2 Meine lieben Brüder,
erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen
fallt, 3 und wißt, daß euer Glaube, wenn er bewährt
ist, Geduld wirkt. 4 Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende,
damit ihr vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.
Liebe Gemeinde,
Anfechtungen und Schwierigkeiten können unseren Glauben
stärken und kräftigen. Aber warum ist das so? Wir wollen
dieser Frage auf den Grund gehen, indem wir unseren Predigttext Satz
für Satz durchgehen.
So schreibt Jakobus am Anfang seines Briefes. Warum sollte ich mich
als Christ in Zeiten der Anfechtung, der Not freuen? Soll ich mich
freuen, wenn ich meine Arbeit verliere? Soll ich mich freuen, wenn
meine Familie zerbricht? Soll ich mich freuen, wenn ich plötzlich
von einer Krankheit niedergeworfen werde, und es besteht - menschlich
gesehen - keine Aussicht auf Besserung? Warum sollte sich ein normal
empfindender Mensch über so etwas freuen? Oder auf den Text
bezogen: Warum sollten sich die Empfänger des Jakobusbriefes
freuen? Viele von ihnen waren wahrscheinlich Judenchristen. Als sie
früher ihren jüdischen Glauben lebten, konnte ihre heidnische
Umgebung nichts damit anfangen. Und jetzt, wo sie Christen geworden
waren, wo sie Jesus als ihren Messias angenommen hatten, wurden sie
zusätzlich von ihren eigenen jüdischen Volksgenossen
weggestoßen, ja oft sogar hart bekämpft. Warum sollten sie
sich freuen?
Es gibt es eine grundsätzliche Lebensweisheit, die besagt: Ein
Mensch wird nur dann wirklich lebenstüchtig, wenn er gelernt hat,
sich durch Schwierigkeiten zu kämpfen. Wem von Jugend an nur "die
gebratenen Tauben in den Mund fliegen", der wird es wahrscheinlich zu
nichts bringen. Auch im geistlichen Bereich hat sich diese Weisheit
bewahrheitet. Martin Luther sagte einmal: "Die schlimmste Anfechtung
ist gar keine Anfechtung." Warum? Er meinte damit: sonst werden wir lau
und träge im Glauben, im Gebet, in der Beschäftigung mit dem
Wort Gottes. Und vor allem wächst in uns der Erzfeind des Glaubens
heran: Der natürliche Stolz des Menschen, der glaubt "ich kann
alles, ich bringe es weiter, schaut her, was ich leiste".
Aber auch dann bleibt die Frage: Wenn das so ist, dann ist es
wohl für ein Christenleben am besten, wenn es mal etwas leichter
geht, mal etwas schwerer - sozusagen ein gesundes Mittelmaß an
Belastungen. Aber: Mich freuen, wenn ich in Anfechtung falle? Die Not
begrüßen, wie einen guten Freund, der mir weiterhilft? Wie
soll das gehen? Darum:
Ich sprach einmal mit einem alten Mann über Gott und über
seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Er sagte mir
sinngemäß: "Ich habe meinen Glauben damals in Stalingrad
verloren." In den grausamen Stunden des Zweiten Weltkriegs fragte er
sich: Wie kann ein Gott der Liebe so etwas zulassen? An so einen Gott
konnte und wollte er nicht mehr glauben. Und so hatte er für sich
"mit Gott abgeschlossen". Hier hat die Anfechtung also nicht den
Glauben gestärkt, sondern direkt in die Gottlosigkeit geführt
- oder?
Hören wir noch einen Anderen. Er beschreibt, wie er im
Gefängnis saß, wie er geschlagen wurde, wie er Schiffbruch
erlitt, wie die "lieben Mitchristen" Intrigen gegen ihn anzettelten -
und vieles mehr. (z.B. 2. Korinther 11:16-33) Er schreibt, wie er im
Glauben damit umgegangen ist (Römer 5:3-5): "3 Nicht allein aber
das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir
wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber
Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber
läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist
ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben
ist." Ihr habt es vielleicht schon erraten: Es war der Apostel Paulus,
der das geschrieben hat.
