Lebe ich - oder werde ich gelebt?

Predigt über Matthäus 6,33

Jesus spricht: "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen."
Liebe Geschwister,
welche Ziele habe ich eigentlich in meinem Leben? Oder - wenn mich jemand fragen würde: Wozu bist du eigentlich auf der Welt, warum ist es wichtig, daß es dich gibt - was würdest du antworten? Das ist keine Frage für notorische Grübler und Intellektuelle. Keine Frage für solche, die nicht genug zu tun haben und den Tag verträumen. Sondern ich denke, wir sind damit bei einem Kernpunkt unseres Christseins. Und wenn man frech wäre, dann könnte man die Frage auch anders zuspitzen, nämlich: Lebe ich - oder werde ich gelebt?
Wir werden sehen, wie sich bei der Beantwortung dieser Frage. So manche Fragen und Probleme, mit denen ich mich als Christ herumschlage. Wie sie sich manchmal von selbst erledigen.

1. Zielklarheit - der  "Motor" in meinem Leben

Wer den Menschen Ziele gibt, der kann sie bewegen. Wer ihnen sagt, wozu sie da sind. Der kann sie zu etwas bringen. Zu Dingen, die nie ein Mensch für möglich gehalten hätte. Wir haben das ja in der letzten Zeit häufig gesehen, in einem sehr weltlichen und üblen Bereich: Ich meine den Einsatz der Terroristen, und auch immer häufiger der "Selbstmordterroristen".
Wie kommen sie dazu, sich derart einzusetzen? Manche bereiten sich jahrelang vor. Lernen allerlei Fähigkeiten und Spezialkenntnise. Verzichten auf alle Annehmlichkeiten des Lebens. Nur, um sich auf ihren "Einsatz" vorzubereiten. Was bewegt sie dazu? Man könnte einfach sagen, sie sind geistesgestört. Oder vielleicht gar: besessen. Das mag ja sogar stimmen, auf die eine oder andere Weise. Aber ich denke, das Entscheidende ist: Man hat diesen Menschen Ziele gegeben. Perverse, bösartige Ziele, allerdings. Aber sie haben doch eine solche Zielklarheit gewonnen, daß sich diese Terroristen sagen: Wenn ich mich für diese meine Sache einsetze, dann tue ich etwas höchst Wichtiges und Sinnvolles. Oder gar: dann tue ich einen Dienst für Gott, dann werde ich ins Paradies eingehen.
Ja, der Mensch ist ein Wesen, das klare Ziele braucht für sein Leben. Er braucht ein klare Ausrichtung. Erst dann kann er sich wirklich entfalten, das entschlossen einsetzen, was er hat, und einen Lebenssinn finden. Das wissen nicht nur die Fanatiker aller Zeiten. Auch Jesus wußte das. Deshalb hat er seine Jünger immer wieder vor die Frage gestellt: Was sind eigentlich eure Lebensziele? Ein Christ, der immer nur von einem Tag zum anderen vor sich hin "wurstelt", der kann bei weitem nicht das erreichen. Wozu Jesus ihn berufen hat. Was Jesus ihm zugesagt hat. Und das gilt gleichermaßen für den angefochtenen, leidenden Christen, in Not und Krankheit. Genauso wie für den Christen, der in der vollen Kraft seiner jungen Jahre steht. Lebe ich, oder werde ich gelebt? Wurstle ich vor mich hin - oder habe ich eine klares Ziel?
Trachtet nach dem Reich Gottes und -  nach seiner Gerechtigkeit. Das ist das Ziel, das Jesus hier seinen Jüngern mitgibt. Was ist damit gemeint, mit "seiner Gerechtigkeit"? Wir wollen diesen Ausdruck keinesfalls mißverstehen: Wenn die Bibel vom "gerechten" Menschen spricht. Dann meint sie nicht zuerst einen Menschen, der moralisch besonders hoch steht. Oder der sich politisch einsetzt, für mehr Gerechtigkeit in der Welt. Sondern in der Bibel ist damit zuallererst meine Beziehung zu Gott gemeint. Ein "Gerechter" ist einer, der in einer guten, heilvoll geordneten, vertrauten Beziehung zu Gott steht. Die Frage nach "seiner Gerechtigkeit". Die ist zuerst eine Frage der "Beziehungspflege". Meiner Beziehung zu Gott.
