder gar: Herr, was habe ich getan, dass du mich dafür so sehr bestrafst? Was ist das nur für ein verzerrtes Bild von unserem himmlischen Vater! Wenn wir Jesus Christus kennen, dann sollen wir wissen: Unser himmlischer Vater   meint es gut mit uns. Er liebt uns mehr, als wir es uns je ausmalen könnten. Er sitzt nicht im Himmel und lauert darauf, wofür er mich als nächstes bestrafen könnte. Sondern er ist ständig darauf bedacht, mir Gutes zu tun. Gutes da, wo ich es verstehe. Und Gutes auf den Wegen, die ich nicht verstehe. Und all das ist eine ständige Einladung, mit der er mir sagt: Mein Kind, vertraue mir. Vertraue mir immer mehr. Lerne, mir auch dort zu vertrauen, wo du mich nicht verstehst. Wenn wir ihm egal wären, dann würde er uns nicht in diese Schule nehmen. Wenn er uns nicht so sehr lieben würde, dann ginge es uns vielleicht immerzu gut - so gut,  dass wir mit Martin Luther sagen müssten: Die schlimmste Anfechtung ist keine Anfechtung.

Liebe Gemeinde, keiner von uns wünscht sich die Anfechtung herbei. Aber wenn sie kommt, dann wünsche ich jedem von uns, dass er sie im Glauben nehmen kann. In einem lebendigen Glauben an Jesus Christus, seinen Heiland. Und dass er sich dann an diese - scheinbar so merkwürdigen - Worte erinnert, und daran, was sie bedeuten: Erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt. Amen.

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