Wie kommt er dazu, so zuversichtlich über seine Bedrängnisse
zu schreiben - während der alte Mann davor mit Gott und dem
Glauben abgeschlossen hat? Ich denke, der entscheidende Unterschied ist
dieser Satz von Paulus: "Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre
Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist." Einen echten
Glauben an den gekreuzigten Herrn. Einen Glauben, der mir die ganze
Liebe meines Erlösers gezeigt hat, den Erlöser, der mich von
meiner Schuld befreit hat. Einen solchen Glauben kann man nicht
verlieren - weder in Stalingrad noch sonst wo. Dafür sorgt nicht
meine innere Stärke, nicht meine "Glaubensfestigkeit" - dafür
sorgt der Heilige Geist.
Es ist schon wahr: Ein allgemeiner Glauben an einen Schöpfer im
Himmel. An einen, der auf mich aufpasst und mich beschützt. Oder
wie Friedrich Schiller es in seiner "Ode an die Freude" ausdrückt:
"Brüder – überm Sternenzelt muß ein lieber Vater
wohnen." Wenn das alles ist, was ich glaube, oder wenn es das
Wichtigste ist an meinem Glauben. Dann werde ich mit diesem "Glauben"
scheitern - sobald eine echte Belastungsprobe, eine große
Anfechtung kommt. Ein Glaube dagegen, der in der Mitte den gekreuzigten
und auferstandenen Christus hat, an seine Erlösung, seine
Vergebung der Sünden, seine Errettung. Ein solcher Glaube wird
auch in der Anfechtung standhalten, selbst wenn es mir schlecht geht,
wenn ich keinen Ausweg mehr sehe, wenn Gott mir ganz fern erscheint,
wenn ich ihn nicht mehr verstehe, und ich nichts mehr von ihm
fühle. Denn der Heilige Geist macht mich immer wieder der Liebe
Gottes gewiss, und lässt mich schließlich das Licht am Ende
des Tunnels sehen.
In der Anfechtung, da trennt sich - was den Glauben betrifft - die
Spreu vom Weizen. Jakobus setzt in seinem Brief diese Grundkenntnisse
bei seinen Lesern voraus. Er rechnet damit, dass sie bereits wissen,
was ein echter, lebendiger Glaube an Jesus Christus ist. Und dann sagt
er ihnen: Wenn ihr einen solchen Glauben habt, dann wisst, dass ihr ihn
nicht verlieren werdet, auch nicht in der Anfechtung. Und das ist doch
schon ein erster Grund zur Freude, von der er am Anfang geschrieben
hat. Es ist Freude darüber, dass nichts und niemand mich von
meinem Heiland trennen kann - komme was wolle.
Wir wollen das noch etwas praktischer anschauen. Zunächst
redet Jakobus davon, dass der Glaube in der Anfechtung "bewährt"
wird. Und ich denke an einen anderen alten Mann, der ebenfalls im
Zweiten Weltkrieg in Rußland war. Und der mir gesagt hat: Wenn
ich zurückblicke, dann kann ich nur dankbar staunen. Staunen,
durch welche wunderbaren Führungen und Wege Gott mich bewahrt hat.
Hätte der Herr das nicht getan, dann hätte ich - wie viele
meiner Kameraden - die Zeit in Russland nicht überlebt. Wenn ich
ein solches Zeugnis höre, dann merke ich: Diese
Bewährungsprobe hat nicht nur seinen Glauben gestärkt - das
stärkt auch meinen Glauben und macht mir Mut, wenn ich selbst in
Bewährungsproben stehe. Ja - unter uns könnten vermutlich
einige etwas erzählen, wie ihr Glaube sich tatsächlich
bewährt hat, in schwierigen Zeiten, in Not, in Krankheit.