An die Christen sind ja immer wieder Vorwürfe gemacht worden. Sie würden sich viel zu sehr um das Heil ihrer eigenen Seele kümmern. So mancher Christ hat über solchen Vorwürfen ein richtig schlechtes Gewissen bekommen - und das oft zu Unrecht! Wenn es mir beim "Heil meiner Seele". Wenn es mir dabei nicht darum geht, irgendwelche frommen Erfahrungen und selige Gefühle zu pflegen. Sondern wenn es mir um Jesus geht. Und um eine gute Beziehung zu ihm. Dann ist es genau das, was Jesus uns hier als das Lebensziel mit auf den Weg gibt: nach seiner Gerechtigkeit zu trachten.
Es gibt heutzutage ja solche Schulungen, wo gestreßte Zeitgenossen "Selbstmanagement" lernen. Damit sie sich nicht im Vielerlei von Aufgaben und Terminen verlieren. Da lernt man dann z.B. eine "TODO-Liste" zu führen (heutzutage muß alles Moderne ja auf Englisch ausgedrückt werden...). Es ist eine persönliche Liste, wo alle die Dinge aufgeschrieben sind. Die man in nächster Zeit zu erledigen hat - und das Wichtigste steht zuoberst.Das kann durchaus hilfreich sein.
Nun, Jesus hat diese Art von Schulungen nie gehalten. Wenn er sie aber halten würde. Dann würde eines auf der "TODO-Liste" sicher ganz oben stehen: "Nimm dir Zeit für Gott!" Oder, wenn man es es etwas praktischer ausdrückt: Kämpfe um deine Stille. Um deine Konzentration auf Jesus. Gerade in dieser hektischen Zeit, mit ihren vielen Terminen, Angeboten und Ablenkungen. Kämpfe um deine Stille mit deiner Bibel. Deine Stille zum Gebet. Kämpfe darum, daß du dafür Zeit hast. Nimm dir Zeit für Gott, und: laß dir von niemandem einreden, du seist deshalb ein Faulpelz. Und "nur an deinem eigenen Seelenheil interessiert".
Nun könnte man sagen: Das klingt mir immer noch viel zu zurückgezogen. Nicht aktiv genug. Um die Stille kämpfen? Um Konzentration auf Jesus? Sollen wir nicht vielmehr versuchen, in Kirche und Gemeinde "ordentlich etwas loszumachen"? Damit durch neue, attraktive Angebote wieder "das Haus voll wird"?
Meine persönliche Auffassung ist hier: damit würde man das Pferd vom Schwanz aufzäumen. Ich denke: Wo es an Engagement fehlt. Da fehlt es meistens zuerst an dieser Beziehungspflege. Wo ich nicht nach "seiner Gerechtigkeit" trachte. Da trachte ich auch nicht nach dem Reich Gottes. Wo meine Beziehung zu Jesus auf Sparflamme brennt. Da ist an Engagement wenig zu holen. Weil alles Mögliche wichtiger wird. Als ausgerechnet Glaube, Kirche und Gemeinde. Weil da die Ziele aus dem Blick geraten sind. Und ich mich im Gewurstel des Alltags verliere.
Die ersten Methodisten waren ja durchaus keine schweigenden Mönche. Sie waren berühmt für ihre "heilige Unruhe". Und überall im Land waren viele Gläubige. In erster Linie Laien.  Die waren aktiv, um in ihrem Dorf. In ihrer Stadt. In der Familie und bei der Arbeit. Waren  aktiv, um "Heiligung über die Lande zu verbreiten", wie man das damals nannte. Um nach dem Reich Gottes zu trachten. Das war kein Programm. Das kam nicht aus anfeuernden Rufen. Sondern das kam aus einer tiefen, "gepflegten" Beziehung zu Gott. Aus einer Zielklarheit. Und die Prediger - die waren dazu da, "Kohlen nachzulegen" mit ihrer Verkündigung von Gottes Wort. Kohlen nachzulegen in ein Feuer, das schon brannte. Man staunt immer wieder, wieviel Zeit sie für diese Beziehungspflege einsetzten, für das Gebet und das Wort Gottes. Und das in einer Zeit, wo selbst die Kinder, bei ihrer Arbeit in den Bergwerken, nur träumen konnten von einer 50- oder gar 40-Stunden-Woche. Von den Erwachsenen ganz zu schweigen.
Laßt uns diese Zielklarheit suchen. Und diese Beziehungspflege zu Gott ganz oben auf meine persönliche "TODO-Liste" stellen. Damit ich mich nicht im Gewurstel des Alltags verliere. Damit ich einen Sinn sehe in meinem Leben. Damit ich nicht gelebt werde - sondern lebe. 

