61:1 Der Geist Gottes des HERRN
ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den
Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu
verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den
Gebundenen, daß sie frei und ledig sein sollen; 2 zu
verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der
Vergeltung unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden, 3 zu
schaffen den Trauernden zu Zion, daß ihnen Schmuck statt Asche,
Freudenöl statt Trauerkleid, Lobgesang statt eines betrübten
Geistes gegeben werden, daß sie genannt werden »Bäume
der Gerechtigkeit«, »Pflanzung des HERRN«, ihm zum
Preise.
Liebe Gemeinde,
Jesus tröstet und befreit. - Am Anfang seines Dienstes steht Jesus
in der Synagoge, und liest aus genau diesen Jesajaworten vor. Dann sagt
er seinen Zuhörern: "Heute ist dieses Wort der Schrift
erfüllt vor euren Ohren." (lies Lukas 4,18-21) Diese Worte Jesajas
versprechen Trost und Befreiung. Und Jesus sagt: Diese Worte reden von
mir. Deshalb wollen wir fragen: Wie bringt Jesus Trost und Befreiung?
Jesus ist gekommen, "den Elenden gute Botschaft zu bringen, die
zerbrochenen Herzen zu verbinden". Bei solchen Worten denken wir
unmittelbar an solche Menschen, die schwere Zeiten durchmachen. Als
Jesaja diese Worte spricht, richten sie sich zuerst an sein Volk
Israel. Das hatte sich über viele Generationen von Gott und von
seinen Geboten abgewendet. Bis Gott schließlich sagt: Es ist
genug, sie hören ja doch nicht auf mich. Und so hatten sie einen
Krieg verloren, danach deportierte man sie nach Babylon. Dort lebten
sie in Gefangenschaft, weit weg von der Heimat, ihr Tempel in
Jerusalem war zerstört. Der Prophet Jesaja tröstet sein
betrübtes Volk und sagt ihnen: Gott wird euch eure Schuld
vergeben. Und es kommt die Zeit, in der er euch in eure Heimat
zurückführen wird. Wir wissen, dass es tatsächlich so
gekommen ist. Der Perserkönig Kyros eroberte das babylonische
Reich und schenkte ihnen die Freiheit. Nach 70 Jahren können sie
zurückkehren, und der Tempel in Jerusalem wird wieder aufgebaut.
Ja, Gott kann ganz unmittelbar und konkret helfen. Ich denke, mancher
von uns hat es schon erlebt. Wie du dich in einer scheinbar
aussichtslosen Situation befandest. Und dann hast du dich an Gott
gewendet, im Gebet. Hast nicht nachgelassen. Schließlich hat er
dir herausgeholfen. Obwohl nach menschlichem Ermessen nichts mehr zu
machen war. Wir können uns gegenseitig Mut machen im Glauben, wenn
wir solche Erfahrungen weitergeben. So etwas tröstet.
Als Jesus in der Synagoge diese Worte Jesajas auf sich bezieht, da
meint er nicht eine äußere Not. Sondern er meint die
geistliche Not seines Volkes. Er hat einen Namen, der Programm ist:
Jesus - auf hebräisch "Jeschua" - heißt "Rettung". Von ihm
wird gesagt: (Matthäus 1,21): "...dem sollst du den Namen Jesus
geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden." In den
Evangelien wird immer wieder berichtet, wie Menschen, beladen mit ihren
Sünden und gedrückt von Last ihres Gewissens, zu Jesus
kommen. Denken wir an den Zöllner Zachäus (Lukas 19,1ff).
Oder an die Frau, deren anrüchiger Lebenswandel stadtbekannt war,
so dass sie einfach "Sünderin" genannt wird (Lukas 7,37). Sie alle
kommen zu Jesus, und erfahren Vergebung. Jesus tröstet sie in
ihrem Sünden-Elend.