Von solchem bewährten Glauben sagt Jakobus, dass er "Geduld
wirkt". Was aber ist Geduld? Mancher mag geneigt sein, zu sagen: Geduld
lernen heißt, sich fügen lernen, warten, nicht alles sofort
haben wollen. Da ist sicher etwas dran. Trotzdem steckt noch mehr in
diesem Wort. Wörtlich übersetzt heißt Geduld
"Darunterbleiben". Ein Ausleger erklärte es einmal so:
Geduld ist die Fähigkeit, über längere Zeit hinweg
unter Druck zu bleiben. Es wurde zum Beispiel gebraucht, wenn Soldaten,
die dabei waren, eine Burg einzunehmen, unter Beschuss kamen. Und es
befahl ihnen ihr Offizier, trotz der Gefahr "darunter zu bleiben",
unter dem, was auf sie an Geschossen einprasselte, solange, bis die
Burg eingenommen werden konnte. Geduld ist also weit mehr als ein
passives Sich-Fügen, und Abwarten. Es ist vielmehr höchst
aktiv, es ist ein Kraftakt des Aushaltens. Ein Kraftakt, der nur
gelingen kann, wenn die Kraft des Heiligen Geistes mich stärkt,
und mich immer wieder an die Liebe meines himmlischen Vaters erinnert.
Ja, ich bin sicher: Auch von solchen "Kraftakten des Glaubens" wissen
so manche unter uns zu erzählen, ältere wie jüngere.
Wir hatten vorhin gesehen, wie ein echter, lebendiger Glaube in der
Anfechtung nicht zerstört wird. Sondern wie mich der Geist Gottes
- inmitten aller Not - bei meinem Heiland Jesus Christus hält.
Trotzdem treibt so manchen gläubigen Christen die Frage um: Heute
glaube ich an Jesus - aber wer weiß, was morgen auf mich zukommen
wird? Werde ich dann die Kraft haben, bei ihm zu bleiben? Werde ich es
auch dann können, wenn mein letztes Stündlein geschlagen hat?
Werde ich dann immer noch im festen Glauben stehen, und nach Hause
gehen zu meinem Herrn, in die himmlische Heimat?
Was dazu auf der Seite Gottes geschieht, haben wir gesehen: Sein
Heiliger Geist ist es, der mich im Glauben erhält. Hier dagegen
wird es von einer anderen Seite betrachtet. Nämlich: was muss mit
mir geschehen, damit ich im Glauben "dranbleibe" bis zum Schluss?
Jakobus sagt: Ich muss Geduld lernen. Diese Art von geistlicher Geduld,
die mich aushalten lässt, selbst in der Stunde der Anfechtung. Die
mich aushalten lässt im Glauben. Mein himmlischer Vater tut alles
dafür, dass ich das lerne. Darum führt er mich manchmal sogar
in große Not und Anfechtung. Und lässt mich Wege gehen, die
ich nicht begreifen kann - oder erst viele Jahre später.
Versteht es richtig: Er tut das nicht, um uns zu quälen oder zu
bestrafen. Wenn uns etwas Schlimmes oder Unverständliches
widerfährt, dann denken wir viel zu schnell: Herr, womit habe ich
das verdient? Oder gar: Herr, was habe ich getan, dass du mich
dafür so sehr bestrafst? Was ist das nur für ein verzerrtes
Bild von unserem himmlischen Vater! Wenn wir Jesus Christus kennen,
dann sollen wir wissen: Unser himmlischer Vater meint es
gut mit uns. Er liebt uns mehr, als wir es uns je ausmalen
könnten. Er sitzt nicht im Himmel und lauert darauf, wofür er
mich als nächstes bestrafen könnte. Sondern er ist
ständig darauf bedacht, mir Gutes zu tun. Gutes da, wo ich es
verstehe. Und Gutes auf den Wegen, die ich nicht verstehe. Und all das
ist eine ständige Einladung, mit der er mir sagt: Mein Kind,
vertraue mir. Vertraue mir immer mehr. Lerne, mir auch dort zu
vertrauen, wo du mich nicht verstehst. Wenn wir ihm egal wären,
dann würde er uns nicht in diese Schule nehmen. Wenn er uns nicht
so sehr lieben würde, dann ginge es uns vielleicht immerzu gut -
so gut, dass wir mit Martin Luther sagen müssten: Die
schlimmste Anfechtung ist keine Anfechtung.
Liebe Gemeinde, keiner von uns wünscht sich die Anfechtung herbei.
Aber wenn sie kommt, dann wünsche ich jedem von uns, dass er sie
im Glauben nehmen kann. In einem lebendigen Glauben an Jesus Christus,
seinen Heiland. Und dass er sich dann an diese - scheinbar so
merkwürdigen - Worte erinnert, und daran, was sie bedeuten:
Erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen
fallt. Amen.