2. Zwei wunderbare "Nebeneffekte": Abstand von Ablenkungen und eine "heilige Sorglosigkeit"

Ich denke, so manche Probleme und Fragen. Mit denen wir uns herumschlagen als Christ. Die erledigen sich von selbst. Oder sehen zumindest nicht mehr so unüberwindlich aus. Wenn wir um diese Zielklarheit ringen. Ich möchte das gern an zwei Beispielen deutlich machen.

Das erste ist eine Frage. Nämlich, wenn ein Christ fragt: Wie soll ich leben als Christ? Was soll ich tun? Gerade in früheren Zeiten, wenn Christen das überlegt haben. Dann kam man dann schnell auf eine andere Frage: Ist dieses oder jenes verboten, was ich vorhabe? Oder ist es erlaubt? Ist es Sünde? Oder ist es keine Sünde? Sicher - heute  ist das anders geworden, und bei Manchem würde man sich vielmehr wünschen. Daß er Gott wieder etwas ernster nimmt. Und sich diese Frage einmal wieder ernsthaft stellt: Ist das eigentlich Sünde, was ich hier tue?
Allerdings muß man gleich dazu sagen: es ist bei weitem nicht die einzige Frage, die ein Christ in diesem Zusammenhang zu stellen hat. Die Frage: Was soll ich tun? Oder, in einem Fremdwort: die Frage nach der christlichen "Ethik". Die ist sehr viel weiter, vielfältiger. Und manchmal. Da stellt sich dann diese Frage gar nicht mehr: Ist dies oder das Sünde? Darf ich das als Christ? Weil sich die Frage schon ganz anders gelöst hat.
Eine solche Frage ist auch in dieser Betrachtung. Über die Zielklarheit enthalten. Sagt Jesus doch: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. Zuerst. Im Bild unserer "TODO-Liste"würde das heißen: Was könnte es in meinem Leben geben? Das sich unversehens an die oberste Stelle der Liste drängt? Das mich ablenkt? Und auf einmal viel wichtiger wird? Wichtiger als meine Beziehung zu Gott? Wichtiger als der Einsatz für sein Reich, für seine Sache? Es scheint so, als daß eines der Geheimnisse eines fruchtbaren, erfüllten Christenlebens. Daß ein Geheimnis in der Konzentration liegt. In der Beschränkung. In der Befreiung von Hindernissen.
Paulus vergleicht das Christenleben einmal (1Korinther 9,24-27) mit dem Leben eines hingegebenen Olympiakämpfers. Diese Olympiaden gab es ja schon damals, in der Antike. Und er denkt an die "Trainingslager" jener Wettkämpfer. Wo nicht nur hart trainiert wurde. Sondern wo man z.B. auch eine strenge Diät einhalten mußte. Die einem die nötigen Kräfte geben sollte. Und er schreibt dazu (1. Korinther 9,25): "Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen." Das Geheimnis der wirklich guten Olympiakämpfer. Es lag nicht in einem verbissenen, krampfhaften Leben voller Verbote. Sondern es lag in einer wohldurchdachten  Beschränkung. In der Konzentration auf das Wesentliche. Sie fragten sich nicht zuerst: Was darf ich? Und was nicht? Sondern: Was muß ich tun, damit ich den Wettkampf gewinne? Was nützt? Und auch: Was behindert mich? Was lenkt mich ab?
Ob ich solche Fragen in einer stillen Stunde auch einmal auf mein Christenleben anwenden kann: Was fördert meine Beziehung zu Jesus? Was hilft mir bei meinem Dienst für Jesus, in der Gemeinde und anderswo? Und was lenkt mich ab, was bremst? Ob wir an dieser Stelle so etwas wie einen echten "sportlichen Ehrgeiz" entwickeln können? Vielleicht. Vielleicht erlebe ich tatsächlich. Wie in so manchen Bereichen meines Lebens. Wie  sich die Frage: "Darf ich das als Christ - oder darf ich das nicht?" Wie sich diese Frage einfach von selbst erledigt.