Viele Menschen in der heutigen Zeit wissen damit nichts mehr
anzufangen. Sie leben ohne Gott, oder haben ihm in den Randbereichen
ihres Lebens eine Art "Notunterkunft" errichtet. Sie würden nicht
auf die Idee kommen, dass sie Sünder sind, und dass sie einen
Retter brauchen. Manche bekommen eine Ahnung davon, bleiben aber auf
halbem Wege stehen. Ein reuiger Steuersünder soll einmal auf
folgende Idee gekommen sein: Er schickte einen Umschlag mit Geld und
einem anonymen Schreiben an das Finanzamt. Darin war zu lesen: "Anbei
ein Teil meiner Steuerschuld. Wenn ich kommende Nacht wieder nicht
schlafen kann, erhalten Sie mehr." Wir wissen nicht, ob dann noch etwas
kam für das Finanzamt - sehr groß scheint die Gewissensnot
jedenfalls nicht gewesen zu sein. Für solche Menschen ist diese
tröstende Botschaft nicht gedacht. Mit ihnen muss Gott zuerst
einen Weg gehen, damit sie ihren geistlichen Zustand erkennen. Und
wissen, dass auch sie großen Bedarf für einen Heiland haben.
Ich bin aber überzeugt, es gibt sie immer noch, die anderen.
Vielleicht jemanden, der tatsächlich etwas Schlimmes getan hat.
Und es drückt ihn, was er damit angerichtet hat. Vielleicht auch
solche, die einfach regelmäßig Gottes Wort hören.
Sonntags, in der Kirche. Oder Konfirmanden, die die Grundbegriffe des
Glaubens lernen. Solche, die allmählich merken: So, wie Gott mich
haben möchte, bin ich ganz und gar nicht. Der Graben zwischen dem,
was seine Gebote sagen, und meinem tatsächlichen Leben, der ist
einfach zu groß. Und je länger man sich damit
beschäftigt, desto mehr merkt man: Gott schaut nicht nur auf meine
Taten, er schaut auch auf meine inneren Einstellungen. So wie das Gebot
es sagt: "Du sollst nicht begehren" (2. Mose 20,17) - und ich
weiß, dass ich trotzdem gern das tue, was Gott nicht will. Das
Gewissen ist erwacht, und man sieht seinen wahren Zustand vor Gott.
Solche "zerbrochenen Herzen" tröstet Jesus. Zu ihnen sagt er: Mein
Vater hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die
zerbrochenen Herzen zu verbinden. Ich bin das "Lamm Gottes, das der
Welt Sünde trägt" (Johannes 1,29). Er ist in die Welt
gekommen, er ist am Kreuz gestorben "damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben" (Johannes 3,16).
Und wenn so ein zerbrochenes Herz im Glauben auf den Gekreuzigten
schaut, und auf sein Blut, das er dort vergossen hat. Dann wird das
zerbrochene Herz heil werden, der Trost Jesu wird dort einziehen, und
das aufgeschreckte Gewissen wird Frieden finden.
Jesaja verkündigt "den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen,
daß sie frei und ledig sein sollen". Als Jesus diese Worte auf
sich bezieht, meint er damit nicht mehr die Befreiung Israels. Er
spricht auch nicht von einem Gefängnis mit Mauern und Türen.
Sondern er meint eine geistliche Realität. Als er einmal mit
Leuten aus seinem Volk diskutiert, da behaupten diese: Wir sind nie
jemandes Knecht gewesen, wir sind freie Menschen. (Johannes 8,31-45)
Jesus sagt ihnen : "Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht."
Und geht danach noch weiter: "Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach
eures Vaters Gelüste wollt ihr tun."
Im neuen Testament ist immer wieder die Rede davon, dass Sünde
nicht nur unsere Schuld, unsere einzelnen Verfehlungen gegen Gott
bezeichnet. Sondern die Sünde ist auch eine Macht, die uns
gefangenhält. Wer mehr darüber wissen möchte, den lade
ich ein, einmal in Ruhe das 6. Kapitel des Römerbriefs zu lesen.
Am besten in der Lutherübersetzung. Und überall, wo Luther
übersetzt mit "Sünde" - da setze für dich ein:
"Sünden-Macht". Und sei dir dabei bewusst, das hinter dieser Macht
der Widersacher Gottes höchstpersönlich steht. Geistlich
betrachtet, gehört der Mensch niemals sich selbst - auch wenn der
moderne Mensch sich gerne als frei und selbstbestimmt sieht. Geistlich
gesehen gehört er dieser Sünden-Macht, sie besitzt ihn von
Geburt an. Und nur einer kann ihn davon frei machen: Jesus. Deshalb
sagt er den Leuten aus seinem Volk (Johannes 8,36): "Wenn euch nun der
Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei." Wer Jesus zum Herrn hat,
über den haben die Sünde und der Teufel keine Macht mehr.