Die zweite ist ein Problem, mit dem sich jeder Christ mehr oder weniger herumzuschlagen hat: meine "lieben" Sorgen. Jesus sagt direkt nach unserem Vers: "Darum sorgt nicht für morgen." (6,34) Ja, wenn das so einfach wäre - sich nie mehr den Kopf zu zerbrechen, für den nächsten Tag und danach! Vielleicht - so denke ich manchmal. Liegt dieser Unterschied. Zwischen der biblischen Anweisung: "Wir sollen uns keine Sorgen machen, sondern vertrauen." Und der häufigen Erfahrung: "Ich machemir aber jede Menge Sorgen, und es wird eher schlimmer als besser damit." Vielleicht liegt dieser Unterschied zwischen dem Wort der Bibel und unserer Erfahrung. An einem zu "wolkigen", ungefähren, eigentlich: zu ungenauen Verständnis der Worte über das Sorgen. Jesus sagt nicht, wir sollen uns irgendwie und im allgemeinen eigentlich nicht sorgen. Jesus gibt dafür Gründe und Rahmenbedingungen.
In der Werbung eines dieser "Finanzdienstleister", wie man sie nennt. Da wollte man kürzlich die Leute locken mit einem Spruch, der sinngemäß so hieß: "Leben Sie einfach. Wir kümmern uns um den Rest." Und man sah, glaube ich, einen Mann, entspannt im Swimmingpool, erfolgreich, offensichtlich mit sich und der Welt zufrieden. Der Finanzdienstleister wollte damit natürlich sagen: wir kümmern uns mit unseren Versicherungen, dem Verwalten ihrer Sparkonten usw. um all das lästige Geldgeschäft. Das nun einmal nötig ist zu einem schönen Leben. Halten Sie sich den Kopf frei davon. Konzentrieren Sie sich auf die wichtigen Seiten des Lebens: schöne Freizeit . Und natürlich auch: auf den Aufstieg im Beruf. Denn das Geld, das verwaltet werden soll. Muß ja vorher verdient werden.
"Leben Sie einfach. Wir kümmern uns um den Rest." Nun geht es beim Christsein natürlich nicht um Karriere, Geld und schönes Leben. Aber vielleicht würde Jesus diesen Werbespruch gebrauchen können, wenn er ihn etwas veränderte: Konzentrieren Sie sich ganz auf Gott und auf seine Sache. Er kümmert sich um den Rest. "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen." Und wir sehen auch hier wieder einen geheimnisvollen Zusammenhang: Wer diese Zielklarheit hat. Wer die Beziehung zu Jesus. Den Dienst für Jesus. Die Nachfolge Jesu. Wer das an erster Stelle in seinem Leben hat. Der hat auch die wenigsten Sorgen. Der kann eine "heilige Gelassenheit" gewinnen - sogar in großer Not, wie so manche Geschwister bezeugen.
Wer sich dagegen verliert in Nebensächlichem. Bei dem werden auf einmal kleine Dinge zu wichtig. Man fängt an, um sich selbst zu kreisen. Und die Sorgen werden immer größer. Hören wir auf, uns nur allgemein und ungefähr zu sagen: eigentlich sollten wir uns nicht sorgen. Oder gar mit erhobenem Zeigefinger: ein rechter gläubiger Christ sorgt sich nicht. Achten wir vielmehr auf diesen geheimnisvollen Zusammenhang. Den Zusammenhang zwischen Zielklarheit. Und Sorglosigkeit. Wir werden damit gute Erfahrungen machen, glaubt mir! Schließlich hat Jesus es selbst versprochen, wie uns dann "alles zufallen" wird. Und Großes groß.  Und Kleines klein werden wird.
Liebe Geschwister. Lassen wir uns von Jesus auf das Wichtigste hinführen. Laßt uns wieder neu das Geheimnis dieser Konzentration entdecken. Dieser Konzentration auf Jesus. Dieser Zielklarheit. Trachten wir zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. Und entdecken wir, was uns dabei alles zufallen wird. Amen.

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