Lasst uns das etwas konkreter machen, und sehen, wie Christus uns frei
macht. Es ist immer wieder eindrücklich, wenn ein Mensch, der
"ganz unten" angekommen ist. Etwa ein Alkoholiker oder ein
Drogensüchtiger, dem sein Leben völlig entglitten ist. Wenn
so einer das Evangelium hört, und Jesus befreit ihn aus aus einer
hoffnungslosen Lage und gibt ihm die Kraft, noch einmal ganz neu
anzufangen. Oder wenn einer, der sich mit Zauberei und Okkultismus
eingelassen hat. Und so etwas gibt es in unserem aufgeklärten Land
öfter als man denkt! Wenn der frei wird von den bösen
Geistern, die ihn Tag und Nacht quälen. Und erlebt, wie Christus
die Macht über alle Mächte hat.
Ich möchte aber noch eine andere Art der Gefangenschaft
betrachten. Ich meine die Gefangenschaft des Unglaubens. Immer wieder
gibt es die Erfahrung, dass Menschen das Wort Gottes hören. Sie
haben alles verstanden. Aber sie sagen: Ich kann einfach nicht glauben.
So sehr ich mich bemühe - es geht nicht. Wenn man mit einem
solchen Menschen zu tun hat, herrscht oft Ratlosigkeit. Man denkt sich:
Gott lässt doch jeden frei entscheiden, ob er glauben will oder
nicht. Vielleicht will dieser Mensch im Grunde seines Herzens gar nicht
glauben. Diese verborgene Einstellung muss er loswerden. Oder man
überschüttet den Ärmsten mit einer Fülle von
Argumenten und Bibelstellen - um ihn zu überzeugen, dass er doch
allen Grund hat zu glauben.
All das geht am eigentlichen Problem vorbei. Wenn die Sünde
tatsächlich eine solche Macht hat über den Menschen. Und
jeder Mensch zunächst einmal unter dieser Macht steht. Dann ist
das Nicht-Glauben-Können gleichsam der "Naturzustand" des
Menschen. Wenn mir einer sagt: Ich kann einfach nicht glauben. Dann
kann ich ihm mit Fug und Recht antworten: Das stimmt, das hast du
richtig erkannt. Luther schreibt in seinem Kleinen Katechismus: "Ich
glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus
Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der
Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben
erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten." (Evangelisches
Gesangbuch 855.2)
Der Unglaube ist wie ein Gefängnis, und die Sünde ist die
Macht, die mich festhält in diesem Gefängnis. Da muss erst
ein Stärkerer kommen, der die Türen öffnet: Christus.
"Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei." Deshalb
- wenn man merkt, dass man einfach nicht glauben kann. Dann hilft nur
eins, nämlich das ehrliche Gebet: Herr, du siehst, dass ich nicht
glauben kann. Ich bin darin gefangen. Aber du bist meine einzige
Hoffnung. Komm, und mach mich frei. Und er wird es tun. Jesus Christus
wird es tun, von dem es heißt, er bringt: "den Gefangenen die
Freiheit, den Gebundenen, daß sie frei und ledig sein sollen".
Ja - Jesus tröstet. Er bringt Trost für die Elenden und die
zerbrochenen Herzen, die mit der Last ihrer Schuld und mit ihrem
aufgeschreckten Gewissen zu ihm kommen. Er befreit die geistlich
Gefangenen. Er ist stärker als die Macht der Sünde, und er
befreit die, die nicht glauben können. Zu ihm wollen wir kommen,
voller Vertrauen. Und erfahren, dass er gekommen ist "zu trösten
alle Trauernden, zu schaffen den Trauernden zu Zion, daß ihnen
Schmuck statt Asche, Freudenöl statt Trauerkleid, Lobgesang statt
eines betrübten Geistes gegeben werden". Amen.